Schöne Geister und schöne Seelen (Reihe)/W. von Humboldt und die Doctorin Diede

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Autor: E. v. Hohenhausen
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Titel: W. von Humboldt und die Doctorin Diede
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 716–718
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[716]
Schöne Geister und schöne Seelen.
Von E. von Hohenhausen[WS 1].
3.0 W. von Humboldt und die Doctorin Diede.

Am 16. Juli 1846 starb eine einsame alte Frau in einem ärmlichen Hause der Wilhelmshöher Allee zu Cassel; sie war eine fünfundsiebenzigjährige Greisin und fristete ihr Leben mit ihrer Hände Arbeit und zwar mit einer Arbeit, die eigentlich nur für die Jugend paßte. Zarte künstliche Blumen hatten ihre alten zitternden Hände geschaffen. Aus der Werkstätte des einsamen trauernden Alters ging der zierliche Blumenschmuck hervor, den die lachende Jugend in Gesellschaft und auf Bällen trug. Wie manche Thräne, wie mancher Seufzer der Erinnerung mochte die mühsame Arbeit begleitet haben!

Die arme alte Frau, die Blumen und Kränze flocht, um ihr tägliches Brod zu gewinnen, war auch einst ein junges Mädchen, wohl schöner als die Trägerinnen ihrer Arbeiten; sie war auch glücklich gewesen, aber freilich nur sehr kurze Zeit! Sie war eine Pfarrerstochter, anmuthiger und liebenswürdiger, wie jemals eine solche von den Dichtern damaliger Zeit erfunden und gefeiert worden ist. Durch den Vicar of Wakefield, Voß’ Louisen-Idyll, und selbst Bürger’s Pfarrer von Taubenheim hatten die Pfarrerstöchter einen poetischen Nimbus erhalten, den auch Goethe bei seiner Friederike von Sesenheim als bezaubernd empfand.

Die arme alte Blumenmacherin hieß Charlotte Hildebrand, ihr Vater war ein wohlhabender Pfarrer im Hannoverschen; sie hatte eine sorgfältige Erziehung, eine beinahe gelehrte Bildung empfangen. Mit neunzehn Jahren schwärmte sie für’s „Wahre, Gute und Schöne“, las philosophische Schriften, dichtete und sehnte sich nach einer idealen Freundschaft. Sie lebte auf dem schönen Stückchen Erde, welches durch das Wesergebirge gebildet wird. Die lieblichen Bergschluchten, die saftgrünen Wiesen, die Eichkämpe [717] und die strohgedeckten Bauernhäuser waren die malerische Staffage ihrer Spaziergänge und Landpartien.

Namentlich führten letztere sie oft nach einem Jagdschlößchen des Landesherrn von Bückeburg, Baum genannt, das einsam wie ein Falke in einer grünen Wildniß thronte. Hier hatte Herder gewohnt als Günstling des Feldherrn und Philosophen Wilhelm von Schaumburg-Lippe, und als Freund seiner liebenswürdigen Gemahlin, eines Fürstenpaares, das der alte Mendelssohn verehrt und geschildert hat in seinen Schriften. Ein Grabmal erhob sich über den vereinigten Särgen des durch eine glückliche Ehe und anbetende Liebe verbundenen Paares, es bildete einen Wallfahrtsort für alle schwärmenden Gemüther damaliger Zeit.

Auch die holde Pfarrerstochter nährte dort ihre jugendliche Phantasie mit Träumen von einer idealischen Ehe und ahnte nicht, daß sie sich nie erfüllen sollten. Die Erinnerung an das Jagdschlößchen Baum bei Bückeburg war eines der freundlichsten Bilder ihres einsamen Alters! Aber auch die andern schönen Punkte des Wesergebirges sah das junge Mädchen in Begleitung ihrer wohlhabenden Eltern, die, der damals schon verbreiteten Sitte gemäß, alljährlich einen Badeort besuchten. Das nahe Rehburg mit seinen unvergleichlichen Tannenwäldern und Wiesenmatten, das liebliche Eilsen, das in dem tiefen Thalkessel mit seinen rothen Dächern wie eine Schale frischer Aepfel in grünen Blättern sich ausnahm, und zuletzt auch das stolze Modebad von damals, Pyrmont, lernte Charlotte Hildebrand kennen.

