RE:Gerste

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Getreideart aus dem westlichen Asien
Band VII,1 (1910) S. 12751284
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Gerste. Die G. (Hordeum L.) besitzt Ähren mit einblütigen Ährchen, Man unterscheidet sechs-, vier- und zweizeilige G., je nachdem sämtliche oder nur einige Ährchen die Blüten zu vollkommen ausgebildeten Körnern entwickeln und von der Spindel abstehen oder an dieselbe angedrückt sind. Die zweizeilige G. (Hordeum distichon L.) hat nur zwei Reihen vollkommen entwickelter Blütchen, zwischen denen sich je zwei weitere Reihen verkümmerter Blütchen befinden. Die vierzeilige G. (Hordeum vulgare L.) hat Ährchen in sechs Zeilen, von denen aber zwei gegenständige an die Spindel angedrückt sind, während die vier übrigen auf jeder Seite mehr hervorstehen. Die Ähre erhält dadurch ein vierkantiges Aussehen. Die sechs Ährchen der sechszeiligen G. (Hordeum hexastichon L.) stehen regelmäßig von der Spindel ab. Mit Ausnahme der Gabel-G. (Hordeum trifurcatum Ser.), die in Ägypten angebaut wird, sind alle G.-Arten mit Grannen versehen. Die Körner sind meist mit den Deckspelzen verwachsen, [1276] seltener nackt (Krafft Lehrbuch der Landwirtschaft II Pflanzenbaulehre 1885. Leunis Synopsis II3 1885).

Die Griechen hatten für die G. zwei Wörter: κριθή und ὀλαί. Κριθή (abgekürzt κρῖ nur im Nom. und Akk.) aus ghř zdh-ā: ahd. gërsta aus ğhérzdā, nhd. Gerste, lat. hordeum aus ğhṛzdheịon. starren, altind. hṟṣ sich sträuben, lat. horrēre (Prellwitz Etym. Wörterbuch d. gr. Spr.2 1905, 244). Die ein auffallendes Merkmal der G.-Ähre bildenden scharfen Grannen, die gleichsam um die Körner starren, haben dieser Getreideart den bezeichnenden Namen gegeben. Οὐλαί, οὐλοχύται (Hom.), ὀλαί (att.) bezeichnet speziell die für den Opfergebrauch bestimmte G. Ob die G., welche von den Teilnehmern bei der Opferhandlung auf den Kopf des zum Altar geführten Tieres gestreut wurde, geschroten war oder aus ganzen Körnern bestand, ist nach Stengel (Die griech. Sakralaltertümer 1890, 77) nicht erwiesen. Die Verwandtschaft von οὐλαί mit altind. láva-s das Schneiden (Prellwitz a. O. 343) würde für die Ansicht sprechen, daß die Opfer-G. geschroten war. Zu gleichem Ergebnisse würde man kommen, wenn man an der Verwandtschaft von οὐλαί mit ἀλέω mahlen, ἄλευρον Weizenmehl, festhält (s. schon Buttmann Lexil. I 191f.). Der nicht vorkommende Nom. Sing. ὀλή ist nach Passow der älteste Name für die Brotfrucht überhaupt gewesen, besonders für das durch Mahlen und Stampfen zur Nahrung zugerichtete Getreide. Diesen Namen habe die G. als älteste und verbreitetste Getreideart behalten (vgl. in Deutschland Korn = Roggen, in Frankreich froment = Weizen) (Pape Handwörterb. d. gr. Spr.). Aus hordeum sind entstanden it. orzo, rum. orz m., Pl. orzuri und oarze f.; friaul. uardi (?), prov. ordi, frz. orge m. und f., span. orzuelo, altptg. orge (neuptg. heißt die G. cevado) (Körting Lat.-rom. Wörterbuch³ 1907).

