Sacramento-City in Kalifornien. (Im Jahr 1850.)
| Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig. |
„Jeder sieht die Dinge anders“. – Dieser Ausspruch der Stagyriten gilt nicht minder für den geistigen, wie für den leiblichen Blick des Menschen. Von den Millionen, welche vor der hereinbrechenden Barbarei und dem unleidlich werdenden Drucke mit dem Reste ihrer Habe und ihrer Hoffnungen über den Ocean flüchten, um auf der gelobten Erde der neuen Welt sich ein vernünftigeres, freieres, gesicherteres, menschlicheres Daseyn und ihren Kindern eine hoffnungsvolle, ungetrübte, bessere Zukunft zu gründen, empfängt ein Jeder von dem gesellschaftlichen, geschäftlichen und häuslichen Leben und Charakter der Amerikaner seine besondern Eindrücke, und sie werden um so wunderlicher, je träumerischer und phantastischer, je falscher und irriger die meisten Vorstellungen sind, welche den Auswanderer über das Meer begleiten. Jedoch nicht bloß am Neuling haften die Vorurtheile, durch welche er die amerikanischen Verhältnisse wie durch gefärbte Gläser betrachtet; selbst viele, und unter diesen geist- und kenntnißreiche Männer, welche schon mehre Jahre in der Union gelebt haben, sind unvermögend, die Vorstellungen, welche sie aus der alten Welt hinübertrugen, abzuschütteln, und so spricht Mancher mit Ueberzeugung Urtheile aus, die der Wahrheit widersprechen. Für Berichterstatter dieser Gattung gibt es nichts Widerlicheres, Ungenießbareres, Schlimmeres als das dollarjagende Yankeegeschlecht. Ihnen ist die große Nation nicht viel mehr als der Auskehricht aller Völker, eine Rotte von Schwindlern und Humbugmachern, von Heuchlern und gewissenlosen Menschen. Lese ich die Urtheile von solchen Leuten, welche ihre unpraktischen Ideen über Staat und Gesellschaft aus dem alten Vaterlande mit nach Amerika hinüber nahmen, in der Meinung, sie würden dort die vollkommene Verwirklichung ihrer Träume finden, so nimmt mich das nicht Wunder; bestreben sich die bezahlten Federn der Gewalt in Tageblättern und Büchern, welche offiziösen Inspirationen ihr Entstehen danken, mit beharrlichem Eifer die amerikanischen Zustände als halbbarbarische zu schildern, nur erträglich für rohe Naturen, für den hochgebildeten Europäer hingegen ein Abscheu, und würdigen sie mit mehr oder minder verhüllter
[110] Perfidie das Große und Herrliche, weil es sich doch nicht wegleugnen läßt, in seinen Ursachen, Tendenzen und Erscheinungen herab, so finde ich es in der Ordnung; denn solche Wichte schreiben ja für ihrer Herren Brod; wenn dann und wann ein unglücklicher Phantast aus Amerika wiederkehrt und in bitterem Unmuth sein mitgebrachtes Bündel selbstverschuldeter Täuschungen auspackt, so versage ich ihm, wäre er auch ein Narr, meine Theilnahme nicht; widerlich sind mir nur jene von Zeit zu Zeit sich erneuenden Stimmen, welche als „langjährige Settlers“ firmiren und unter diesem Autoritätstitel die amerikanischen Verhältnisse so schildern, daß bei dem Vergleich derselben mit den europäischen diese eben so viel gewinnen, als jene verlieren. „Man muß den Herrgott mit dem tiefsten Schwarz anstreichen, damit der Teufel wenigstens dunkelbraun erscheine“ – meinte Luther, und von gewissen Leuten wird dies Färberkunststück noch alle Tage geübt. –
Auf der anderen Seite stehen die Yankeemanen, welche Menschen, Zustände und Dinge in Amerika bis in den siebenten Himmel erheben und in ihren Panegyriken eben so wenig vernünftiges Maß halten, als jene mit ihren Schmähungen und ihrem Spotte. Ihrer Meinung nach gibt es keine humanere Varur, als die des Amerikaners, keine zuverlässigern, dienstfertigern Menschen im Umgang und in Geschäften; keine frömmeren und gottesfürchtigeren Leute: vollkommen und des höchsten Lobes werth erscheint alles Amerikanische vor ihren Augen und ihrer Feder. Diese Darstellungen, seyen sie auch der wahre Ausdruck enthusiastischer Bewunderung – schaden der Sache dennoch, indem sie übertriebene Vorstellungen von der Glückseligkeit amerikanischer Zustände hervorrufen und in so Manchem den Drang zur Auswanderung werkthätig machen, der besser zu Hause geblieben wäre.
