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Schill’s Kampfgenossen auf der Galeere

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Textdaten
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Autor: Georg Hiltl
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Titel: Schill’s Kampfgenossen auf der Galeere
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 244–249
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[244]
Schill’s Kampfgenossen auf der Galeere.
Eine Illustration zu dem modernen Cäsarenthum.

Unheimliche Stille lag über der Stadt Stralsund, als die Nacht des 31. Mai 1809 ihre Schatten herabsenkte. Das blutige Treffen zwischen den Schaaren Ferdinand’s von Schill und den Soldaten der Holländer und Dänen unter General Gratien war ausgefochten worden. Achtzehnhundert Todte und Verwundete rötheten das Straßenpflaster mit ihrem Blute. Unter der offenen Halle des Rathhauses lag, mit einem Stück Segeltuch bedeckt, die Leiche des kühnen Schill auf einer der dort befindlichen Fleischbänke; unkenntlich durch Säbelhiebe, Stiche und Quetschungen war der Leichnam des unglücklichen Reiterführers.

Durch die Fenster der Jacobskirche schimmert matter Lichtglanz. Ein dumpfes Gemurmel tönt hervor und die Thüren des Gotteshauses sind mit Posten umgeben, die an einzelnen Stellen ihr Bivouacfeuer angezündet haben. In jener Kirche befinden sich 557 Gefangene vom Schill’schen Corps. Unter ihnen sind die elf berühmten Officiere, die vier Monate später auf dem Mordplatze

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Die Schill’schen auf dem Transport nach dem Bagno.
Originalzeichnung von M. Adamo.

zu Wesel unter den Kugeln der französischen Schützen ihre freien Seelen aushauchen sollen. Zu den Ohren dieser erschöpften, aus manchen Wunden blutenden Krieger war die Nachricht von der glücklichen Capitulation des Lieutenants von Brünnow gelangt. Er hatte sich durchgehauen mit hundertundfünfzig Mann, sechszehn Officieren und fünf Trompetern. Gratien mußte dem Heldenmuthe seinen Beifall zollen. Er gewährte den freien Abzug nach Preußen, obwohl er mit 3000 Mann die kleine Schaar im weiten Kreise vor der Stadt, wohin sie sich mit ihren Schwertern Bahn gemacht, umstellt hatte.

Die Glücklichen – sie zogen hinweg von der Stätte des Unheils, und beklommen, auf ihre Wunden blickend fragten sich die Gefangenen in der Kirche: „Was wird mit uns werden?“ Schon am folgenden Tage trennte man die Officiere von der Mannschaft. Auf die Fragen und Berufungen, wonach sie sich als in die Capitulation Brünnow’s mit eingeschlossen betrachteten, entgegnete Gratien: daß sie keinen Theil an dem Vertrage hätten, doch werde ihnen kein Leid geschehen. Dies beruhigt Officiere und Mannschaft. Aber am 4. Juni Morgens – Trommelschlag, Waffengerassel. Tiefe Stille rings umher! Ein Windstoß braust gegen die Fenster der Kirche – er führt den Schall einer gräßlichen, rollenden Salve mit sich – er trägt ihn zu den Gefangenen. Was war das? Am 4. Juni hat der Lieutenant Petesson aus der von ihm angelegten Batterie am Knieger Thore, [246] die er tapfer vertheidigt, geendet. Die Militair-Commission hat ihn erschießen lassen. Seine heulende Frau, seine vaterlosen Kinder irren durch die Straßen. Hält man so das Versprechen? „Was wird mit uns werden?“ fragen sie wieder.