Als Heimat der G. wird das westliche Asien anzusehen sein. Hordeum distichon fand Boissier wildwachsend im Peträischen Arabien, Figari am Berge Sinai, Rotschy auf den Ruinen von Persepolis. C. A. Meyer in der Nähe des Kaspischen Meeres, zwischen Lenkoran und Baku, in der Wüste von Schirwan und Awhasie, Ledebour ebenfalls im Süden des Kaukasus, Regel in Turkmanien (De Candolle Der Ursprung der Kulturpflanzen, übers. v. Goeze 1884, 465). Nach Kunth wächst Hordeum wild in der Tartarei und auf Sizilien. Daß Hordeum vulgare und Hordeum distichon seit uralter Zeit in Ägypten angebaut worden sind, ist mit Bestimmtheit zu behaupten. Von beiden Arten hat F. Unger Bruchstücke in einem Mauerziegel von El-Kab und in einem Pyramidentiegel von Dahschur gefunden. Mariette entdeckte unter den Totenspeisen der Katakombenfunde von Saggarah eine Schale mit zertrümmerten G.-Ähren, ferner in Theben Breiklumpen von grobgeschrotenen G.-Körnern, welche G. Schweinfurth (Über Pflanzenreste in altägyptischen Gräbern. Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1884, 2. Jahrg. Heft 7 S. 351–371) als Hordeum vulgare angehörend bestimmt hat. Mariette verlegt das Alter dieser Gerstenarten in die Zeit der fünften Dynastie, [1277] es würde dann der Anbau der G. in Ägypten bereits im dritten Jahrtausend v. Chr. verbreitet gewesen sein (Woenig Die Pflanzen im alten Ägypten 1886, 169). Das hohe Alter der G.-Kultur in Ägypten bezeugt auch der Bericht der Bibel über die Plagen, die Jahwe, um den Pharao zu schrecken, über dieses Land kommen ließ (Exodus IX 31). ,Der Flachs aber und die G. wurden vernichtet, denn die G. stand in Ähren und der Flachs hatte Knospen‘. In Äthiopien kannte man nach dem Zeugnisse des Plinius (n. h. XVIII 24) von den Cerealien nur G. und Hirse. Daß die G. zu den ältesten und verbreitetsten Kulturpflanzen Palästinas gehört hat, geht aus vielen Stellen der Bibel hervor. Die liebliche Familiengeschichte aus Altisrael, in der Ruth, die Stammmutter Davids, gefeiert wird, spielt zur Zeit der G.-Ernte. Auch sonst wird in der Bibel des Anbaues der G. und ihres Gebrauches als Nahrungsmittel erwähnt (Richter VIII 13; 2 Könige IV 42; Ezechiel IV 12; Joh. VI 9, 13).