„Zwischen den Extremen liegt die Wahrheit“. Das Wahre ist auch in der Mitte dieser Widersprüche zu suchen. Vor Allem muß das Urtheil einen Standpunkt zu erringen trachten, auf dem es mit großem Blick die dortigen Verhältnisse frei überschauen kann, unbeirrt von den Beobachtungen, die in beschränkten Kreisen gemacht werden, auch von persönlicher Erfahrung, die so leicht zu Trugschlüssen über das Ganze verleitet. Je verurtheilsfreier die Betrachtung wird, je tiefer der forschende Gedanke in den Charakter und Sinn dieses großen Volks, dem die Zukunft recht eigentlich angehört, hinabsteigt, je mehr wird man sich vor einem oberflächlichen und absprechenden Urtheile hüten.
In Einem sind die Eindrücke der europäischen Einwanderer gleich und die Urtheile einmüthig: – im Staunen über das Kulturforschreiten des Landes, dessen Größe – ohne Phrase – an das Märchenhafte streift; über die Kühnheit des Unternehmungsgeistes und über die Thatkraft des Amerikaners in allen Dingen, welche auf das praktische Leben Bezug haben. Alle, die ein offnes Auge hinüberbringen, gestehen, daß Das, was sie darüber Rühmendes gelesen und gehört haben, weit hinter der Wirklichkeit blieb. Schon vor dem ersten Fußtritt [111] auf amerikanischen Boden, schon im Hafen von New-York, sieht er Etwas, an das seine aus Europa mit herübergenommenen Vorstellungen nicht reichen: – ein Gewühl des geschäftigen Lebens, so überwältigend groß, daß das in Hamburg, Bremen, Havre oder Antwerpen ärmlich erscheint. Selbst Liverpool hält den Vergleich nicht aus und Londons Geschäftsleben, obschon umfassender, mannichfaltiger und universeller, ist in seiner Bewegung doch weniger rasch, weniger sichtbar und weniger imponirend. London schließt seine Ost- und Westindienfahrer und die Schiffe, welche den unermeßlichen Handel mit den amerikanischen Kontinente vermitteln, in seine Docks ein; es entzieht dadurch gerade die wichtigsten Erscheinungen seiner Geschäftsthätigkeit der allgemeinen Beobachtung. In New-York hingegen liegt das Ganze dem Blicke mit Einem Male offen: tausende von Schiffen umgeben die Stadt in einem 3 Stunden weiten Bogen, kolossale Dampffähren fliegen beständig von einem Ufer zum andern, die Riesen des Oceans, die Steamer von 2 bis 3000 Tonnen, welche an den Kaien liegen, oder kommend und gehend die Wegen brausend durchschneiden, das Gewimmel endlich von einigen tausend Booten und Barken, welche wie die Weberschiffchen beständig hin- und herschießen, machen die Staffage eines Bildes, das in der Welt seines Gleichen nicht findet. – Und welches Jahr wird dem Wachsen dieses rührigen Lebens ein Ziel stecken? Seit einem halben Jahrhunderte hat New-York seine Größe, Population, seinen Handel und Reichthum mit jedem Jahrzehnt verdoppelt, und noch dauert die Entwickelung in immer kolossalerem Verhältniß fort. New-York wird im Jahre 1875 wenigstens zwei Millionen Einwohner haben, und der Betrag seines Handels wird den aller Hafenstädte des europäischen Kontinents zusammengenommen weit überragen.