Am 10. Juni erhalten sie Gewißheit. Gratien zieht mit seiner Division von Stralsund ab. Er führt die Gefangenen mit sich. Die Menge wird in zwei Transporte getheilt. Den ersten Transport geleitet das sechste, den zweiten das neunte holländische Infanterie-Regiment. Die Kranken und Schwachen werden auf Wagen geladen, die Rüstigen marschiren nebenher. Noch immer schwebten sie in Ungewißheit wegen des ihrer harrenden Schicksals. Was ihnen den schmachvollen Transport, die Pein der Gefangenschaft erleichterte, das war die treue, sich offen kund gebende Theilnahme der deutschen Landsleute. Wie scheußlich handelten die sie transportirenden Holländer! Schon in Braunschweig mußte ein großer Theil der braven Leute mit Kleidungsstücken und Wäsche durch die mitleidigen Bürger versorgt werden; die frechsten Bemerkungen, der grausamste Spott geißelten die unglücklichen Anhänger Schill’s. Immer weiter führte man sie hinweg von der heimathlichen Stätte. Die Zusammentransportirten begannen während des Marsches auf Mittel und Wege zur Befreiung zu denken. Der Trompeter Böck, ein verschlagener, kecker Bursche, versuchte einige Male seinen Peinigern zu entrinnen. Schon war er glücklich in der Klappe eines Kamines der Sacristei zu Salzgitter verborgen, dann hatte er sich auf einen Glockenthurm geflüchtet, sich ganz und gar mit Schiefer bedeckt – beide Male ward er ertappt. Wie? Es ist traurig zu erzählen, durch einen seiner Cameraden, der ihn verrieth. Das Elend machte so selbstsüchtig, die Schmach so nichtswürdig, daß der Genosse den Freund verrieth, weil er nicht so glücklich als dieser sein konnte. Dann kam unter der kleinen Truppe ein heroischer Gedanke auf. Sie verabredeten sich leise und heimlich über die Escorte herzufallen, den Häschern die Waffen zu entreißen, sich durchzuschlagen und lieber auf dem Platze bleiben als in so quälenden Fesseln schmachten zu wollen. In jenen Tagen bestanden die Soldaten, welche sie bewachten, aus Westphalen. Deutsche knebelten ihre Landsleute auf fremden Befehl. Viele der Schill’schen meinten, die Landsmänner würden sich nicht allzusehr wehren. Man verabredete ein Losungswort. Einer sollte drei Mal in kurzen Absätzen das Wort: „Vos! Vos! Vos!“ ausrufen. Beim dritten Rufe sollte Alles auf die Wachen stürzen. Die Wuth, die Verzweiflung verdarben den Anschlag, denn die durch Kolbenstöße und Bajonnetstiche zum Aeußersten gereizten Gefangenen der Haupt-Colonne fielen beim ersten Rufe über ihre Peiniger her. Dadurch ward der Angriff geschwächt, die hinten marschirenden Soldaten gewannen Zeit sich zu sammeln, man überwältigte die Empörer. Abends zog die traurige Schaar über die Haide dahin, und die Hände eines Jeden waren mit Hanfstricken geknebelt.

Wieder ward ihnen ein freudiger Tag in Frankfurt a. M. bereitet. Durch lange Gassen von weinenden Menschen zogen sie, aber die Frankfurter ließen es nicht bei den Thränen bewenden. Sie achteten keine Gefahr, keine Drohung, sie liefen zum Commandanten, und endlich ward ihnen gestattet, den deutschen Fechtern eine ansehnliche Geldsumme, manches Kleidungsstück und eine gute Zufuhr von Lebensmitteln überreichen zu dürfen. Abends schwammen die Gefangenen in Kähnen den Main hinunter; endlich trug der alte Vater Rhein seines gefesselten Landes gefesselte Söhne und im Glanze der untergehenden Sonne funkelte gluthroth die Kuppel des Domes von Mainz. Die Boote legten an. „Aux armes!“ „Halte là!“ tönt es vom Ufer. Eine lange Reihe Infanterie spinnt sich den Kai entlang, an ihren Czakos blitzen die kaiserlichen Adler. Die Schill’schen Krieger sind von jetzt ab nicht mehr unter deutscher Bewachung, sie werden an Frankreich abgegeben. Das Loos wird vielleicht doppelt hart, aber die Schmach hat an Gewicht verloren. Es sind wenigstens fremde Henker, welche ihre Blicke an dem Unglück weiden, ihre rohen Fäuste in den Rücken der Ermatteten bohren. Aber noch in Seesen hatte ein westphälischer Corporal dem Gefreiten Schultze den Kolben in den Rücken gestoßen, daß er ohnmächtig niedersank, worauf der Schurke ihn mit Hieben zum Weitergehen zwang, bis der Lieutenant herbeikam und mit den Worten: „Schäm’ Er sich, Bube! wir haben deutsche Landsleute vor uns,“ den Niederträchtigen bei Seite schleuderte.

