Republikanische Hofetiquette

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Textdaten
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Autor: L. B.
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Titel: Republikanische Hofetiquette
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 343–344
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Republikanische Hofetiquette.
Ein amerikanisches Sittenbild.

Wer etwa glauben wollte, daß es in dem „Weißen Hause“ in Washington, der Wohnung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, ganz in demokratisch-republikanischer Einfachheit zugehe, und daß aus diesem Gebäude alle und jede Etiquette verbannt sei, der würde sich sehr irren. Ist auch der oberste Executivbeamte der großen Republik nur ein „König im Frack“, wie er oft wegen der großen ihm eingeräumten Rechte und Gewalten genannt wird, so gelten doch auch in seinem bürgerlichen Hause Regeln, welche denjenigen sehr nahe kommen, die in einer fürstlichen Hofhaltung üblich sind. Vor der Gründung des nordamerikanischen Freistaates waren die Hauptstädte der Colonien die Sitze von ebenso vielen Hofhaltungen der Gouverneure, an denen goldgestickte und besternte Uniformen und kostbare Damentoiletten glänzten, und als nach Beendigung des Unabhängigkeitskrieges die Frage: „Ob Republik oder Monarchie“, endlich zu Gunsten der ersteren entschieden und General Georg Washington zum Präsidenten erwählt worden war, fiel zwar der königliche Aufwand, aber keineswegs die königliche Etiquette weg.

Der „Vater des Vaterlandes“ war seiner Geburt, seiner Erziehung und seinem ganzen früheren Leben nach in gesellschaftlicher Hinsicht aristokratisch angelegt, so sehr er auch in politischer Beziehung ein grundsätzlicher Republikaner gewesen sein mag; so lange er an der Spitze der Regierung stand, war von seinem Hause alles, was an demokratische Gleichheit angestreift hätte, streng verbannt. Der Sitz der Regierung war in den ersten Jahren der Republik in New-York, und dort, wo kurz vorher die englische Aristokratie, Officiere und Civilisten, den gesellschaftlichen Ton angegeben, hielt Georg Washington „republikanischen Hof“, wie die damalige „Gesellschaft“ es selbst gerne mit besonderem Stolze ausdrückte. Mit gepudertem Haupte, in kurzen Beinkleidern und Schnallenschuhen mußte erscheinen, wer zu dem republikanischen Hofe und seinen Festlichkeiten zugelassen war, und der einzige merkbare Unterschied zwischen früher und jetzt war die blaue Officiersuniform, welche die Stelle der rothen eingenommen hatte.

Besonders bemerkenswerth waren zu damaliger Zeit die Neujahrsempfänge des Präsidenten, „Präsidenten-Levers“ genannt, bei denen jedoch nur die hohen Civil- und Militärwürdenträger, die fremden Gesandten, die Mitglieder des Congresses und sonstige ausgezeichnete, an dem republikanischen Hofe eingeführte Personen mit ihren Damen erschienen, während alle Andern von der Betheiligung an diesem Empfange ausgeschlossen waren. Diese Hofetiquette hat sich nicht nur während der zwei Regierungstermine Georg Washington’s, sondern auch unter seinen Nachfolgern in der Präsidentschaft erhalten, bis General Andrew Jackson zum obersten Regierungsbeamten erkoren wurde. Jackson, der Sieger in der Schlacht von New-Orleans und im Seminolenkrieg, war keineswegs der Mann der Etiquette. Er hatte als junger Advocat eine verheirathete Frau entführt, war mit ihr geflohen, und nachdem der verlassene Ehemann eine Scheidung erwirkt, hatte er sich mit ihr ehelich verbunden. In New-Orleans hatte er wenige Tage vor der Schlacht das Kriegsgesetz proclamirt, einige unzufriedene Bürger verhaften lassen, und als Richter Hall mit einem Habeas-Corpusbefehl einschreiten wollte, ließ er diesen selbst in’s Gefängniß werfen. Nachdem die Engländer geschlagen und New-Orleans gerettet war, verurtheilte ihn derselbe Richter Hall wegen Ungehorsams gegen die richterliche Autorität (contempt of court) zu einer Geldstrafe von eintausend Dollars, welche der siegreiche General ohne alle Weigerung bezahlte. Jackson führte einen Ton in der Stadt Washington und im „Weißen Hause“ ein, welcher von dem am „republikanischen Hofe“ gewohnten grell abstach.