In dem Lindendom der Pyrmonter Allee saß sie einst mit ihrem Vater auf einer Bank nahe an der kühlenden Fontaine, da setzte sich ein Jünglatg zu ihnen. Er hatte einen schlechten Rock, aber gute Manieren; er war häßlich, aber er sah geistvoll aus. Man wurde damals leichter bekannt in den Bädern, man war nicht so mißtrauisch wie jetzt gegeneinander, und binnen wenigen Minuten hatte das schöne junge Mädchen ihren Nachbar zu einem eingehenden philosophischen Gespräch begeistert. Sie lauschte auf seine Worte, als kämen sie aus einer bessern, bisher nur geahnten Welt, und er freute sich des lieblichen Ohrs, des holden Mundes, die. so verständnißreich hören und so anregend reden konnten.

Der Pfarrherr, ebenfalls von dem Jüngling bezaubert, den er für einen Göttinger Studenten hielt, lud ihn herablassend zum Mittagsessen ein, und man ging gemeinschaftlich in den Speisesaal. Dort enthüllte es sich denn, daß der feurige Redner allerdings ein Student aus Göttingen, aber ein sehr vornehmer, Wilhelm von Humboldt aus Berlin, war.

Es ist bekannt, daß er damals und auch später ein sehr unscheinbares Aeußere besaß; im besten Frack sah er noch aus wie ein Schneiderlein, grau, klein und dünn, wie mußte er sich erst in dem schlechten Reiseanzug ausnehmen! Aber die junge Freundin erkannte doch die innere Schönheit und sprach noch nach einem halben Jahrhundert von „der klaren Ruhe seines Wesens und von der wohlthätigen Wirkung seiner Unterhaltung, von dem tiefen, nie erloschenen Eindruck, von den geheiligten Empfindungen“, die er in ihr hinterlassen hatte.

Drei glückliche Tage eines freien, unbeschäftigten Badelebens, in dem man jetzt die dreidoppelte Stundenzahl anderer Tage besitzt, flossen dem jungen Mädchen im ununterbrochenen Verkehr mit Wilhelm von Humboldt dahin. Er schrieb ihr nach damaligem Gebrauch eine pathetisch-zärtliche Sentenz in ihr Stammbuch und reiste ab, ohne ein Wort von Liebe geredet zu haben, obwohl sein ganzes Herz durchglüht schien von dem seelischen Liebreiz der Pfarrerstochter. Sie selbst fühlte sich unendlich bereichert im Innern und pflegte noch mehr als sonst eine schwärmerische ernste Stimmung in sich; sie war zu bescheiden, zu echt weiblich demüthig, um irgend eine Hoffnung auf eine nähere Verbindung mit dem vornehmen, geistig bedeutenden Jüngling zu hegen, in dem ihr liebevoller Scharfblick schon den einst berühmten Mann erkannte. Sie verschloß „die vorübergegangene schöne Erscheinung in das Allerheiligste ihres Innern und sprach nie darüber, sicherte sie so vor Entweihung durch fremde Berührung“.

Diese Begegnung fand am 16. Juli 1786 statt. Humboldt hatte die Absicht ausgesprochen, im Herbste das Pfarrhaus zu besuchen. Er kam aber nicht, sondern blieb länger als er wollte in Pempelfort bei Jakobi, dem damaligen Sammelplatz großer Geister. Wie mag das junge Mädchen sehnsüchtig geharrt und in dem kleinen Garten, wo Rosen und Gemüse durcheinander wuchsen, nach dem Seelenfreund ausgeschaut haben! Sie beschreibt einmal gelegentlich ihr Vaterhaus und seine hübsche idyllische Lage im Grünen; ein Bächlein rauschte an der Gartenhecke vorüber und ein schwankender Steg führte in einen Wiesengrund von Gebüsch umgeben. Dorthin lenkte das junge Mädchen am liebsten die Schritte, wenn es allein sein und träumen wollte. Die Herbstnebel wallten wie Schleier im Mondenschein und zauberten Ossian’sche Bilder vor die Augen der holden Schwärmerin. Sie las ihr Stammbuchblättchen im stillen Kämmerlein wehmüthig durch:

