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RE:Hypnos

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
Personifikation des Schlafes, Dämon des Schlafes
Band IX,1 (1914) S. 323329
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RE:Hypnos

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Hypnos, Somnus, der Schlaf. (Etymologie: *supno-s [vgl. Kel. sünü *svépno-s [vgl. ai. svapna-s Schlaf, Traum], lat. somnus, sopor). In der Sprache und in der Vorstellung moderner Volker muß eine Trennung gemacht werden zwischen 1. sehr verschieden abgestuften Personifikationen des Schlafes und 2. einem hauptsächlich auch im Kinderleben aufiretenden schlafbringenden Dämon. Schon in den Verben, welche in modernen Sprachen in Verbindung mit dem Schlaf angewendet werden, spürt man die Neigung, den Schlaf persönlich aufzufassen. Deutsch vom Schlafe überfallen, überwältigt werden, Franz. vaincre le sommeil, engl. overcome by sleep usw. In der dichterischen Sprache ist diese Neigung verstärkt, zu der Personifikation treten körperliche Eigenschaften: ,des Schlafes weiche Hand' Wieland), ,den es in Schlafes Arm beginnt* Schiller). Ftmiî.s'arracher desbrasdusommeil. Schließlich wird der Schlaf dann vollkommen persönlich aufgefaßt: , Schlaf und Sekiummer, zwei Brüder* (Goethe). Daß dieses nicht immer unter dem Einfluß antiker Vorbilder geschieht, beweisen Beispiele aus einer Zeit, die außerhalb der Beeinflussung klassischer Literatur steht: ,der slafmit dem knappen rane* (12. Jhdt.) und Beispiele aus dem Volksmund, wo der Schlaf abwechselnd ein Tröster oder ein Schalk oder Dieb ist, der uns das halbe Leben raubt. Daneben kennen jedoch die Kinder der meisten modernen Völker einen Kobold, der ihnen meist gegen ihren Willen den Schlaf bringt, die Augen zufallen läßt. In Deutschland heißt dieser das Sandmännlein, das Sand in die Augen streut, oder in Oberdeutschland das Pechmännlein, das die Augen zuklebt Im Franz, le sablonnier, le marchand de sable, engl. the dust-man. Oft besitzt er einen Namen, dän. Ole Luk-qe (Augenschließer), schwed. John Blund (Blinzier), holl. Klaas Vaak, mecklenb. Peter Linz kummt mit ’n Sandpott (manchmal weiblich: Sandfru, Mndder Haubertsch usw) . Beschreibung der Person ist selten. Gern schildert man ihn als Kobold mit weichen Schuhen. In der darstellenden Kunst nur: Humperdinck, Hänsel und Gretel, (Grimm Wörterbuch s. Sandmann. W o s s i d 1 o Mecklenb. Volksttberl. 8. 810).

RE:Hypnos

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Auch das klassische Altertum kennt sowohl den personifizierten Schlaf wie den schlafbringenden Dämon. Doch können diese beiden nicht so scharf getrennt werden, wie dieses bei Zoega (Bassir. II 203) und Winnefeld in seinem archäologischen Versuch ,Hypnos* (Berlin 1886) geschieht. Zoega macht zwischen H. und dem Schlaf denselben Unterschied wie zwischen Thanatos und dem Tod. Ebenso wenig wie sich die Alten den Todbringer als Leiche oder Sterbenden gedacht haben, stellten sie sich den Schlafbringer als schlafend oder schläfrig vor. Auch Winnefeld glaubt, daß es möglich ist, ,die Gestalt des schlafbringenden Gottes völlig aus dem nur äußerlichen Zusammenhang mit der Personifikation des Zustandes des Schlafens Ioszulösen* (2). Beides läßt sich nicht durchführen, die Alten empfanden, daß Schlaf und Tod trete ihrer Ähnlichkeit und Verwandtschaft in verschiedener Weise}} [324] Hypnos 324.}}