Doch nicht im Handel allein ist dieses gewaltige, stürmische Leben sichtbar; wahrhaft betäubend ist der Fortschritt in den Gewerben, im Schiffbau, in dem Manufakturwesen, im Ackerbau. Wenige Jahrzehnte genügten diesem herkulischen Volke, um im Schiffbau alle andern Nationen zu überflügeln, eine Handelsmarine zu schaffen, die der englischen bereits gleichkommt an Größe, Zahl und Trefflichkeit; Dampfschiffe zu setzen auf jeden seiner fahrbaren Ströme, seine Seen mit Handelsflotten zu beleben, in seinen Spinnereien und Webereien 1 Million Ballen Baumwolle, zwei Fünftel seiner Ernte, selbst zu verarbeiten und durch seine Landwirthschaft die Brod- und Fleischkammer für die halbe Erde zu werden. Wunderbar und auch für den oberflächlichsten Beobachter augenfällig ist das Geschick, um nicht zu sagen Genie der Amerikaner, neue Werkzeuge zu erfinden, die bekannten zu verbessern, durch tausend Handgriffe und Vortheile sich die Arbeit zu erleichtern und an Menschenkraft zu sparen. Was irgendwo auf der Erde erfunden, entdeckt, ausgesonnen wird, das macht sich das Yankeevolk zu eigen und beutet es energisch aus; jede Vervollkommnung bei einer Manipulation, oder in einem Arbeitsprozeß spürt es auf und wendet es an. Es scheut dabei keine Kosten, fürchtet dabei kein Risiko, und in Folge dieses, die ganze Nation beherrschenden Geistes sehen wir in den amerikanischen Gewerben und Fabriken immer die [112] wirksamsten Arbeitsprozesse thätig. Selbst vom Holzhauer und Farmer hinter’m Pfluge kann der Europäer lernen, welcher großen Verbesserungen die einfachsten und ältesten Arbeiten fähig sind, wenn sich der denkende Mensch derselben bemächtigt und er sich von der Regel der Dummheit befreit, es zu machen, wie es der Vater gemacht hat. Der Engländer Ruhm, im Maschinenbau das erste Volk der Erde zu seyn, ist seit 10 Jahren an die Amerikaner verloren gegangen; der britische Stolz scheut sich nicht mehr, in Anerkennung der amerikanischen Ueberlegenheit, die Muster für seine Fabriken aus New-York und Philadelphia zu holen. – Als die Times in London ihre Riesenpresse aufstellte, welche in einer Stunde 10,000 Exemplare druckt, gerieth die Welt in Staunen; aber klingt es nicht wie ein Mährchen, wenn man hört, daß die beiden größten Zeitungen in New-York bei einer Auflage von 50,000 Exempl. gegenwärtig binnen drei Stunden durch eine Maschine gedruckt werden, die nicht nur die einzelnen Bogen selbst erfaßt und unter die Druckwalzen bringt, sondern sie auch wieder selbst abnimmt, zählt und wohlgeordnet aufschichtet, so daß der Menschenarbeit fast nichts übrig bleibt, als die Herstellung des Letternsatzes und das Beiholen des Papiers? Ja, man hat, um die Superiorität des amerikanischen Maschinenwesens noch anschaulicher zu machen, eine Papierfabrik mit einer solchen Druckmaschine in Verbindung gesetzt und einen Haufen von 700 Ctr. Lumpen binnen 36 Stunden in 30,000 Exemplare von „Onkel Toms Hütte“ verwandelt. In den nächsten 24 Stunden waren sie gebunden und in den Händen von 30,000 Lesern. – Wie würden unsere Bauern sich wundern, die im Vaterlande mit ihrem „Hot!“ und „Har!“ hinter ihren Ochsen und plumpen Pflug fortschleichen und über jeden Verbesserungsversuch des Nachbars mit der Selbstgenügsamkeit der Stupidität den Mund zum Spott verziehen, wenn sie in die Wildnisse des Westens kämen und sähen den Yankee-Farmer mit dem leichten Stahlpflug im Gallopp die Furchen werfen, oder das Eggen, Säen und Walzen in einem Arbeitsprozesse verrichten, oder das Dreschen mit seiner einfachen, leicht zu bewegenden Maschine in zehnfach kürzerer Zeit, und viel vollkommener und besser ausführen, als sie und ihre Väter seit Herrmann des Cheruskers Zeit es mit den schweren Holzflegeln gemacht haben. –