Den Gräkoitalikern muß die G. bereits bekannt gewesen sein, ehe sich die Scheidung der beiden verwandten Völker vollzog. Darauf deutet die Urverwandtschaft der Wörter κριθή und hordeum hin (s. o.). Daß die G. beim Opferkultus auch der späteren Zeit den ersten Rang in Griechenland einnahm, dürfte vornehmlich für ihr hohes Alter auf hellenischem Boden sprechen. In Italien sind es besonders die griechischen Kolonien des Südens der Halbinsel und Siziliens gewesen, welche schon in alter Zeit G. anbauten und in den Handel brachten. Körner von Hordeum hexastichon erscheinen als Symbol der Stadt Metapontum auf incusen Münzen, die nach Helbig hoch in das 6. Jhdt. v. Chr. hinaufreichen (Carelli Num. Ital. vet. tab. CXLVII. Heer Die Pflanzen der Pfahlbauten 11). Ferner sind G.-Körner abgebildet auf archaischen Münzen von Kyme (Carelli Num. Ital. vet. tab. LXXI 9–12), sowie auf archaischen Münzen von Leontini (Sallet Ztschr. für Numismatik I 97 Anm. 1 Taf. III nr. II. III) und Segesta (Mionnet Descript. I 282 nr. 636; vgl. Helbig Die Italiker in der Poebene 65, 2). Im mittleren Italien nahm in der ältesten Zeit der anspruchslose Dinkel (ador) unter den Cerealien die erste Stelle ein. Verrius Flaccus (bei Plin. XVIII 62) gibt sogar an, daß für das römische Volk 300 Jahre lang der Dinkel die einzige Brotfrucht gewesen sei. Nach Ovid (fast. VI 180) bot die Erde anfangs nur Bohnen und harten Dinkel. Entgegen der römischen Überlieferung wird man annehmen dürfen, daß das praktische Bauernvolk weit früher zum Anbau von G. und Weizen übergegangen ist. Die Stellen bei Cato (de agr. 35. 37. 134), in denen der G. gedacht wird, setzen eine längst bekannte Kultur dieser Getreideart voraus. Auch auf der iberischen Halbinsel und in Gallien, sowie in der Poebene und in Ligurien gehörte die G. zu den am stärksten gebauten Getreidesorten. Von dem wohlschmeckenderen und nahrhafteren Weizen als Nahrungsmittel für die Menschen immer mehr verdrängt, ging der G.-Bau in allen Mittelmeerländern erheblich zurück. Da aber die G. wegen ihres geringen Wärmebedürfnisses noch an Orten gedeiht, wo der Weizen keine Erträge verspricht, [1278] so wurde sie in Gebirgsgegenden auch weiterhin nicht nur als Futter, sondern auch als Brotfrucht gezogen. Auf den gebirgigen griechischen Inseln, wie auf den Bergen Sardiniens wird bis auf den heutigen Tag G. auch als Brotfrucht angepflanzt. In den romanischen Teilen der Alpen, in denen man dem Roggen abgeneigt ist, ist ununterbrochen G. gebaut worden. Selbst in der Ebene scheint während des Mittelalters die G.-Kultur von neuem Boden gewonnen zu haben. In Venedig erwähnt ein Gesetz vom 17. Juni 1371 noch Orzeterie, G.-Brotbäckereien, und ein anderes vom 11. September 1527 große Vorräte von G. und des zum Verkaufe ausgesetzten G.-Mehles (Martens Italien II 119). Erst Reis und Mais scheinen in der Poebene die G. als Volksnahrung völlig verdrängt zu haben.

Die Arten der Gerste.

Theophrast (h. pl. VIII 4) sagt: Die G. hat viele Arten, welche sowohl in Früchten, Ähren und der übrigen Gestalt, wie auch in ihren Wirkungen und Zufällen verschieden sind. Einige Arten der G. sind zwei; andere drei; vier- und fünfzeilig, die meisten aber sechszeilig; denn auch das ist eine besondere Art. Die mehr Zeilen haben, zeigen durchgängig eine gedrängtere Stellung. Bei einigen Arten sind die Ähren groß und biegsam, bei anderen kleiner und gedrängter. Sie stehen mehr oder weniger von den Blättern ab, wie bei der κριθὴ ἀχιλληίς. Die G.-Körner sind entweder runder und kleiner, oder länglicher und größer, dann stehen sie locker in der Ähre. Einige sind weiß, andere rötlich; diese letzteren sollen mehr Mehl geben, auch den Winter, die Winde und den Wechsel der Witterung besser vertragen als die weißen. In Italien wurden nach Columella (II 9) zwei Sorten vorzugsweise angebaut: 1. Die sechszeilige Winter-G., Hordeum hexastichum, auch Hordeum cantherinum, Wallach-G. genannt, welche die Tiere besser ernähre als Weizen und den Menschen zuträglicher sei als geringer Weizen. Aus wirtschaftlichen Gründen empfehle sich diese der Winterkälte widerstehende Getreidesorte aufs beste; 2. die zweizeilige Sommer-G., Hordeum distichon, von manchen auch Hordeum Galaticum genannt, die sich durch ihr schweres Gewicht und die weiße Farbe auszeichne. Mit Weizen gemischt gebe diese G.-Art gutes Brot für das Gesinde. Am fruchtbarsten war nach Theophrast (VIII 2) die G. auf der rhodischen Insel Chalkia, die zweimal im Jahr geerntet wurde, nach dem Zeugnisse des Plinius (XVIII 80) die im spanischen Karthago bereits im Monat April geerntete G. In Celtiberien habe man sie in demselben Monat gesät und zweimal im Jahre geerntet. Derselbe Plinius berichtet (XVIII 71), daß es in Indien eine angebaute und eine wilde G. gäbe, aus der die Eingeborenen hauptsächlich ihr Brot backen und alica (eine Art Graupen) herstellen. Diese indische G. hatte nach Theophrast (VIII 4) Seitentriebe.