xu uns kommen; der Schlaf wirkt ansteckend, der Tod nicht. Deshalb steht H. in engerer Beziehung zu der Gabe, die er bringt, als Thanatos zu der seinen. Auch läßt sich nicht beweisen, daß verschiedene Zeiten jene beiden Auffassungen des Schlafes geschaffen haben. In der ältesten ausführlichen Darstellung erscheint EL als Schlafspender. Hom. H. XIV 231ff. sucht Hera auf Lem-nos den ,Herrscher Über Menschen und Gütter* und 10 bittet ihn, Zeus’ Augen zufallen zu lassen; der Dämon weigert sich, weil er schon einmal auf Heras Bitte, um Herakles zu verderben, Zeus entschlummern ließ, und vor dessen Bache nur von Nyx, der Nacht geschützt wurde. Auch H.s koboldartige Natur kommt in der weiteren Beschreibung zur Geltung; nachdem er nach Heras Versprechen, ihm Pa-sithea, die jüngste der Chariten, zur Frau zu geben, zugestimmt hat, setzt er sich in der Gestalt eines Nachtraben (λώλς, χνλίΛ) auf die höchste 20 Tanne des Ida. Auch der nordische Volksglauben kennt diesen gespensterhaften Vogel, der Kinder, welche nach Dunkelwerden sich aus dem Haus wagen, zu holen pflegt}}

Neben diesem Schlafbringer muß aber aller Wahrscheinlichkeit nach die älteste Zeit auch eine Personifikation des Schlafes selbst gekannt haben, der mit dem Schlafspender in enger Beziehung stand. Das Homerische Epitheton des Η.: νήδυμος}} (umhüllend, einhüllend) ermöglicht eine etymologische 30 Verbindung mit *Ενδυμίων dem ewig schlafenden Jüngling (Brugmann Ind. Forsch. XI 1900, 277Æ). Auch in späteren Zeiten war die Erinnerung an eine Verbindung dieser beiden noch nicht ganz erloschen. Man erzählte, H. habe den Endymion geliebt und ihn, damit er sich seiner schönen Augen erfreuen konnte, mit offenenAugen schlafen lassen (Likymnios bei Athen. ΧΤΠ 564c; vgl. das Sprichwort: ,Ένδυμίωνος ὕπνον χαθεύδεις*. Diogenian II 48. Suid. usw.). Auf den 40 Endymionsarkophagen (s. u.) sind die beiden gleichfalls unzertrennbar verbunden.

Bei Hesiod (Theog. 755–766) ist das Bild des Schlafbringers und seines Bruders Thanatos eher sinnbildlich. Die Figuren sind nicht koboldartig, sondern dämonisch 3wwi}} θεοί, sie wohnen im Tartaros als Kinder der Nyx, welche nach der Interpolation 756 H. in ihren Armen trägt. Nie dringt ein Strahl der feurigen Sonne zu ihnen durch. Während aber der eine ruhig über Erde 50 und Meere eilt und den Menschen wohlgesinnt ist, ist der andere hartherzig, er hält fest, wen er einmal gepackt hat und ist selbst den unsterblichen Göttern ein Feind.

Nehmen wir als Gegensatz zu diesen alten Darstellungen ein Beispiel aus einer jüngeren Epoche, so finden wir, daß im Laufe der Zeit das Koboldartige dem Göttlichen vollständig Platz gemacht hat, und daß der Schlappender mit der Person des Schlafes ganz zusammenfallt. Orid. met XI 60588–649 schildert einen Besuch der Iris, die auf Iunos Befehl zu H. geölt ist In einem stillen, dämmerigen Baum, wo alles auf Schlaf deutet liegt der Gott auf einem Lager von Ebenholz, unter einer dunklen Decke, inmitten seiner Untertanen, der Träume. Durch Iris Glanz geweckt erwacht H. einen Augenblick, um Iunos Befehl von Morpheus vollbringen zu lassen, schläft aber gleich wieder ein. Eine ähnliche Beschreibung: Stet Theb. X 89ff.}} [325] 825 Hypnos}}

Auch in dem, was uns sonst über H. aus der Literatur bekannt ist, läßt sich die dichterische Darstellung des Schlafes als Person nur selten von dem rein mythologischen, dämonischen Schlaf* bringer trennen. Schon seine Beziehung zu Nyx θo.), welche bei Hes. Theog. 21 1f. 758f. seine utter genannt wird, kann dichterisch aufgefaßt werden, (vgl. Hyg. geneal., wo Erebos als sein Vater genannt wird). Dasselbe gilt für seine Verwandtschaft mit Thanatos, der gewöhnlich sein 1( Zwillingsbruder genannt wird (Hom. II. XIV 231. XVI 672. Hes. Theog. 211ff. 758ff. Orph. Hymn. 85, 8. Verg. Aen. VI 278. VaL Place. Argon. VIII 74. Sen. Here. 1074. Nonn. Dionys. XXXI 117). Ob die späteren Stellen, wo Pasithea als seine Frau genannt wird (Catull. 63, 42ff. Anth. Pal. IX 517, 6. Nonn. Dionys. XXXI 121. 131. XLVII 278 usw.) auf Hom. II. XIV 272 zurück* geführt werden müssen, läßt sich nicht genau bestimmen. (Über Pasithea als Traumgöttin vgl. Cic. 20 de divin. 143. Plutarch. Cleom. 807. Zoega Bas-sir. II 211, 32). Von einer Verbindung mit den Chariten ist sonst nichts bekannt Als Wohnort lernten wir bei Homer schon Lemnos kennen, Hes. Theog. 759 versetzt ihn in die Unterwelt (vgl. Verg. Aen. VI 278. 390). Spätere Schriftsteller, wie Ovid und Statius (s. o.), erdichten ihm irgendwo ein phantastisches Heim, so auch Luc. ver. hist. II 32ff., wo er die Insel der Träume beherrscht.