Es ist wohl begreiflich, daß der deutsche Auswanderer von Bildung und Gemüth – während ihn einerseits die Zeichen eines riesenkräftigen Lebens und einer in der Geschichte ganz beispiellosen Entwickelung in Erstaunen setzen, – auf der andern Seite sich doch von der Individualität des Yankeecharakters mehr abgestoßen als angezogen fühlt. Ihm können diese Männer nicht gefallen, die in ihren Stores, in ihren Kontoren, in Wallstreet oder an der Börse, ihm wie lebendige Rechnenmaschinen vorkommen, in deren Schädel kein anderer Gedanke zu sitzen scheint, als den die Spekulation hineinträgt. Er kann die Leute nicht liebenswürdig finden, welche in den Salons der Dampfschiffe und Hotels ernst und wortkarg mit frostigen Mienen, Tabak kauend, die langen Beine auf die Tafeln und Fensterbrüstungen legen; die ungesellig und theilnahmlos, wohl Dollartrachten und Geschäftsgedanken in den [113] Köpfen haben, aber keinen Sinn für das Schöne, keine Freude an der Kunst, kein Gefühl für das Edelste, was des gebildeten Europäers Gemüth bewegt und ihn begeistert. Selbst die Wissenschaften erregen des Amerikaners Interesse in der Regel nur in so weit, als sie in das praktische Leben eingreifen und demselben nützlich werden. Für Poesie hat er selten Empfänglichkeit: metaphysische Spekulation ist ihm so fremd, daß er sie verachtet, und sogar für den reinen Naturgenuß fehlen ihm gemeinlich der feinere Sinn und die wahre Liebe. Er besucht Theater und Konzerte; doch mehr um der Sinne, als um des Geistes willen; er treibt Musik, weil es zum Leben und guten Ton gehört, musikalisch zu seyn; aber wie treibt er sie, und welche Musik genügt seinem Geschmack! Eine Beethovensche Symphonie kann ihn gähnen, eine Mozartsche Sonate schläfrig machen; das Oberflächlichste sagt ihm zu, und ein Vortrag, der das Ohr einer deutschen Zuhörerschaft beleidigen würde, kann ihm noch gefallen und seinen Beifall erlangen. Er kleidet schlechte Kopien guter Bilder in prachtvolle Goldrahmen und hängt sie im guten Glauben, es seyen Originale, in seinen Salons auf: er baut sich seine Wohnungen nach der Chablone, er stattet sie aus in der hergebrachten Ordnung, wie sie Comfort und Bedürfniß ersonnen haben, ohne daß ihm nur die Idee ankommt, Etwas anders zu machen. Fällt es ihm aber ja einmal ein, oder fordert der Zweck des Gebäudes ihn dazu auf, seinen eignen Geschmack in der Baukunst und Ornamentik zu zeigen, so wird er in neun Fällen unter zehn einen architektonischen Wechselbalg zur Welt bringen, der den Bauherren lächerlich macht und dem gebildeten Sinn mißbehagt. Der Amerikaner legt Parks an nach englischen Rissen, und sie werden gefallen, wie diese; so wie er aber seiner eignen Phantasie folgt, so schafft er Karrikaturen; denn das Gefühl für das Naturschöne und das Naturschickliche ist ihm verschlossen. Er ist ein eifriger Tourist; denn der Gentleman soll ja einige Wochen, oder Monate jeden Jahres sich ein Stück von der Welt außerhalb seines Wohnorts betrachten: der Yankee ist daher, wie der Brite, überall zu finden, wohin der Dampf auf Eisen- und Wasserstraßen führt: am Leman und am Nordkap, auf dem Vesuv und an den Thermopylen, auf den Pyramiden und am heiligen Grabe, auf der Kaiserburg in Nürnberg und im Wiener Sankt Stephan: aber überall wird man dem kühlen, gelangweilten Beschauer wieder begegnen, den man in seiner Heimath an den stillen Seen von Saratoga, oder an den Fällen des Niagara traf, – jene frostigen Leute, die dem großartigsten aller Naturgemälde der Erde nach einigen Minuten des Begaffens gähnend den Rücken kehren, zufrieden mit dem Bewußtseyn, „nun doch auch am Niagara gewesen zu seyn.“