Der Commandant von Mainz ließ sich die Gefangenen vorführen. Seine Reden klangen nicht tröstlich. Diese napoleonischen Soldaten betrachteten die Schill’schen Reiter als eine Heerde von Freibeutern. Wahrscheinlich aus diesem Grunde wies man ihnen als erstes Quartier in Mainz den Holzthurm an. Es war dasselbe Gefängniß, in welchem einst der Raubmörder Schinderhannes und seine Genossen gesessen hatten. Und darum den Säbel geschwungen für Deutschlands Befreiung vom Joche des Fremden? Darum geblutet, verhöhnt, verlassen?

Der Trompeter Böck kam beim Einsperren in das Gefängniß zunächst der Wand zu sitzen. Das enge Gelaß war nämlich dergestalt mit Menschen gefüllt, daß die Meisten über einander lagen. Böck bemerkte bald, daß unten am Fuße der Mauer ein großes Loch befindlich sei. Er fühlte, von Hoffnung auf Freiheit getrieben, weiter um sich und kroch zuletzt in eine Höhlung, welche groß genug für ihn war. Leider fand er gleich, daß kein Ausweg vorhanden, doch verschaffte ihm die Entdeckung wenigstens eine ruhige Nacht. Am folgenden Tage erfuhr er, daß die Höhlung von dem berüchtigten Spießgesellen des Schinderhannes, dem schwarzen Jonas, gebrochen worden sei, um von da aus zu entwischen. Als später Böck seine Schicksale erzählte, pflegte er immer zu sagen: „Und darin hab’ ich ehrlicher Leute Kind geschlafen.“ Die Kost der Gefangenen war hier Brod, dicker Hirse in Wasser gekocht mit einer starken Zuthat von Salz, – offenbar deshalb so reichlich dazugethan, damit die noch im Besitze von Geld Befindlichen dem Concierge sein saures Bier und den schlechten Wein abkaufen sollten.

Bald darauf erhielten die Eingekerkerten Ordre nach Metz. Es hieß, der Courier, welcher diese Ordre gebracht, sei zugleich der Ueberbringer eines General-Pardons gewesen, denn eigentlich hätten sämmtliche Gefangene in Mainz erschossen werden sollen. Nun koppelte man die Schill’schen Leute in Abtheilungen von je zwanzig Mann zusammen und escortirte sie durch Gensd’armen über Landshut, Kaiserslautern und Zweibrücken; hier war es, wie der Oberjäger Grund erzählt, wie Böck und viele Andere bestätigen, wo der Concierge des Gefängnisses sie mit Hohnlachen empfing. „Nun, Banditen,“ rief er, „in den Hohlwegen geht Euer Handwerk, aber auf freiem Felde nicht. Wenn aber nur erst den Hauptmann der Teufel geholt hat, kommt die Bande nach.“ Hier war es, wo einem braven, kernigen Husaren mit langem Barte der Bart gezaust ward; hier war es endlich, wo Grund, der bei furchtbarer Hitze für sich und seine schmachtenden Cameraden Wasser verlangte, die scheußliche Antwort hören mußte: „Für Euch Räuber ist kein Wasser da. Ihr müßt verhungern, verdursten oder gerädert werden.“ Als Böck um einen Topf bat, sich Wasser zu schöpfen, rief ein Sergeant: „Sauft aus dem Trog, Canaillen.“ Sie erhielten endlich die Erlaubniß aus dem Viehtroge trinken zu dürfen. Ueber Metz ging der traurige Marsch nach Verdun, woselbst in der Todtenkammer Quartier gemacht wurde, und voll der trübsten Ahnungen langte die Colonne in Sedan an.