Schon am Tage von Jackson's Regierungsantritt, bei der feierlichen Einführung in’s Amt, muß es im „Weißen Hause“ arg zugegangen sein, wenn die Beschreibung, welche ein Zeitgenosse, Richter Story, davon macht, nicht übertrieben ist. „Die verschiedensten Personen,“ sagt Story, „hatten sich eingefunden, die feinsten Leute, wie die gemeinsten Kerle. Um den Präsidenten zu sehen, sprangen sie mit ihren dicken, schmutzigen Stiefeln auf die seidenen Stühle und kauten dabei ihren Tabak. Erfrischungen standen und lagen in Massen bereit, unter Anderem ganze Fässer voll Orangenpunsch. Als die Aufwärter herbeikamen, um das Getränk herumzureichen wurden sie von der Menge wild angefallen. Man zerbrach die Gläser; der Punsch schwamm auf dem Estrich. Alles schrie und lärmte, drängte und stieß laut und bunt durch einander. Es war für die Diener ganz unmöglich, durchzudringen und auch den im Hintergrunde mit Ungeduld harrenden Damen einige Erfrischungen zu bringen. Endlich rollten sie die Fässer mit Punsch hinab in die Gärten, um die Menge dorthin zu locken. Es war ein widerlicher, gräßlicher Anblick; die Regierung des Pöbelkönigs hatte begonnen.“

Unter Jackson’s Präsidentschaft scheint das Volk auch zum ersten Male zum Neujahrsempfange zugelassen worden zu sein, wobei es, wenn auch nicht so bunt, wie am Inaugurationstage, doch immerhin sehr plebejisch zugegangen sein muß. Der Präsident ließ nämlich im sogenannten Ostzimmer den Neujahrsgratulanten einen großen Käse aufstellen von dem sich Jeder, so viel er wollte, herunterschneiden konnte, und von dem die Abfälle, wie die gesellschaftliche Chronik aus jener Zeit meldet, auf den kostbaren Teppichen zertreten wurden.

Standen schon diese Anfänge der Verwaltung des Präsidenten Jackson in scharfem Gegensatze zu dem aristokratischen Tone, der zu Washington’s und seiner unmittelbaren Nachfolger Zeiten an dem „republikanischen Hofe“ herrschte, so sollten bald durch eine verrufene Frau nicht blos scandalöse Störungen in das höhere gesellschaftliche Leben der Bundeshauptstadt gebracht werden, sondern es wurde selbst eine Auflösung des Cabinets dadurch herbeigeführt. Der Präsident hatte nämlich, trotz des energischen Abrathens seiner Freunde, mit der ihm eigenen Halsstarrigkeit einen schlecht beleumdeten Major und Advocaten, Namens Eaton, zum Kriegsminister ernannt. Dieser Eaton hatte die Wittwe eines Zahlmeisters der Kriegsflotte geheirathet, die Tochter eines Wirthes der Bundeshauptstadt, welche sich durch ungemeine Schönheit, aber auch durch freches Benehmen auszeichnete und nur unter dem Namen „die Pompadour“ oder „die Aarons-Schlange“ bekannt war; sie wurde begreiflicher Weise von den Gemahlinnen der anderen Minister und überhaupt von der vornehmen Welt in den gesellschaftlichen Bann gethan und nur in den Häusern derjenigen fremden Gesandten zugelassen, die keine Frauen hatten. Als der Präsident endlich soweit ging, seinen Ministern über ihr Benehmen gegen die Frau des Kriegsministers Vorstellungen zu machen, wurde ihm bemerkt, daß in Familienangelegenheiten die Herren Minister keine Einmischung, selbst nicht von Seiten des Oberhauptes der Republik, duldeten. Die Auflösung des Cabinets, freilich unter Angabe anderer Gründe, war der Schlußact dieses Skandals am demokratischen Hofe des „Pöbelkönigs“.

In neuerer Zeit ist dies nun freilich alles anders geworden. Von Hofskandalen hat man seit Jackson’s Zeiten nie wieder gehört, [344] und namentlich der letzte Präsidentenhaushalt konnte in jeder Beziehung dem amerikanischen Volke als ein nachahmungswürdiges Muster dienen. Demokratische Einfachheit und fürstliche Etiquette finden sich im Weißen Hause, wenn auch nicht verschmolzen, doch neben einander gereiht. Wenn auch weder Fässer mit Orangenpunsch noch Käselaibe zur Bewirthung des Volkes aufgestellt werden, so hat doch jeder anständig gekleidete, nüchterne und sauber gewaschene Mensch freien Zutritt in das Wohngebäude des Präsidenten und zu den gewöhnlichen Audienzstunden von Morgens zehn bis Nachmittags zwei Uhr zu dem Präsidenten selbst. Man kann dort täglich, namentlich zur Zeit der Congreßsitzungen, Schaaren von Bürgern und Bürgerinnen, oft unter Führung des Congreßrepräsentanten ihres Bezirks, das Audienzzimmer betreten und dem Präsidenten durch ein Schütteln der Hand ihre Achtung bezeigen sehen, und während der Saison - das heißt im Januar und Februar - giebt die Gemahlin des Präsidenten öffentlichen Empfang, welcher jeden Samstag von drei bis fünf Uhr Nachmittags stattfindet. Um diese Zeit sind alle Empfangszimmer geöffnet, und Vornehm und Gering, Reich und Arm hat Zutritt und marschirt im Zuge bei der Präsidentin vorbei, welche, von den besonders hierzu eingeladenen Damen der Minister, Senatoren und sonst bevorzugter Personen umgeben, jedem und jeder Besuchenden die Hand giebt und sich mit Einzelnen unterhält.