Der Anbau.

G. verlangt trockenes, lockeres und kräftiges Land (Pall. XI 1. Plin. XVIII 7). Weil die G. den Boden sehr angreift, so muß er, meint Columella (II 9), sehr gut oder sehr schlecht sein: ist das Erdreich sehr fett, so leidet es durch die G. keinen Schaden, ist es mager, so hat es nichts zu verlieren. Die G. [1279] kommt in Gebirgsgegenden leichter fort als der Weizen (Strab. V 2). Gut ist es, den Acker vorher zu düngen, doch gedeiht G. auch auf ganz schlechtem Boden und kann große Kälte ertragen (Cass. Dio XLIX 36). Bestellung und Aussaat dürfen nur an völlig trockenen Tagen erfolgen, auf schmierigem Boden versagt sie völlig (Pall. I 6). Auf den Acker rechnete Varro (I 44) sechs, Columella (II 9) und Palladius (X 4) nur fünf Modien Saatkorn. Als beste Vorfrucht galt in Campanien Raps, in diesem Falle reichte es aus, wenn man die Erde erst vor dem Säen pflügte. Nach dem Einernten der G. konnte Hirse gesät werden (Plin. XVIII 191). Die Fruchtfolge war also Raps, G., Hirse. Bei weniger gutem Boden als in Campanien ließ man eine Brache vorhergehen und bearbeitete die Erde, um sie besonders locker zu machen, sorgfältig mit der Hacke (Plin. XVIII 80). Die Aussaat der sechszeiligen Winter-G. soll nach Vergil (Georg. I 210) zwischen dem Herbstäquinoktium und dem kürzesten Tag erfolgen. Nach Columella (II 9) wird die G. in die zweite Furche auf gutem Lande ungefähr in gleicher Entfernung von der Herbstgleiche und der Wintersonnenwende, bei schlechtem Wetter aber früher gesät. Palladius (X 4. XI 1) ordnete die Aussaat der Winter-G. für die Monate September und Oktober an. Die Zeit der Aussaat der zweizeiligen Sommer-G. ist bei Columella (II 9) im März für fetten Boden und kühles Klima; in milden Landstrichen gedeiht sie besser, wenn sie um die Mitte des Januar gesät wird. Sieben Tage nach erfolgter Saat geht das Korn auf (Theophr. h. pl. VIII 1. Varr. I 45. Plin. VIII 60). Aus dem dünneren Ende des Korns entsteht das Blatt, das sich früher zeigt als die aus dem dickeren Ende entstehende Wurzel (Theophr. VIII 2). Im Winter hat das Getreide nur Blätter, erst im Frühjahr wächst es in den Halm aus, der am Ende stets nur ein Blatt hat, das bei der G. rauh und schilfartig ist. Der Halm der G. ist nicht so lang als der des Weizens, nach dem sechsten Halmknoten treibt er die Ähre hervor. In der Ähre sitzen die Körner in zwei-, vier- oder sechsfachen Reihen (Theophr. VIII 4), in dünnen Hülsen (glumae); nach Theophrast (VIII 4) gehört die G. sogar zu den Halmfrüchten, die nackte Samen tragen. Die Körner sind durch besonders scharfe Acheln, Grannen (aristae) geschützt (Plin. XVIII 61) Vier oder fünf Tage, nachdem die Ähre hervorgebrochen ist, fängt die G. an zu blühen und blüht in ebensoviel, spätestens in sieben Tagen ab (Theophr. VIII 7). Hat die aufgegangene G. vier oder fünf Blätter getrieben, so sollte sie bei trockener Witterung zum erstenmal behackt werden (σκαλεύειν sarire), und zwar an hellen, frostfreien Tagen zu Anfang Januar, wobei vorsichtig darauf zu achten war, daß die Wurzeln der Pflanzen nicht beschädigt wurden (Plin. XVIII 184. 241). Die Erde sollte hoch aufgehäufelt werden, damit die Pflanzen sich in dem lockeren Boden recht ausbreiten konnten. Beim zweiten Behacken dagegen, welches spätestens in den ersten Wochen nach der Frühlingsgleiche, ehe die Halme Knoten tragen, ausgeführt werden soll, mußte die Erde flach behandelt werden. Später ausgeführte Behackung kann der Saat schaden. Kurz vor oder nach der [1280] Blüte folgt das Jäten (ποασμός runcatio), das auch von denen empfohlen wird, die in der zweiten Behackung keinen Nutzen sehen (Col. II 12). Vierzig Tage nach der Blüte reift die G., Boden und Klima sind dabei von Einfluß (Theophr. VIII 2). Das äußere Zeichen der Reife sind die abends auf den Feldern umherfliegenden leuchtenden Johanniswürmchen cincidillae, die bei den Griechen lampyrides hießen (Plin. XVIII 250). Die G. wird früher geschnitten als die übrigen Getreidearten, weil ihr Halm leicht bricht und das Korn unschwer ausfällt (Plin. XVIII 80). In Ägypten schnitt man die G. im sechsten Monat nach der Aussaat, in Mittelgriechenland im siebenten, in den übrigen Teilen Griechenlands im achten Monat (Theophr. VIII 2), in Italien im neunten Monat, also im Juni. Ein erfahrener Mäher kann an einem Tage fünf Modien G. schneiden, ein wenig tüchtiger drei, ein untüchtiger ein noch geringeres Maß (Pall. VII 2). Damit die leicht brechenden Halme nicht knicken und die nur von