In der eigentlichen Mythologie spielt H. nur 30 selten eine Rolle. Wie er in den Heraklesmythen auftritt, indem er Zeus auf Heras Befehl einschläfert, während der Held auf seiner Rückfahrt von Troia nach Kos verschlagen wird, ist ersichtlich aus der oben erwähnten Homerstelle (vgl. Gruppe Gr. Myth. 496). Andererseits unterstützt er vielleicht als Sühne für sein Vergehen Herakles in seinem Kampf mit Alkyoneus (Gruppe Gr. Myth. 437). H.s Hilfe bei Dionysos Liebeswerben um die Nymphe Nikaia (Nonn. Dionys. 40 XVI 282) ist wohl sinnbildlich aufzufassen. Über H. als Totenbestatter hauptsächlich Memnons oder Sarpedons werden wir unten bei den bildlichen Darstellungen sprechen.

Als schlafbnngender Gott ist H. engverwandt mit Hermes ὑπνοόότθς, dem Gott, den man vor dem Einschlafen anrief und dem der letzte Becher, der Schlaftrank geweiht war, (s. Krüger Jahrb. f. kL Phil. XXXIII 293ff., wo auch die Belege). Indessen bleibt zwischen beiden immer ein Unter- 30 schied, da Hermes immer nur der Schlafbringer ist, und nie als personifizierter Schlaf aufgefaßt werden kann, wodurch sein Wesen einerseits mehr religionsgeschichtlich hervortritt, er andererseits der dichterischen Phantasie viel weniger Anhaltspunkte bietet

Ein Kult des H. ist für Troizen nachweisbar (Paus. II 31, 3), wo er in Verbindung mit den Musen, als deren Freund er galt, verehrt wurde. Die Tatsache, daß Homer, einer älteren Quelle fol- 60 gend, ihn nach Lemnos versetzt, berechtigt vielleicht zu der Vermutung, daß er dort im Kabeirenkult eine Stätte hatte (Gruppe Gr. Myth. 929, 3). In Sikyon stand neben einer Statue des Asklepios eine des EL epidotes (Paus. II 10, 2; vgl. Gruppe Gr. Myth. 932, 3, der auf die Verwandtschaft mit Zeus epidotes hinwesst). He Verbindung mit As-klepios, eine aus dem Nutzen des Schlafes für}} [326] Hypnos 326}},

Kranke Har hervorgehende Beziehung, ist auch aus Weihinschriften bekannt, z. B. CIA III 132 a}} ’Aaxltxi καὶ 'Ὑγιείρ. καὶ τῷ Ὕχνῳ, wo jedoch die Anwendung des Artikels davor warnt, H. allzu persönlich aufzuftssen.