Eigentliche Staatsdiners giebt es wenige, und da die Gemahlin des vorigen Präsidenten Hayes in ihrem Hause den Gebrauch von Wein nicht duldete, so waren diese Diners in der letzten Zeit fast ein Gegenstand der Verspottung. Nur als vor einigen Jahren die russischen Großfürsten mit dem russischen Kriegsgeschwader in die amerikanischen Gewässer kamen und ihnen zu Ehren ein Gastmahl im Weißen Hause gegeben wurde, setzte es der Staatssecretär durch, daß trotz der Schrullen der Frau Präsidentin den Gästen, wie dies bei solchen Gelegenheiten an königlichen Tafeln gebräuchlich, Wein credenzt wurde, während der Präsident selbst und seine Familie sich mit Kaffee begnügten.

Außer einigen Empfangsabenden des Präsidenten, zu denen Jedermann Zutritt hat, findet einmal im Winter zu Ehren des diplomatischen Corps ein Lever statt, zu welchem nur die höheren Civil- und Militärwürdenträger, die Mitglieder des Senates und Repräsentantenhauses und hervorragende Bürger mit ihren Familien eingeladen werden. Das Ceremoniell ist dem bei fürstlichen Soirées sehr ähnlich. Die Gäste ziehen bei dem Präsidenten und seiner Gemahlin vorüber und werden von dem als Ceremonienmeister fungirenden Beamten aus dem Haushalte dem Präsidenten vorgestellt, welcher dem so Vorgestellten die Hand reicht und ihn dann seiner Gemahlin vorstellt. Im Uebrigen geht es so wie etwa an dem gastfreundlichen Hofe des Königs von Sachsen zu.

Die hauptsächlichste officielle Feierlichkeit, bei welcher förmliche Hofetiquette mit republikanischer Einfachheit Hand in Hand geht, ist der Neujahrsempfang im „Weißen Hause“. Wie in den monarchischen Residenzstädten durch gedruckte Hof-Ansagen, so wird in der Bundeshauptstadt der Vereinigten Staaten das am ersten Tage des neuen Jahres in dem Hause des Präsidenten zu beobachtende Ceremoniell in den Zeitungen bekannt gemacht. Zu dieser Feierlichkeit wird das „Weiße Haus“ mit Allem, was die Treibhäuser des botanischen Gartens, des landwirthschaftlichen Departements und der mit der Präsidentenwohnung verbundenen Gärten liefern können, geschmückt und die Musikcapelle des Marinecorps in ihren glänzenden Uniformen in der geräumigen Vorhalle stationirt, damit sie während des Empfanges durch Vorträge nationaler Melodieen die feierliche Stimmung erhöhe.

Statt der an fürstlichen Höfen bei solchen Gelegenheiten aufgestellten Livréebedienung fungiren hier Polizisten der Hauptstadt in ihren einfachen, aber kleidsamen Uniformen, um sowohl vor als in dem Hause ordnend und leitend einzugreifen. Der Empfang, welcher programmgemäß vier Stunden dauert, von denen die beiden ersten den officiellen Persönlichkeiten und die beiden letzten dem Volke gewidmet sind, wird um 11 Uhr Vormittags durch die Cabinetsmitglieder und das diplomatische Corps eröffnet, denen in Zwischenräumen von je 15 Minuten die Mitglieder des obersten Bundesgerichtes, die Senatoren und Congreßrepräsentanten, dann die Officiere der Armee und Flotte und die sonstigen höheren Beamten folgen. Wenn man die glänzenden Uniformen der Diplomaten und die nicht minder glänzenden der höheren Armee-Officiere bei dieser Gelegenheit betrachtet, so möchte man wirklich zweifeln, ob man an einem „republikanischen Hofe“ sich befindet.

Um 1. Uhr des Nachmittags wird das Haus dem Volke geöffnet, und jetzt beginnt der echt demokratische Theil des Festes. Jeder anständig aussehende Mensch, Mann oder Frau, hat jetzt Zutritt zu dem obersten Beamten des Landes. In langen unabsehbaren Reihen, ohne Unterschied des Ranges oder des Standes, der Hautfarbe oder des Geschlechtes, in vollkommen demokratischer Gleichheit, bewegen sich die Bürger und Bürgerinnen durch die Säle und schütteln im Vorbeizuge ihrem Präsidenten die Hand, welcher, umgeben von seiner Familie und den geladenen Damen, mit derselben freundlichen Miene, die er für den reichsten Bürger zur Verfügung hat, den armen anspruchslosen Neger und Schuhputzer begrüßt. Wer dir heute Morgen den Bart geschoren oder die Stiefel geputzt, ist jetzt vielleicht dein Vormann in der Reihe; denn er ist früher als du auf dem Platze gewesen und die Neuankommenden haben sich dem Ende der Reihe anzuschließen.

So wird man empfangen „am Hofe“ der durch die Werke der friedlichen Arbeit gewaltig emporwachsenden amerikanischen Republik.

L. B.