     „Gefühl für’s Wahre, Gute und Schöne adelt die Seele und
beaeligt das Herz, aber was ist es, selbst dieses Gefühl, ohne eine
mitempfindende Seele, mit der man es theilen kann!
     Pyrmont, 1788.   Wilhelm von Humboldt.“

Aber die „mitempfindende Seele“ blieb aus! Statt dessen kam ein Doctor Diede und warb dringend um die hübsche, wohlhabende Pfarrerstochter. Sie hätte ihm gern einen Korb gegeben, aber ihre Eltern fanden an ihm nichts auszusetzen und verlangten streng ihr Jawort. Es gehörte in früheren Zeiten gewissermaßen zum Anstand, die Töchter recht früh zu verheirathen, und jede rechtschaffne Mutter hielt es für eine häusliche Schmach, wenn sie dieselben lange bei sich behalten mußte. Wie mancher Mädchentraum ist und wird von einem unwillkommenen Freier zerstört!

Als Frau Doctorin Diede zog die kaum zwanzigjährige Charlotte in Cassel ein; sie erzählte dies Ereigniß mit den melancholischen kurzen Worten: „Ich wurde verheirathet im Frühling 1789, lebte nur fünf Jahre in dieser kinderlosen Ehe und ging keine zweite ein.“

Nur drei Jahre später verheirathete sich auch Wilhelm von Humboldt mit einer reichen Erbin, Fräulein von Dachröden, die als geistreiche Schönheit, obwohl sie etwas verwachsen war, viele Männer bezauberte, unter Anderen auch den Baron von Burgsdorf, den Baron von Senfft-Pilsach u. A. m. Jedoch lebte sie in einer durchaus glücklichen und harmonischen Ehe mit Humboldt, dem sie zwei Söhne und drei Töchter schenkte. Er sprach stets mit der höchsten Achtung und Liebe von ihr; sein Zeugniß scheint uns ausreichend, um die Verleumdungen zu wiederlegen, die bald laut, bald leise sich gegen sie erhoben haben.

Die Ehe der Doctorin Diede wurde nach fünfjähriger Dauer geschieden; sie war ohne Neigung in diese Ehe eingetreten und glaubte sich deshalb berechtigt, dieselbe aufzulösen, ein moralischer Irrthum, den sie schwer büßen sollte!

Der jungen Frau war die Fessel der Ehe besonders drückend erschienen, weil sie eine romantische Neigung empfand für einen hessischen Edelmann; sie hoffte, er würde sie durch eine eheliche Verbindung für das Opfer ihres Rufes und für das öffentliche Aergerniß, welches ihre Ehescheidung gab, entschädigen, aber sie hatte sich in ihm getäuscht. Er war eine rohe Natur, er verlachte ihre sentimentale Liebe und heirathete später seine Haushälterin.

Durch ihre Scheidung war die Doctorin Diede um die sichere Stellung als Frau gekommen, und in den Kriegsjahren unter Napoleons Joch verlor sie auch ihr ganzes Vermögen. Sie lebte einige Zeit in Braunschweig, wo der mildherzige Herzog ihr einen Ersatz für ihre Verluste versprach, allein er konnte seine gute Absicht nicht ausführen, er fiel bei Waterloo. Ohne alle Hülfsmittel, nicht mehr jung, kränklich und verlassen, war die Doctorin Diede der Verzweiflung nah und sah kein einziges Hülfsmittel als erreichbar vor Augen.