einer dünnen Hülle umgebenen Körner nicht von selbst herausfallen oder vom Wetter aus den Spelzen herausgeschlagen werden, ist die Ernte tunlichst zu beschleunigen (Plin. XVIII 80. Col. II 10). Die abgemähten Halme sollen noch eine Zeitlang auf dem Felde liegen bleiben, weil auf diese Weise die Körner noch nachwachsen (Pall. VII 2). Wenn die G. vor völliger Reife abgeschnitten wurde, sollten bessere Graupen erzielt werden. In Griechenland band man die Halme sofort in Garben zusammen, die man dann wohl auch begoß, um das Herausfallen der Körner nach Möglichkeit zu hindern (Il. XVIII 550. Hes. 287. Theophr. h. pl. VIII 10; de caus. pl. IV 15). Der Ausdrusch (ἀλόησις, ἀλοίησις, ἀλοητός, tritura, spätlat. trituratio, calculcatio) der Ähren geschah auf einer im freien Felde gelegenen runden Tenne (ἀλωά, ἁλωνιά, ἅλως, δῖνος, area von indog. âros = ,das Freie‘ nach Fick Wörterb. d. indog. Sprachen4 1890). Wie im alten Palästina (Deut. XXV 4) wurden auch in Griechenland in homerischer Zeit zum Austreten des auf der Tenne ausgebreiteten Getreides Rinder verwandt. Treiber, die außerhalb der Tenne standen, trieben die Tiere an, daß sie im Kreise herumliefen und so mit den Hufen die Körner aus den Halmen heraustraten (Ameis zu Il. XX 496). Um den Rindern die Lust zum Fressen zu nehmen, beschmierte man ihre Nüstern mit Kot (Ael. hist. an. IV 25) oder legte ihnen einen Maulkorb an, eine Maßregel, die das Mosaische Gesetz verbot (Deut. XXV 4). Zum Austreten der Ähren wurden in Italien vornehmlich Pferde benützt (Col. II 20. Plin. XVIII 296 equae Stuten). War keine ausreichende Anzahl Zugtiere vorhanden, so wurde eine der verschiedenen Dreschmaschinen benützt, bei denen man allerdings langsamer zum Ziele gelangte. Die in Betracht kommenden Gerätschaften waren 1. das tribulum. 2. die trahea, 3. das plaustellum Punicum. Das aus dem Orient stammende tribulum (vulg. trivolum, tribula, τὰ τρίβολα, Varro r. r. I 22. 52. Verg. Georg. I 164. Non. 228, 26f.) war eine schwere Holzplatte, deren untere Seite mit eisernen Zähnen oder scharfen Steinen versehen war, die von einem Tiere über die Ähren geschleift wurde. Der Lenker [1281] beschwerte die Platte mit einem schweren Gewicht oder mit seiner eigenen Last. Ganz ähnlich war der Dreschschlitten traha, trahea, ein vielleicht etwas leichteres Werkzeug zum Ausdrusch der etwa noch zurückgebliebenen Körner (Varro I 52. Col. II 21. Verg. Georg. I 164). Abbildungen des tribulum und der trahea bei Rich (Illustriertes Wörterbuch der röm. Altertümer 1862, 643 und 647). In manchen Gegenden, wie im östlichen Spanien, wurde der sog. punische Wagen (plaustellum Punicum), der aus Achsen mit kleinen gezahnten Rädern bestand, an Stelle des tribulum gebraucht. Ähnlicher Art werden die Dreschschlitten gewesen sein, die in Palästina zur Verwendung kamen, von denen der Prophet Amos (I 3) sagt, daß ihre eiserne Schneiden über Gilead gefahren sind (Kautzsch Textbibel 1899, 708). Solche Dreschschlitten sollen sich noch heute im Oriente finden (Olck Art. Dreschen o. Bd. V S. 1700f.). In Gegenden, wo es üblich war, nur die Ähren abzuschneiden und sie bis zum Winter auf dem Speicher aufzubewahren, wurden die Ähren auch mit Stöcken, Knütteln oder Stangen (baculis excutere, fustibus tundere, perticis flagellare) ausgeschlagen (Col. II 20. Plin. XVIII 298). Ob unseren Dreschflegeln genau entsprechende Geräte bereits zur Verwendung kamen, ist nach Blümner (Technologie und Terminologie I 7) fraglich. Die auf so verschiedene Weise gewonnenen G.-Körner wurden auf Mühlen gemahlen. Das Mahlen des Getreides auf den Handmühlen scheint bei Homer vornehmlich Sache der Sklavinnen gewesen zu sein. Fünfzig Mägde sind im Palaste des Odysseus damit beschäftigt, auf rasselnder Mühle die gelbliche Frucht zu zerkleinern und die Spindel zu drehen (Od. VII 103). Math. XXIV 41 läßt schließen, daß auch in Palästina das Mahlen der Körner Obliegenheit der Frauen war. Von den Handmühlen (χειρομύλαι, molae manuariae, molae trusatiles) haben sich einfachere und kompliziertere in den pompeianischen Bäckereien gefunden (Abbildungen bei Rich a. O. 399). Dem gleichen Zwecke dienten die fast völlig gleich eingerichteten molae asinariae oder machinariae, die aber von Tieren anstatt von Menschen getrieben wurden (Cato r. r. XI 4. Ov. fast. VI 318. Apul. met. VII p. 143). Die durch Wasserkraft getriebene mola aquaria (Vitruv. X 5. Pall. I 42. Auson. Mosell. 362) bedurfte weder der Kräfte der Menschen noch der Tiere. (S. mola).