Bevor wir auf seine äußere Erscheinung in der Dichtkunst und in der bildenden Kunst näher eingehen, müssen wir uns einen Augenblick mit der Weise beschäftigen, in der H. den Schlaf (bringt. Bei Homer ist der Schlaf etwas, was über die Menschen oder über ihre Augen ausgegossen oder gestreut wird}} (χέο, vgl. Sandmann). Hera wünscht z. B. (Hom. II. XIV 164), dieses über Zeus Augen und seinen Verstand zu tun, ruft jedoch bekanntlich hierfür H. zu Hilfe. Eigenartig und ein Beweis für H.s Doppelnatur schon in sehr früher Zeit ist es, daß er sich selbst (Hom. II. XIV 253) gewissermaßen als über den Gott ausgegossen beschreibt. Gitlbauer (Philol. Streif-züge 1–26) hat zuerst auf diese Stelle aufmerksam gemacht und die Übergänge vom unpersönlichen zum persönlichen Schlaf nachgewiesen. In späterer Zeit pflegt er die Schläfe der Müden mit einem in der Lethe angefeuchteten Zweige zu berühren (Verg. Aen. V 854ff. Sil. ItaL X 356). Oder er gießt aus einem Horn einschläfernde Säfte über sie aus (SiL ItaL X 35 1f. Stat. Theb. I 244. II 144. V 199. VI 27. X 105. Serv. Aen. I 692. VI 893. Fronto de fer. Als. 279 Nab.). Schon das Wehen seiner Flügel versenkt in Schlaf (Prop. I 3, 45), ja schon seine Nähe wirkt schlaferregend, wie aus der oben besprochenen Schilderung bei Ovid hervorging. Er gilt als geflügelt (Kallim. hymn. Del. 234. Orph. Arg. 1011. Nonn. Dionys. VII 141 und passim. Sil. ItaL X 344. 351. Sen. Here. 1073; manchmal sind es Nachtigallenflügel (Nonn. Dionys. V 411), manchmal fliegt er in der Weise der Schwalben (Fronto a. O. 230).

Daß auch schon in der älteren bildenden Kunst der Schlafspender als schlafend dargestellt wurde, geht aus der Beschreibung der H.-Figur am Kyp-seloskasten hervor. Pausanias (V18,1) beschreibt eine Frau, die an der rechten Hand (oder auf dem rechten Arm) einen schlafenden weißen Knaben führt (oder trägt), an der (oder auf dem) andern aber hat sie einen schwarzen Knaben, der gleichfalls einem Schlafenden gleicht}} ,άμφοτέρσυς διεστραμμένους τοὺς πόδας'. Durch die Inschriften war diese Gruppe als Nyx mit H. und Thanatos gekennzeichnet; wer von beiden H. war, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden (Robert Thanatos 24). Auch ist es schwer zu ergründen, was mit den verdrehten Füßen gemeint sei, vielleicht darf man hier an die korinthischen Vasen erinnern, wo die Rückkehr des Hephaistos auf den Olymp dargestellt ist und der Gott gleichfalls umgekehrte Füße hat (Löschcke Athen. Mitt. XIX 1894. Gaidoz Les pieds ou les genoux à rebours, Mélurine VI 172ff. VIII 77ff.).

Die erhaltenen malerischen H.-Darstellungen lassen sich in Gruppen einteilen. Auf den Alkyo-neusvasen besitzt H. keine individuelle Charakterisierung, wir sehen ihn als Heine, meist nackte Flflgelflgur, die rieh in der Nähe des Riesen oder sogar auf ihn salbet hingesetrt hat. Nur einmal ist er bekleidet und drückt anstürmend Alkyo-neus Kopf zu Boden (Koepp Arch. Ztg. 1884}}, [327] 827 Hypnos}}

Slff. Winnefeld a. O. 8f.). An »weiter Stelle kommen Vasen in Betracht, die Sarpedons oder Memnons Bestattung darstellen (Brunn KL Schr. III M 116Æ Kobert Thanatos 7ff.; Bildend Lied 104ÎT.). H. erscheint hier ausnahmslos in Verbindung mit seinem Zwillingsbruder Thanatos. Ursprünglich traten die beiden geflügelten Dämonen in voller Rüstung auf, später nackt und auch bärtig. Mit diesem Schema hängen auch die Deckelgriffe etruskischer Cisten zusammen (Vasen, Cistengriffe und Gemmen, zusammengestellt bei Winnefeld a. O. 4L). Auch hier bestehen keine deutlichen Charakterunterschiede zwischen H. und Thanatos mit Ausnahme eines sehr späten Beispiels (Robert a. O. 17). Für diese Übereinstimmung hat Rohde (Psyche² 86, 1) wohl die richtige Losung gefunden, indem er meint, daß sowohl bei Homer als auf diesen Vasen H. ein unvermeidlicher improvisierter zweiter Träger der Leichname ist, eine sinnreiche, aber auf keinem religiösen Grunde ruhende Erfindung. Als Beweis hierfür kann dienen, daß der zweite Träger nicht immer H., sondern einmal eine Frauenfigur ist (Furtwängler Gemmen XVI 22. Auch zwei Frauen, Furtwängler Gemmen XVI 23). Etwas anders mochte dieses nach Rohdes Meinung bei der ikonographisch mit der vorigen Gattung zusammenhängenden Gruppe polychromer Lekythen sein, wo ein beliebiger Toter von denselben Dämonen bei seinem Grab niedergelegt wird; hier könnte vielleicht .etwas Ähnliches tröstlich angedeutet werden, wie in den Grabepigrammen}}: ὕπνος ἔχβι as, μακάρ... καὶ νίκης οὐκ ἐγένου'. Bei dieser Gruppe (Winnefeld a. O. 6f.) sind die Zwillingsbrüder von vornherein anders auf-gefaßt: H. ist hier ein schöner freundlicher Jüngling, mit gewaltigen Schulterflflgeln, bekleidet mit Chiton oder Chlamys oder auch ganz nackt... während Thanatos als reifer Mann erscheint, in etwas schwankender Auffassung, bald als der milde, wenn auch ernste Erlöser vom Leiden, bald als der grausame, unerbittliche Zerstörer der Freuden der Oberwelt*.