Bittres Loos! schreckliches Tagwerk! und doch ist ihnen hier eine unnennbare Freude bereitet. Sie finden die zweite Abtheilung ihrer Leidensgefährten, die auf anderen Wegen hierhergelangt sind; mit diesen Leuten sind die elf Officiere gekommen. Die ersten, welche die Neuangekommenen freudig begrüßten, waren Carl und Albert von Wedell, Friedrich von Trachenberg und Daniel Schmidt, lauter junge, blühende Männer, strotzend von Kraft und Lebensmuth. „Kinder,“ rief Carl von Wedell, „Kinder, wie seht Ihr aus?“ Das war ein Jubel, ein Händedrücken. Kein Unterschied des Standes, der Stellung zog seine hemmende Schranke, es waren Waffenbrüder – Unglücksgenossen, die sich hier zusammenfanden in der Ferne, inmitten ihrer Henker. Dieses Unglück schien geringer, denn sie konnten sich umarmen, sie stärkten sich gegenseitig, sie richteten sich an einander auf. Lange gönnte man ihnen das Zusammensein nicht, die Gensd’armen trennten sie.

„Lebt wohl, brave Cameraden,“ rief Trachenberg, „Euer Schicksal wird nicht so hart sein wie das unsrige.“

Böck sagte: „Mein Lieutenant, wissen Sie denn schon Ihr Urtheil?“

„Nein,“ sagte Fleming düster lächelnd, „aber soviel ist gewiß, daß wir erschossen werden.“

Die Soldaten fuhren entsetzt zusammen, unwillkürlich perlten Thränen über die braunen Wangen.

„Das ist nicht möglich,“ riefen sie, „das darf, kann nicht geschehen.“

[247] „Garde à vous!“ brüllte die Wache und trat unter die Freunde. Sie waren getrennt – getrennt für dieses Leben.

„Adieu, Cameraden, jenseits sehen wir uns wieder,“ rief Albert v. Wedell.

Man führte die Soldaten zur einen, die Officiere zur andern Thür hinaus. Am folgenden Tage escortirte man die Elf nach Wesel. Sie hatten sich nicht getäuscht, sie bluteten Alle. Unbegreiflich bleibt es, daß kein Versuch gemacht wurde zu entrinnen. Ist auch der im Gefängnisse zu Geldern geflissentlich verlorene Schlüssel vielleicht eine Sage, so viel ist gewiß, die Bewachung war absichtlich eine sehr nachlässige, selbst noch in dem letzten Nachtquartiere zu Geldern hatte man die Gefangenen in ein schlechtes Arrestlocal gebracht, von wo aus sie um so leichter entspringen konnten, da preußisch gesinnte Bürger ihnen Unterstützung versprochen hatten. Es scheint, als hätten diese elf Männer den Tod gesucht, als hätten sie es für ihre Sendung gehalten, den Lebenden im Hinblick auf die bald erscheinenden Tage der Rache zu zeigen, wie man für Vaterland und Freiheit in den Tod gehen muß.

Zwei ebenfalls zum Tode bestimmte Cameraden blieben verschont. Es waren die Officiere Heinrich von Wedell und von Zaremba, früher bei Dodendorf gefangen. Zaremba rettete eine Krankheit; später gab ihn Napoleon frei. Als der Kaiser im Jahre 1811 seinen Einzug in Wesel hielt, stieg er im Gouvernementsgebäude ab. Tags darauf besuchte er die Citadelle, wobei ihm die Gefangenen vorgestellt wurden. Am Ende des linken Flügels stand Zaremba. General Hogendorp machte den Kaiser besonders darauf aufmerksam. Napoleon trat dicht zu dem Officier und ihn scharf fixirend sagte er: „Vous étiez aussi de la bande de Schill?“

Zaremba antwortete mit Würde und überreichte eine kurze Bittschrift, welche der Kaiser sofort las. Er steckte das Papier in seine Brusttasche und ließ den Schimmel vorführen. Sich auf das Pferd schwingend, sagte er dann kurz, aber nicht ohne ein gewisses Wohlwollen, indem er das Bein über den Sattel hob: „Vous êtes libre.“

Zaremba machte die Feldzüge von 1813–15 mit und ward nachher Intendantur-Rath zu Breslau.