Verwendung.

Die G.-Graupen (τὰ ἄλφιτα) werden bei Homer wegen ihres hohen Nährwertes als Mark der Männer (μυελὸς ἀνδρῶν Od. II 290) bezeichnet. Zu Brei (πόλτας = lat. puls) oder Fladen (μᾶζα) zubereitet bildeten sie eine der verbreitetsten Volksspeisen. G.-Graupen gehörten zu den Vorräten, die Telemachos auf seiner Reise nach Pylos in Schläuchen mit sich führte (Od. II 354). Plinius bemerkt ausdrücklich (XVIII 72), daß die G. die älteste Getreideart sei; hieraus erklärt sich, daß diese Feldfrucht seit den ältesten Zeiten beim Opfer Verwendung fand. (Plut. quaest. gr. 6). Geschrotene (?) G.-Körner (οὐλαί, ὀλαί, οὐλοχύται) wurden beim Beginn der Opferhandlung zwischen die Hörner des Tieres, welches zum Altar geführt wurde, [1282] als Speise für die Gottheit gelegt. Zu gleichem Zweck wurde vielleicht auch G. in das Opferfeuer hineingeworfen. Bevor die ausgewählten Fett- und Fleischstücke zu Ehren der Götter verbrannt wurden, bestreute man sie mit G.-Mehl (Od. XIV 429); in Ermangelung solchen Mehles streuen Eurylochos und seine Gefährten, nachdem sie die Rinder des Helios geschlachtet, Eichenblätter als οὐλοχύται auf das Opfertier (Od. XII 356). Auch bei den Mahlzeiten pflegte man beim Auftragen das gebratene Fleisch mit weißem G.-Mehl (λευκὰ ἄλφιτα) zu bestreuen (Il. XVIII 559f.) (Buchholz Die homer. Realien I 2. Abt. 228. 1873).