H. als Jüngling ist auch das beliebte Motiv der plastischen Kunst. Literarisch bezeugt sind plastische H.-Figuren in Sparta (Paus. III 18, 1); m Sikyon (Paus. II 10. 2) und an derselben Stelle ein wahrscheinlich späterer H., der einen Löwen einschläferte (Paus. II 10, 3). Dagegen ist uns über den Verfasser des Typus, der uns am besten aus der berühmten Madrider Statue bekannt ist, zn welcher der nicht weniger bekannte Bronzekopf aus Perugia (Brit. Mus.) paßt, literarisch nichts überliefert. Der Jüngling geht in schnellen aber leisen, schleifenden Schritten, die in der Bewegung an das schwebende Gleiten des Schlittschuhlaufens erinnern, mit der rechten erhobenen Hand hält er das Horn, woraus er den Schlaf auf die Lider der Menschen ausgießt, die linke gesenkte Hand hält einen Mohnstengel, der Kopf ist noch etwas mehr als der ganze Oberkörper gebeugt, die Augen schauen ,in eine bestimmte Richtung, aber nicht nach einem festen Punkt* (Winnefeld). In der ganzen Bewegung liegt die träumende Zielbewußtheit des Nachtwandlers. Der Sehlafspender ist auch hier teilweise der Schlafende. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die eigenartige Anbringung der Flügel an}} [328] Hypnos 828.}}

den Schläfen, die hier zuerst als individuelle Er findung eines großen Künstlers auftreten« Ober die symbolische Bedeutung dieser Flügel hat man sich oft gestritten. Einmal sollen sie das Schattenhafte seines Wesens bezeichnen (Zoega Bassir. II 208), dann wieder das lautlose Schweben des-Gottes veranschaulichen (Friederichs* Wolters nr. 1278. Winnefeld a. O.14). Eine sprachliche Beziehung zwischen den beiden Seiten der Stirn 10}} (κρόταφοι, tempora) und dem Schlaf kennt weder das Griechische noch das Latein. Aber schon in einigen Mundarten des Italienischen sind diese-Teile als Sitz des Schlafes angedeutet: siziL Sonnu (aus somnus); pannes, dormidor, dieses macht für das Deutsche den etymologischen Zusammenhang zwischen Schlafen und Schlaf, Schläfe fast zur Gewißheit. Kilian gibt in seinem Wörterbuch folgende Erklärung: quod putoino aut padma manus dormientium tempora fuleiantur: quodque pro-20 funde dormire Voten# in dextrum et sinisirum tem-pus incumbat: a requie enim temporum somnus ad oculos venit, oui etymo non mate convenit illud psalmistae: si dedero somnum oculis meis etpal-pebris meis dormitationem, et requiem tempori-bus meis. Ähnliche Beziehungen zwischen den tempora capitis und dem Sitze des Schlafes waren den Alten, obwohl sie sie in der Bezeichnung der Körperteile nicht zum Ausdruck brachten, nicht unbekannt, wie dieses hervorgeht aus Verg. Aem 30 V 854: Ramum Lethaeo rore madentem, vique soporatum Stygia super utraque guassai tempora und aus der wohl von Vergil abhängigen Stelle bei Sih Ital. X 356: langens Lethaea tempora virga. Wahrscheinlich hat dieses zu der eigenartigen Beflügelung Veranlassung gegeben. Der Gesamteindruck des Kunstwerks erinnert an die späte Fabel des Fronto, wo er die Entstehung des Schlafes beschreibt (de fer. Als. 228f. Naber), Iuppiter erschafft hier, nachdem er gesehen hat 40 daß die Menschen die Einteilung in Tag und