Heinrich von Wedell, später General und ein hochgefeierter Soldat in preußischen Diensten, saß vierzehn Monate in Sedan, dann ward er weiter transportirt. Wir werden ihn bald mitten unter seinen Leidensgefährten antreffen.

In Sedan hatten die Gefangenen ein etwas milderes Loos. Namentlich erregte die schreckliche Lage derselben bei dem weiblichen Geschlechte viel Mitleid. Es wurde ihnen anständiges Gefängniß in der Caserne bewilligt und sogar Tabakrauchen gestattet. Der Trompeter Böck componirte einige Tänze, wofür ihm und seinen Cameraden ansehnliche Geschenke von Victualien und Getränken dargebracht wurden.

Am 18. December traten sie ihren Marsch an. Leider wurden die Unglücksgenossen getrennt. Ein Theil der Colonne ging früher ab. Sie gaben den Zurückbleibenden das Versprechen auf die Wände der Gefängnisse mit Kreide niederzuschreiben, was sie über die Schicksale erfahren würden, die ihnen bereitet werden sollten. Nun überkam die Bleibenden schon eine Vorahnung der Plagen, welche ihrer warteten. Am 31. December erschien ein Gensd’arm mit einem Sacke in der Hand. In dem Sacke klirrte und rasselte es. Der Mann zog plötzlich Ketten hervor, schloß zwei und zwei der Unglücklichen aneinander, befestigte dann vier Mann an einer Kette und befahl ihnen auf zweirädrige Karren zu steigen. In dem nächsten Gefängnisse angelangt, suchten die Geängstigten an den Wänden herum, ob nicht irgendwo eine versprochne Nachricht zu entdecken sei. Endlich fand Böck eine solche. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr ihm, seine Kniee schlotterten, seine Haare sträubten sich. Auf der rußigen Kerkerwand standen mit Kreide die Worte: „Wir kommen auf 25 Jahre nach Toulon auf die Galeere!“ Todtenstille herrschte in dem düstern Gemache. Diese Männer hatten oft genug dem Verderben in’s Antlitz geschaut – aber das war zu viel. Erschossen, in Ketten geschmiedet werden, in finsterer Casematte fern von den Lebenden sitzen müssen, deportirt werden nach unwirthbaren Inseln – das Alles konnten sie ertragen, darauf waren sie vorbereitet, sie hatten es vielleicht erwartet – aber die Genossen von Räubern, Mördern, von dem Auswurfe der Menschheit werden zu sollen, angeschmiedet zu werden an das Laster, an die personificirte Verruchtheit, weil sie, einem edlen Drange folgend, das Schwert gegen Deutschlands Unterdrücker geschwungen – das konnte ihr Gehirn nicht fassen, das hielten sie für einen schrecklichen Traum. Einer nach dem Andern las die unheilverkündende Schrift, Alle glaubten, ein Spuk habe sie geäfft. In einer Art von Betäubung taumelten sie von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt.