„Es muß auch solche Käutze geben!“ hat der alte Göthe selbst vom modernen Teufel gesagt. „Die räthselhafte Allmacht“, bemerkte kürzlich ein geistreicher Berichterstatter in der A. Z, „die über den Geschicken der Menschheit wacht, hat die Völker des Weltalls mit verschiedenen Gaben bedacht, um sie fähig zu machen, die verschiedenen Rollen zu spielen, die sie für die Zwecke der Menschenentwickelung einem jeden bestimmt hat. Chevalereske, [114] anmuthige und liebenswürdige Völker, wie die Spanier und Franzosen, haben in Amerika nichts ausgerichtet, nichts Praktisches geleistet, nichts Großes und Bleibendes geschaffen, ja wahrhaft Fiasco gemacht. Mexiko, Louisiana, Unterkanada sind Beweise dafür“. – Selbst die Deutschen, wo sie den deutschen Zopf zu bewahren suchen und nicht rasch zu Amerikanern werden, schreiten weit weniger schnell vorwärts in dem Lande, wo Alles mit Sturmeseile vorantreibt. Man sieht das überall in den reindeutschen Orten der Union. Nur „dieses lederzähe, stahlharte Yankeegeschlecht“, das aus den derbsten Elementen der germanischen Raçe, jenen englischen Puritanern, jenen vertriebenen Kalvinisten Niederlands, jenen Schaaren, welche die Fugger und die Patrizier an der Pegnitz nach dem Lande Neu-Nürnberg zur Ansiedelung führten, allen jenen Menschen, die vor kirchlichen und weltlichen Tyrannen seit zwei Jahrhunderten über den Ocean flohen, zusammengebacken mit den deportirten Kindern des Verbrechens, entstanden ist, konnte seiner Aufgabe gewachsen seyn: – ich meine der Aufgabe, die Kultur in der neuen Welt mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts zu reißen. Den Urwald fällen, die Steppe befruchten, die Wölfe und Bären, den Bison und den rothhäutigen Menschen ausrotten oder vor sich hertreiben, die Entfernungen mit Dampf und Elektricität bewältigen oder vernichten, unzugänglich scheinende Gebirge mit Eisenstraßen überschreiten, in die entlegensten Einöden Industrie und Unterricht tragen, Gold und Kohlen aus den Eingeweiden der Erde holen, Kanäle graben zur Verbindung der Meere, Städte aufrichten an unbekannten Küsten im Augenwinken und wie durch Zauberei; Flüsse und Seen des Binnenlandes mit Dampfflotten bedecken; überall Leben und Kultur da wecken, wo sie nie vorhanden waren; überwundenen Völkern, – statt die Knechtschaft auf der Spitze des Schwerts – Ordnung, Freiheit und Selbstregierung auf den Tafeln erprobter Gesetze darbringen und die Pforten des eignen Reichs den Gepreßten und Gedrückten, den Bedrängten und Verfolgten, den Verbannten und Ausgestoßenen des ganzen Geschlechts öffnen, ohne darnach zu fragen, welchen Ursprungs sie seyen, oder welchen Glaubens; allen Armen dieser Erde zurufen: „kommt zu uns und nehmt Theil an den Schätzen, die unserm Lande Gott gegeben hat!“ – Das – das kann und konnte nur eine Nation, welche, obschon ihre Angehörigen vorzugsweise Gewinn- und Geldsucht beseelt, doch als Nation, frei von Neid gegen andere Völker, in wahrhafter Großherzigkeit der ganzen Welt das Glück geben möchte, was sie selbst in unbeschränktem Maße genießt. Wären die Amerikaner anders, so würden sie anders handeln. Minder jugendlich, minder unternehmend, minder frei, minder großmüthig und minder praktisch würden sie der übrigen Welt nie das seyn können, was sie jetzt sind – ihre Stütze und der Stab in Bedrängnis und Hoffnung. Die große Rolle, die ihnen überkommen ist, würde unpassend seyn für die Völker der alten Welt, welche vor lauter Gelehrsamkeit die Kraft der That verloren haben, die was Rechtes zu thun wähnen, wenn sie über das eigene Elend philosophiren, die an der hellen Sonne des Mittags wie Mondsüchtige im Traume wandeln, die mit ihren Ideen und Vorstellungen, [115] ihren Gewohnheiten und gesellschaftlichen Formen nicht aus dem Kreise des Aberglaubens und der