Da fand sie in den Zeitungen den Namen Wilhelm von Humboldt lobend erwähnt, der als Bevollmächtigter des Königs von Preußen beim Congreß in Wien thätig war. Die theure Erinnerung an die drei glücklichen Tage in Pyrmont gab ihr den Muth, sich in ihrer großen Noth an den jetzt berühmten, mächtigen Mann zu wenden. Sie begann unter Herzklopfen und Thränen folgenden Brief: „Nicht an Eure Excellenz, nicht an den königlich preußischen Minister – nein, an den unvergessenen, unvergeßlichen Jugendfreund schreibe ich, dessen Bild ich eine lange Reihe von Jahren verehrend im Gemüth bewahrt habe, der nie wieder von dem jungen Mädchen hörte, das ihm einst begegnete, mit dem er drei fröhliche Jugendtage verlebte in jenen schönen Gefühlen, die uns noch spät in Erinnerung beseligen und erheben. Der Name, auf den die Welt jetzt mit so großen Erwartungen blickt, der Platz, auf den Sie so früh durch geistige Begabung gestellt sind, machte es mir nicht schwer von Ihnen oft zu hören und Sie mit meinen Gedanken zu begleiten … Ich habe das liebe Blättchen unter [718] den kleinen Heiligthümern der Jugend sorgfältig vor allen andern bewahrt, als das einzige Pfand und Siegel der reinsten und zugleich der einzigen Lebensfreude, die mir das Schicksal zugewogen. Dies Blättchen, das ich mir zurückerbitte, wird Eure Excellenz eine Bekanntschaft zurückrufen, welche die großen Bilder und Ereignisse Ihres Lebens längst verwischt und ausgelöscht haben werden. Im weiblichen Gemüth sind solche Eindrücke tiefer und unwandelbar, um so mehr, wenn es (welche Bedenklichkeit könnte mich zurückhalten, Ihnen nach sechsundzwanzig Jahren diesen Beweis von Verehrung zu geben?) die ersten ungekannten Regungen erster erwachender Liebe waren, so geistiger Art, wie sie wohl bei der edlern Jugend immer sind. Für die weibliche Jugend und die Entwicklung des Charakters aber ist es von höchster Wichtigkeit, für welchen Gegenstand die ersten Gefühle erwachen. Die Gefühle wandeln die Zeit. Das tief in’s Gemüth gesenkte theure Bild aber erbleicht nie. An dies geliebte Bild, das höher und immer höher erschien, lehnte sich fortan mein Ideal von Männerwerth und Hoheit. Hier ruhte ich aus, wenn ich unter dem schweren Leben am Erliegen war; hier richtete sich mein Muth auf, wenn mein Glaube an die Menschheit schwankte! Glauben Sie mir, ewiggeliebter Freund (Sie verzeihen dem Herzen diese Benennung), ich bin gereift unter großen Schmerzen, nicht entadelt, noch je durch unwürdige Empfindungen entweiht.“

So hatte denn dies arme Herz doch noch das Liebesgefühl sich klar eingestanden, welches sie damals in dem schönen Pyrmont beseligte und welches sie ein Vierteljahrhundert verschwiegen hatte.

Auf diesen mit dem Herzen geschriebenen Brief antwortete der preußische Minister noch am selben Tage, da er ihn erhielt. Er war tief gerührt und ergriffen von dieser Jugenderinnerung; vielleicht mochte auch ein leises Bedauern durch seine Seele ziehen, daß so liebliche Rosen der Liebe ungekannt und ungeahnt von ihm einsam verwelkten. Zugleich fühlte er auch wohl die Verpflichtung, einem unglücklichen Wesen, das auf ihn vertraute wie auf die Vorsehung, wirklich ein Erretter zu werden. Er schrieb ihr voll der herzlichsten Theilnahme und dem edelsten Zartgefühl; er überredete sie, auf einige Zeit sich ganz seiner Fürsorge zu überlassen, und zwang sie geradezu, eine Geldsumme von ihm anzunehmen, um erst alle Nahrungssorgen von ihr zu entfernen. Ihr Stolz bequemte sich jedoch nur so lange dazu, als ihre Kränklichkeit anhielt; sie ging auf Humboldt’s ausdrücklichen Wunsch nach Göttingen, weil sie dort noch von den Jugenderinnerungen zehren konnte, die der geliebte Freund dort hegte. Sie folgte dem Rath desselben, sich zu schonen; als sie sich aber wieder wohl fühlte, zog sie nach Cassel zurück und begann ihre mühsame Blumenarbeit. Nur auf dringendes Bitten Humboldt’s entschloß sie sich, eine kleine Pension von ihm anzunehmen, die als regelmäßiger Zuschuß eine große Erleichterung ihres Broderwerbs darbot.