Nach der eleusischen Überlieferung hat Demeter dem Triptolemos die Feldfrucht gegeben, der der Götter Geschenk in die entlegensten Länder brachte und damit der Träger der Kultur wurde. Auf den rharischen Gefilden bei Eleusis soll die ausgestreute Saat zuerst Früchte gezeitigt haben. Zur Erinnerung hieran wurden die dort gewachsenen G.-Körner zu Opferkuchen (πέμματα, πέλανα) verwandt, die man den Göttern als Dank für den Erntesegen darbrachte (Pausan. I 38. Stengel a. O.). Auch beim Apollonkultus zu Delphi wurde nach Clemens Alexandrinus die G. verwandt. – Ursprünglich die wichtigste Brotfrucht der Griechen, blieb die G. auch dann noch für die breiten Schichten der Bevölkerung eines der Hauptnahrungsmittel, als der Weizen, der dem verfeinerten Geschmack mehr zusagte, bei den wohlhabenderen Klassen immer mehr Eingang fand. Nicht nur bei den bescheidenen Mahlzeiten der Spartaner wurden die Speisen aus G.-Mehl und G.-Schrot hergestellt, auch in Athen war noch zur Zeit des Aristophanes (Pax 1323) die gesunde und nahrhafte G.-Kost unter dem niederen Volke verbreitet. Wenn man dem Weizenbrot immer mehr den Vorzug gab vor dem gröberen G.-Brot, so geschah das freilich nicht nur wegen des größeren Wohlgeschmackes des Weizens, sondern auch wegen seiner höheren Nährkraft. So fragt Aristoteles (Probl. 23), wie es komme, daß die Leute, welche sich von G. nähren, schwächlich, dagegen solche, die Weizengebäck essen, kräftig seien. Der Grund hierfür, meint er, sei der, daß der leichter verdauliche Weizen mehr Nährstoff enthalte, den Körper besser ernähre und ihm gesunde Farben verleihe. Im Gegensatz zu den Hippokratikern, die unter den verschiedenen Getreidearten der G. die erste Stelle einräumten, schreiben ihr Galen (VI p. 507 Kühn) und Dioskurides (II 108) nur wenig Nährwert zu, doch ist nach des letzteren Ansicht die G.-Grütze (πτισάνη) wegen des Schleimes, der sich beim Kochen bildet, nahrhaft und mildert manche Leiden. Auch das G.-Mehl hat, vermischt mit Honigmet, Feigen, Steinklee, Raute, Teer, Wachs, Myrrhe, Wein, Leinsamen, Bockshornmehl, wilden Birnen, Brombeeren, Quitten und Essig allerlei heilsame Wirkungen (Diosc. ebd.). In Italien nahm zwar der Dinkel (ador) in der ältesten Zeit sowohl beim Opferkultus wie bei der Volksernährung diejenige Stelle ein, welche in Griechenland der G. zukam, indessen wurde auch auf italischem Boden frühzeitig die letztere ein verbreitetes Nahrungsmittel für die Menschen. Aus G.-Mehl [1283] bereitete man Suppe, Brei und ein wohlschmeckendes Brot (panis hordaceus), welches durch einen Zusatz von Erven und Kicherlingen gesäuert wurde und für gesunder und nahrhafter als solches von schlechtem Weizen galt. Daß man den Gladiatoren G.-Brot gab – sie hießen deswegen hordarii G.-Männer (Plin. XVIII 72) – geschah wohl nicht in erster Linie aus Gründen der Sparsamkeit, sondern weil man der G. besondere Nährkraft zuschrieb. Von Weizenbrot verdrängt bildete das G.-Brot nur noch die Nahrung der Sklaven und die Brotration für bestrafte Soldaten. Vegetius berichtet, daß Soldaten wegen mangelhafter Fortschritte so lange G. anstatt Weizen erhielten, bis ihre Leistungen den Anforderungen genügten. War die G. unter den für die Menschen bestimmten Nahrungsmitteln zurückgetreten, so behielt sie doch als Kraftfutter für alle Arten Haustiere ihren Wert. Gestampft, geschroten, als Kleie und im Naturzustande wurde sie den Tieren als Nahrung gereicht. Mit G.-Körnern wurden, wie noch jetzt häufig in Südeuropa, statt des Hafers die Pferde der griechischen Helden (Od. IV 42), der griechischen Feldherrn (Plut. Eum. 11), wie der römischen Cäsaren (Hist. Aug. Ver. 6) und der italischen Pferdezüchter (Veg. I 56) gefüttert. Auch G.-Klöße wurden Pferden und ermüdeten Lasttieren zur Kräftigung in den Hals gesteckt (Plin. XVIII 78). G. wurde ferner als Kraftfutter gebraucht für alle männlichen Sprungtiere (Col. VI 27. Geop. XVII 3), als Kleie mit Dinkel vermischt für Sprungesel (Varro II 6), sie kräftigt Arbeitsesel (Lucian. Luc. XVII 21. 27), dient als Mastfutter für Schweine und als gutes Winterfutter für Schafe (Col. VII 4), abgesetzten Lämmern und Kälbern ist sie ein vorzügliches Nahrungsmittel. Mit Milch wurde G. den Hof- und Jagdhunden verabreicht (Varro II 9. Col. VII 12). Auch bei der Geflügelzucht fand die G. reichlich Verwendung. Für Hühner, Tauben und Gänse formte man Nudeln aus G.-Mehl, das mit Milch oder Wasser angefeuchtet wurde (Cato 89. Varro III 9. Col. VIII 7). Pfauen erhielten feingemahlene eingeweichte G., die bei den jungen Gänsen mit Grünfutter vermischt wurde. Waren die Tiere herangewachsen, so gab man die G. im Naturzustande, häufig mit Wicken, Erbsen und Erven, oder, besonders für Pfauen, mit geschrotenen Bohnen gemischt (Col. VIII 8).