Narrheit herauskommen, in welche sie die Arglist der kirchlichen und politischen Hierarchie von Generation zu Generation geschlagen hat. Auf dem alten Kontinente ist dem spekulativen Gedanken die Praxis verpönt, der hellste Kopf, und vereinigte er das Genie des Thomas Paine mit der Klarheit Benjamin Franklins, – muß unter solchen Verhältnissen zum Ideologen herabsinken, den das Gesetz an den Galgen henkt, oder in’s Exil schickt, oder in’s Narrenhaus, sofern er nicht bei dem Reiben des äußeren und inneren Widerspruchs mürbe wird vor der Zeit. Was den Amerikanern abgeht an unsern Gütern, an dem, was uns die Verschrobenheit der Verhältnisse allein übrig gelassen hat, ich meine das stille heimliche Paradies des Gemüths, die Freude an der Kunst, die unbeschränkten Räume der Ideenwelt, – das schlagen wir von unserm Standpunkte aus sicherlich zu hoch an. Wir sollten diesen Mangel kaum beklagen; denn es ist nicht vernünftig, die Kennzeichen des Alters der Jugend zu wünschen. Wie die Wissenschaftlichkeit immer eine Blüthe des reifern Völkerlebens ist, so sind Ausbildung des Schönheitssinns und die höchste Entwickelung der Kunst und des Geschmacks immer nur Zierden, welche die reifern Jahre schmücken und den Abend der Nationen verschönern. Trüge das Yankeevolk alle diese Zeichen an sich, so hätte es den Höhepunkt seiner Blüthe bereits überschritten, es würde auf absteigender Bahn wandeln, es wurde außer Stand seyn, die große weltgeschichtliche Bestimmung, die ihm Gott gab, zu erfüllen. Daß es aber solche ganz erfülle: – das ist die Hoffnung und das Heil der Welt.
Es gibt freilich Leute genug, welche diese Meinung nicht theilen. Viele, ja die meisten Menschen, finden in der Weltgeschichte „nur die schmutzige Gosse unter ihren Füßen“ wieder, wo alltäglich gemarktet wird und sich die Gemeinheit tummelt. Im Volksleben sehen sie kaum Etwas mehr, als die Daten menschlicher Erbärmlichkeit und niedriger Motive: sie haben kein Auge für das Walten höherer, ungreifbarer Kräfte und für die Ideen, die in den Geistern Wolken sammeln und reiben bis zum Sprühen des elektrischen Schlags. Sie stellen in Abrede, daß diese Gegenfüßler Sibiriens auch nur das geringste Selbstbewußtseyn ihrer Bestimmung haben und wissen, zu welch geheimnisvollem Bau der alte, unsichtbare Meister die Fäden und Räder brauchen will, die am westlichen Rade der Zeitgeschichte schnurren. Sie leugnen a priori jede höhere Bedeutung der transatlantischen Erscheinungen. Liegt aber in dieser Fiebereile, womit man dort nicht bloß einen Welttheil durch Büchse, Pflug und Dampf zu erobern sucht, sondern „ländergierige Briareusarme“ auch anderwärts über den stillen Ocean hinausstreckt, ohne viel nach Völker- und Staatsrecht zu fragen: – liegt darin gar nichts als Beutelust? Oder nicht noch ein dunkler, unbewußter Drang, nicht noch ein geheimnißvoller Instinkt, welcher Nationen wie Individuen zu der Allmacht räthselhaften Zwecken beseelt? Oder ist in diesem ruhelosen Jagen nach Besitz in den Massen des jüngsten und kräftigsten aller Völker, wo man nicht nur irdische Schätze sammelt, sondern auch die besten Mannestugenden, [116] Muth und Thatkraft, stählt; – bei dieser Gier, nicht nur herrenlose Wildniß urbar zu machen, sondern auch andere, herabgekommene, in Apathie versunkene Völker aufzurütteln und zu zwingen, an den Segnungen der eignen Kultur und Freiheit Theil zu nehmen – doch ein Etwas, was einen Gesichtskreis verräth, der über den Dollar hinausgeht? – Wer dies Etwas nicht ahnden kann, für den ist freilich die Kulturkarte der Menschheit ein todtes Blatt, und die Veränderungen ihres Kolorits sind nichts als das Resultat eines fratzenhaften Spiels, in dem Gewalt, List und Zufall die Rollen wechseln.
