Requiem (Rilke)
Clara Westhoff[1] gewidmet
auf Erden. Mehr um einen Kranz.
Vor einer Weile war das leichtes Laub … Ich wands:
Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer
aus meinen Dingen zukünftige Nächte.
Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht,
allein mit diesem Kranz, den ich gemacht,
nicht ahnend, daß da etwas wird,
ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen:
daß etwas nicht mehr sein kann. Wie verirrt
in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn,
die ich schon einmal gesehn haben muß …
Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen
Fingern fiel eine und eine, bis daß der Strauß nicht
mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nach
Haus gebracht, gerade gut zum Verbrennen war.
schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen.
Gretel, von allem Anbeginn,
war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,
blond zu sterben.
und dann einen Bruder,
damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine,
welche das Sterben dir zeigten,
dein Sterben.
Deine Geschwister wurden erfunden,
nur, damit du dich dran gewöhntest,
und dich an zweien Sterbestunden
die dir seit Jahrtausenden droht.
Für deinen Tod
sind Leben erstanden;
Hände, welche Blüten banden,
und die Menschen mächtig empfanden,
hat man gebildet und wieder vernichtet
und hat zweimal das Sterben gedichtet,
eh es, gegen dich selbst gerichtet,
… Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin?
war es dein Feind?
Hast du dich ihm ans Herz geweint?
Hat es dich aus den heißen Kissen
in der niemand schlief im ganzen Haus …?
Wie sah es aus?
Du mußt es wissen …
– – – – – – – – – – – – – –
wie die Mandeln blühn
und daß Seeen blau sind.
Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind,
welche die erste Liebe erfuhr,
in des Südens spätdämmernden Tagen
so unendliche Schönheit ein,
wie sonst nur selige Lippen sie sagen
seliger Menschen, die zu zwein
leiser hast du das alles gespürt, –
(o wie hat das unendlich Grimme
deine unendliche Demut berührt).
Deine Briefe kamen von Süden,
endlich bist du selbst deinen müden
bittenden Briefen nachgereist;
denn du warst nicht gerne im Glanze,
jede Farbe lag auf dir wie Schuld,
denn du wußtest: Das ist nicht das Ganze.
Leben ist nur ein Teil … Wovon?
Leben ist nur ein Ton … Worin?
Leben hat Sinn nur verbunden mit vielen
Leben ist so nur der Traum eines Traumes,
So ließest dus los.
Groß ließest dus los.
Dein war so wenig: Ein Lächeln, ein kleines,
ein bißchen melancholisch schon immer,
sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer,
das dir seit dem Tode der Schwester weit war.
so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel.
Aber sehr viel
warst du. Und wir wußtens manchmal,
wenn du am Abend kamst in den Saal;
eine Menge ist eingetreten,
eine Menge, welche dir nachgeht,
weil du den Weg weißt.
Und du hast ihn wissen gemußt
gestern …
Jüngste der Schwestern.
Sieh her,
dieser Kranz ist so schwer.
diesen schweren Kranz.
Kanns dein Sarg aushalten?
Wenn er bricht
unter dem schwarzen Gewicht,
von deinem Kleid
Efeu.
Weit rankt er hinauf,
rings rankt er dich um,
regt dich auf mit seinem Geräusch;
so keusch bist du.
Aber du bist nicht mehr zu.
Langgedehnt bist du und laß.
und naß
tritt der Efeu ein …
– – – – – – – – – – – – – –
Wie Reihn
von Nonnen,
an schwarzem Seil,
weil es dunkel ist in dir, du Bronnen.
In den leeren Gängen
deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen;
sich begegneten mit bleichen
Freuden und Erinnerungen,
wandeln sie wie im Gebet
in das Herz, das, ganz verklungen,
Aber dieser Kranz ist schwer
nur im Licht,
und sein Gewicht
wenn ich ihn zu dir legen werde.
Die Erde ist voller Gleichgewicht,
deine Erde.
Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen,
die ich um ihn getan;
Aengste aller, welche ihn sahn,
haften daran.
Nimm ihn zu dir, denn er ist dein
Nimm ihn von mir.
Laß mich allein! Er ist wie ein Gast …
Fast schäm ich mich seiner.
Hast du auch Furcht, Gretel?
Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn?
Thun dir die Füße weh?
So bleib wo jetzt alle beisammen sind,
man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind,
Man wird ihn dir bringen, warte getrost, –
man bringt dir morgen noch mehr.
Wenn es auch morgen tobt und tost,
das schadet den Blumen nicht sehr.
sie sicher zu haben, mein Kind,
und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht
und lange vergangen sind.
Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr
die Farben sind zu und die Töne sind leer,
und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer
dir alle die Blumen bringt.
Jetzt weißt du das Andre, das uns verstößt,
von dem, was du sehntest, bist du erlöst
zu etwas, was du hast.
Unter uns warst du von kleiner Gestalt,
vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald
Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt:
Dein Tod war schon alt,
als dein Leben begann;
drum griff er es an,
Schwebte etwas um mich?
trat Nachtwind herein?
Ich bebte nicht.
Ich bin stark und allein. –
und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte.
Noch glänzt es mit schwarzem Glanz.
Und meine Kraft
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Clara Westhoff (1878–1954), deutsche Bildhauerin und Ehefrau von Rainer Maria Rilke.