Aber eine andere Gabe des Freundes gewährte ihr wahres Lebensbrod, unvergängliche Seelenspeise, die Briefe, die er ununterbrochen mehr als zwanzig lange Jahre ihr schrieb; sie sind Eigenthum der gebildeten Welt geworden und ein Trostbuch für alle Vereinsamten darin. Wer kennt nicht Humboldt’s Briefe an eine Freundin? Mit dem edelsten Zartgefühl und einer rührend liebenswürdigen Ritterlichkeit schrieb der alte Mann an seine einsame alte Freundin und gab ihr Trost, ja mehr als das, er gab ihr auch Freude, denn er regte sie zu geistiger Thätigkeit an, indem er Alles mit ihr besprach, was in den Kreis seines eigenen Dichtens und Trachtens kam.

Der verneinende Geist der Zeit hat den edlen Briefsteller oft lächerlich zu machen gesucht wegen dieser innigen Hingabe an eine arme alte Frau. Der Beweggrund dazu läßt sich einfach erklären, wenn man bedenkt, „daß nichts den Menschen so innig an einen andern fesselt, als das Bewußtsein, ihn bis in’s innerste Herz zu beglücken“. Dies Bewußtsein konnte Humboldt in vollstem Maße seiner alten Freundin gegenüber haben; der geistige Zusammenhang mit ihr bildete den einzigen Lichtpunkt ihres sonst so dunklen Lebens.

Zweimal machte er ihr auch die Freude, ihn von Angesicht wiederzusehen; die beiden alten Herzen genossen wehmüthig die verblichenen Erinnerungen ihrer Jugend zusammen, und die briefliche Verbindung wurde nur noch inniger nach diesem mündlichen Verkehr. Niemand hatte geahnt, daß der berühmte Humboldt die einsame kümmerliche Behausung der armen, vergessenen, einst vielfach getadelten Doctorin Diede aufgesucht hatte, selbst die wenigen näheren Bekannten, die sie noch in Cassel besaß, erfuhren nichts davon. Eben so verborgen hielt sie das ihr so heilige Briefgeheimniß; erst nach Humboldt’s Tode enthüllte sie es, weil sie es für Pflicht hielt, den reichen Geistesschatz nicht eigennützig für sich allein zu behalten, sondern ihn der Mit- und Nachwelt zu überliefern. Sie ging mit Eifer an die Herausgabe von Humboldt’s Briefen, nachdem sie dieselben beinah zu ängstlich von jeder möglichen Indiscretion im Urtheilen über Andere gesichtet hatte. Eine damals junge literarische Celebrität, Therese von Bacharacht, geborene von Struve, war ihr bei dieser Arbeit behülflich und erhielt von ihr dieselbe als eine Art Schenkung für früher gewährte Unterstützungen.

Diese liebliche Therese war eine frische Rose in dem verdorrten Lebenskranze der Freundin Humboldt’s; sie war eine Pathin von Therese Huber, mit der ihr Vater als russischer Gesandter in Stuttgart sehr befreundet gewesen war. Durch den nahen Verkehr mit dieser Schriftstellerin wurde Therese gleichsam für die Literatur prädestinirt; sie lernte die Doctorin Diede als Lehrerin kennen und enthusiasmirte sich für die geistvolle Dulderin, die in ihrer Freude über die jugendliche Verehrerin eine sehr schmeichelhafte Beschreibung über dieselbe an ihren Freund Humboldt sandte. Leider führte der spätere allzu romantische Lebenswandel der reizenden Therese Zerwürfnisse mit der streng moralisirenden Doctorin Diede herbei und veranlaßte auch nachtheilige Einwirkungen auf die Herausgabe der Briefe Humboldt’s, namentlich ist darin wohl die Ursache zu suchen, daß dieselbe so wenig Eigenes aus der Feder der Empfängerin enthält. Die geschickte Hand Theresens würde gewiß darin bessere Auswahl getroffen haben; es ist sehr zu bedauern, daß die geistreichen Aussprüche, die oft an Rahel erinnerten, der Lesewelt verloren gegangen sind.

Die Doctorin Diede überlebte ihren Freund länger als zehn Jahre und hatte noch den Trost, daß der edle Alexander von Humboldt die Pension auszuzahlen übernahm, welche sein Bruder ihr als Unterstützung gegeben hatte.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: F. von Hohenhausen