Wir haben von der Jugendkraft des amerikanischen Volkslebens gesprochen. Die atlantischen Staaten sind ihrer Wunder voll, aber erst im fernsten Westen, an den Quellen des Missisippi, an dem obern Missouri, an den Gestaden des obern Sees, an den Ufern des Oregon und in Kalifornien, lernt man die Kühnheit des Yankeegeistes in ihrer ganzen Größe kennen und würdigen. Dort, wo es galt, scheinbar unüberwindliche Naturhemmnisse zu besiegen; dort, wo bei der massenhaften Einwanderung der Goldsucher und dem überreichen Lohn ihrer Arbeit, das schnelle Erringen großer Reichthümer unter so vielen Menschen eine unglaubliche Steigerung der Bedürfnisse und zu deren Befriedigung einen Verkehr hervorrief, von dessen Größe wir uns keinen angemessenen Begriff machen können; – dort, wo ein rastloses, stürmisches Vorwärtsdrängen und Schieben alle Verhältnisse beherrscht und die Lebensthätigkeit beständig zu den äußersten Anstrengungen treibt: – dort geschieht etwas Nichtdagewesenes, und was die ältere Geschichte Staunenswürdiges von schneller Entwickelung mancher Staaten und Kolonien erzählt, ist damit gar nicht zu vergleichen. – Am Sacramento und am Joaquin, an der Küste des stillen Meers und am Fuße des Gebirgs, wo unter der Decke des ewigen Eises die Gnomen unermeßliche Schätze hüten, schießen jetzt die Städte auf wie die Pilze über Nacht, und wo noch vor ein Paar Jahren der rothe Indianer mit den grauen Bären kämpfte, oder den Bison jagte, da führen geebnete Straßen durch angebaute Felder nach den jungen, blühenden Sitzen der Gesittung. Viele Ortschaften, wo vor 3 oder 4 Jahren die Axt den ersten Baum der Wildniß fällte für die erste Hütte, haben sich seitdem zu großen, volkreichen Städten erweitert.
Sacramento-City ist nur ein Beispiel von so vielen in diesem wundervollen Lande. – Vor vier Jahren, da noch die Riesen des Urwalds die Ufer des Sacramento beschatteten, faßte der Schweizer Sutter, auf dessen Besitzung der erste Goldfund gethan wurde, den Entschluß, der Mündung des American River gegenüber, den Plan zu einer Stadt abzustecken und die Einwanderer zur Niederlassung einzuladen. Die treffliche, anmuthige, für den Handel geeignete Lage des Orts, an einem schiffbaren Strome, am Rande der Goldregion, deren Schluchten [117] und Thäler mit Goldsuchern zu Tausenden angefüllt waren, – führte eine Menge Spekulanten herbei, und nach wenigen Monaten waren schon tausend Menschen beschäftigt, die Linien der Straßen durch den Wald zu hauen. Schiffe führten Baumaterialien von San Francisco herauf und Kelle, Winkelmaß und Richtscheit folgten der Axt auf dem Fuße. Drei Monate nachdem der erste Pfahl zum Abstecken des Platzes eingeschlagen war, standen schon 370 gemauerte Wohnhäuser, mehre Hotels, ein Theater, das Rathhaus und 2 Kirchen; sechs Monate später war die Bevölkerung auf sechs Tausend angewachsen, die zum Theil freilich noch in Buden und Zelten wohnten. Dampfboote sorgten für die tägliche Verbindung mit San Francisco, der Waarentransport wurde geregelt und Sacramento-City erhob sich zum Markt, wo sich die Minenbevölkerung versorgte. Es wurde zur zweiten Stadt Kaliforniens.