Über die Verwendung der G. bei Herstellung des Bieres s. Art. Bier o. Bd. III S. 458f. (Olck).

Die Spreu (acus, palea) der G., die zwar für geringer galt als die der Hirse (milium), aber weit höher geschätzt wurde als die des Weizens (triticum), wurde auf dem Spreuboden (palearium Col. I 6) aufbewahrt und dem Vieh anstatt des Heus (pro feno) gereicht. Fehlte es an Spreu, so wurden die Halme zerrieben. Das Verfahren war dieses: Man schnitt die Halme frühzeitig, besprengte sie mit Salzlake (muria), trocknete sie und wickelte sie dann in Bündel 'manipuli (Plin. XVIII 300. Varro I 49. Col. VI 18. XI 2. Ov. remed. 191) zusammen. Dergestalt wurden sie als Ersatz für Heu dem Rindvieh gegeben. Das Stroh der G. (hordei stipulae) hob man als Futter für das Rindvieh auf (Plin. XVIII 300). [1284]

Literatur: Magerstedt Der Feld-, Garten- und Wiesenbau der Römer 1862. H. O. Lenz Botanik d. alt. Gr. und R. 1859. De Candolle Der Ursprung der Culturpflanzen, übers. von Goeze 1884. Woenig Die Pflanzen im alten Ägypten² 1897. Buchholz Die homerischen Realien I B. 2 Abt. 1873. Stengel Griech. Sakralaltertümer 1890. Schrader Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde 1901.

[Orth. ]