Nacht nicht mehr einhalten, und daß keiner der anderen Götter im stände ist, hier über die Ordnung zu sorgen, den Schlaf und übergibt ihm die Schlüssel der Augen» Er selber stellt die-Säfte her, womit H. die menschlichen Herzen ein-schläfern soll, indem er aus den himmlischen Wäldern die Kräuter der Sicherheit und der Wonne, von den Acherontischen Wiesen dagegen das Kraut des Todes holt, von diesem jedoch nur einen 50 Tropfen, nicht größer als die Träne eines Heuch}}

lers hinzugießt. Auch in unserer Statue scheinen Sicherheit, Wonne und Tod zu einem Wunderwesen verschmolzen.}}

Die Repliken dieser Figur sind angegeben bei Winnefeld (a. O. 8) und ergänzt von Furtwängler (Meisterwerke 648, vgl. auch Basin Gaz. archéol. 1888,25ff.). Furtwängler glaubte-das Bronzevorbild der Madrider Statue Skopaa zuschreiben zu können (Meisterwerke 648). Einen 60 etwas abweichenden H.-Typus glaubt Winnefeld}}

in der mit der Narcissusgruppe zusammenhängenden Karlsruher Jünglingsstatue entdeckt zu haben (a. O. 28«.}}).

Sehr wechselnd ist Es Gestalt auf Sarkophagen. Auf einigen Endymionsarkopbagen ist an dem Typus der Madrider Statue festgehalten, nur mußte durch die Bedingungen das Reliefs die Figur stark abgeändert werden und hat hierbei.}} [329] 829 Hypnos}}

den Reu der gleitend schwebenden Bewegung ver-loren (Winnefeld a. O.10). Neben dieser jungen Gestalt kommt Aber gleichfalls auf Endymion-sarkophagen Öfters ein bärtiger H. vor, eine Dar-Stellung, die zwischen Güte und Dämonenhaftig-keit hin und herschwebt. H. steht hinter dem schlafenden Jüngling oder schreitet in wenigen Fällen auf ihn zu, die Haltung ist ruhig, oder er gießt aus seinem Horn den Schlaf aus, manchmal treten Kopfflügel auf. Die Schulterflügel sind einmal 10 Vogelflügel, dann wieder Schmetterlingsflügel. Eine ähnliche Darstellung Anden wir auf Gemmen (Furtwängler Gemmen 36, 20: H. mit Frau; 30, 53: H. mit einem zusammengekauerten jungen Mädchen). Das albanische Relief, über das Zoega (Bassir. II Taf. 93) seinen oft erwähnten Aufsatz schrieb, gehört in diese Gruppe. Wiederum anders sind jene Endymiondarstellun-gen, bei denen H. als alter sitzender Mann den Schläfer, dessen Mantelzipfel er ergriffen hat, in 20 seinem Schoß hält Eine ähnliche Darstellung findet sich auf einem Ariadnesarkophag in Blenheim (Zusammenstell, d. Typen und der Sarkophage bei Winnefeld a. O. 16ff.). Mit diesem alten Manne lassen sich die jugendlichen Figuren, welche auf pompeianischen Wandmalereien weibliche Figuren im Schoße halten, vergleichen (Winnefeld 25). H. Hennen finden sich auf Gemmen (Furtwängler Gemmen XXVI 41, 42.}}

XXX 24. 25. 26). 30

Es ist eigenartig, daß eine der spätesten Darstellungen, der alte Mann, sich in gewissem Sinne der ursprünglichen Vorstellung wieder mehr nähert und dämonischer wird, als der schreitende Jüngling des 4. Jhdts. Dieses zeigt uns, wie stark das Vermögen der Alten war, Begriffe persönlich aufzufassen, ja jeden zu einem Wesen zu gestalten, welches, einmal entstanden, seine selbständige Existenz besaß, die es außerhalb der Möglichkeit willkürlicher Umbildung stellte. Selbst bei 40 einer Figur wie H., die kaum mythisch genannt werden kann und nur die äußerste Grenze der Religion streift, zeigt sich dieses. Die Figur ist mit allen Mitteln der Vernunft und der Phantasie betrachtet und geschildert: abstrakt, sinnbildlich, allegorisch, symbolisch, dichterisch, philosophisch, aber durch alle diese Auffassungen schimmert immer dasselbe Wesen hindurch: ein Dämon, der bringt, was er selbst darstellt, ein Kobold des schlafspendenden Schlafes. [Jolies.] 50}}

[Jolles. ]