Unser Bild zeigt sie in der Wiege. Ein seltsames Bild! In das Geräusch des jungen Verkehrs dröhnt noch die fällende Axt, in die neugebornen Straßen werfen noch die Riesen des Urwalds ihre Schatten.
Seitdem ist Sacramento-City drei Jahre älter geworden. Feuer und Fluthen haben sie zweimal verwüstet, und aus ihren Trümmern ist sie wieder emporgestiegen als eine der schönsten Städte der westlichen Welt. 15 Kirchen öffnen sich der Verehrung Gottes in vielerlei Sprachen und Formen; selbst die Chinesen haben eine Pagode und die Juden eine Synagoge; drei Theater (unter welchen ein chinesisches ist) und mehre Koncertsäle spenden Vergnügen, und in einer Anzahl prächtiger Privathäuser sind Luxus und Reichthum zu Hause. Der Handel erwirbt und beschäftigt Millionen, die Umgegend ist dem Spaten und dem Pfluge gewonnen, mehr als hundert Dampf- und Segelschiffe dienen dem Verkehr der Stadt und machen sie zum belebtesten Markt des Binnenlandes. Von Sacramento-City aus fahren die beladenen Barken die Nebenflüsse des Sacramento hinan in die Minendistrikte und die langen Züge der Maulthiere tragen täglich Proviant und Waaren in’s höhere Gebirge, wo die Bergleute die goldhaltigen Quarzgänge bearbeiten, die Stempel der Pochwerke an den Wildbächen lärmen und die Amalgamirhütten den gewonnenen Goldschlich zu gute machen. – Wenn der Winter die Schluchten und Wasserrisse einschneit und die Bergleute aus dem unzugänglich werdenden Hochgebirge treibt, dann wird Sacramento-City der Sammelplatz jener abenteuernden Goldjäger, Leute vielerlei Ursprungs, die, mit der goldnen Ernte ihres Fleißes und ihres Glückes beladen, zu Tausenden herabkommen, um nach so langer Mühsal und Entbehrung ihr Gold gegen das Vergnügen und den Genuß der großen Stadt zu vertauschen. Dann ist jeder Tag ein Feiertag für diese rohen Gesellen und jede Nacht Zeuge der wildesten Ausgelassenheit. Dann haben die Kneipen und Hotels, die Kaffee- und Spielhäuser volle Ernte, und ehe die Lenzsonne die Winterdecke der Berge wegschmilzt und die Wiederaufnahme der Minenarbeiten im Hochlande zuläßt, sind die erbeuteten Schätze schon verpraßt und vergeudet, und die meisten Bergleute kehren zu der sauern Arbeit zurück, ohne einen Dollar in der Tasche, und leider! oft mit verringerter Fähigkeit, die Strapatzen und Entbehrungen zu ertragen, welche sich in jenen einsamen und unwirthlichen Höhen [118] an ihren Beruf knüpfen. – Sacramento-City aber hat den Gewinn davon, und die Millionen, welche in jedem Winter die Bergleute zurücklassen, fördern ihr beständig fortschreitendes Wachsthum.
Die Stadt hat jetzt über 25,000 Einwohner. Sie dehnt ihre Straßenarme mit unglaublicher Schnelligkeit am Stromufer und über das Land aus. Im vorigen Herbst ward auf der andern Seite des Sacramento River der Bauplatz einer neuen Stadt abgesteckt, welcher sich auch schon mit Häusern und Straßen anfüllt. Brücken werden später beide Orte zu einer Stadt verbinden.