In Saint Michel begegneten ihnen Bauerweiber, welche gegen die Gefangenen die Zungen ausstreckten, was die Verhöhnten durch eine gleiche Pantomime erwiderten. Im Nu riefen die Weiber den Janhagel des Fleckens zusammen; Steine, Koth, Knittel flogen auf die Unglücklichen, das Gedränge ward so dicht, daß endlich die Gensd’armen mit der flachen Klinge auf die Bande der Angreifer einhauen mußten. So kam man nach Lyon. Hier geschah das Furchtbare schon mit weniger Zurückhaltung. Die Schill’schen wurden mit Sträflingen zusammengeschlossen. Zwar waren es noch keine todeswürdigen Verbrecher, aber der Arm des Gesetzes hatte sich doch schon nach ihnen gestreckt. Böck ward mit seiner rechten Hand an die linke eines französischen Deserteurs geschlossen. Es war ein guter Camerad. Er erzählte dem Trompeter, wie er bestimmt wisse, daß sie nach Toulon auf die Galeeren gebracht werden sollten. Er beschwor ihn zu desertiren, und gab ihm als sicherstes Mittel die Fingirung einer Krankheit an. Der Trompeter überlegte sich den Vorschlag und in Vienne, wo sie erfuhren, daß der Kaiser Napoleon sich vorbehalte über die Dauer ihrer Gefangenschaft noch Befehle zu ertheilen, daß die 25jährige Haft also noch nicht bestimmt sei, beschloß der Trompeter sich krank zu stellen. Er marschirte noch bis Valence mit und meldete sich hier als krank. Er ward in’s Lazareth gebracht. Ein Arzt erschien und, wahrscheinlich um sich ein Ansehen zu geben, erklärte er den Patienten für unfähig zum Weitermarsche. Uebrigens blieben die Gefangenen eine Zeitlang in Valence. In dem Lazarethe hatten Nonnen die Abwartung der Kranken übernommen, Böck hatte sich durch Pflege der Blumen in dem Zimmer der ersten Schwester deren Zuneigung erworben. Die frommen Damen trugen ihm den Posten eines Klostergärtners an. Er zauderte aber nicht lange. Das Unglück hatte ihn mit seinen Cameraden so eng verbunden, daß er um keinen Preis sie allein ziehen lassen mochte, er schämte sich seiner Verstellung und als die Stunde des Abmarsches kam, meldete er sich gesund und zog mit den Brudern dem Elende entgegen. In Carpentras nahm der Maire die Gefangenen sehr freundlich auf. Er ließ sie herrlich bewirthen und zwar deshalb, weil sie Preußen waren. Sein Vater hatte zur Zeit der Revolution in Magdeburg Zuflucht gefunden und war von den Preußen sehr gut gehalten worden, aus Dankbarkeit labte der Sohn die Unglücklichen.

Ein feuchter Nebel, eine stinkende Luft umgab die Colonne, als sie in eine belebte, an der See gelegene Stadt zog. Gaffende Müßiggänger umringten die Marschirenden, durch enge, bald aufsteigende, bald sich niedersenkende Gassen wanden sich die Leidensgefährten. Endlich machten sie auf einem großen Platze Halt. Sie waren in Toulon. Das Ziel ihrer Reise war erreicht. In Toulon ist der größte Bagno. Sie mußten in einer Reihe sich aufstellen. Der Sergeant klingelte an der Thür eines großen Hauses. Ein widerwärtig aussehender Mann trat heraus und überlas die Papiere. Als er fertig war, sagte er kurz: „Ins Arsenal.“ Von nun an war das Loos der Schill’schen gezogen.

Je näher sie den verhängnißvollen Mauern kamen, je fürchterlicher ward ihre Angst. Immer scheußlichere Gestalten kamen ihnen entgegen. Ueber das Steinpflaster hin klirrten die Fußketten von Galeerensklaven. Die Gesichter dieser Elenden verriethen Jammer und Noth. Sie trugen rothwollene Mützen; auf den rothen Jacken, den leinenen Beinkleidern waren die Buchstaben GAL (Galérien) gedruckt. Man hatte sie immer Zwei und Zwei mit den Füßen zusammengeschlossen, hinter ihnen ging ein Mann mit einem Ochsenziemer.

Die Schill’schen Soldaten überlief ein Schauer. Man führte sie an eine Schwungbrücke, welche die Gefangenen überschritten. Als sie dieselbe hinter sich hatten, waren sie vorläufig geschieden aus dem Leben, aus der menschlichen Gesellschaft. Sie waren nur noch Geschöpfe mit Zahlen statt der Namen, die sie einst getragen; sie waren die Genossen der Feinde des menschlichen Wohls, die Kettenbrüder der Scheusale, welche nur zwischen viehischer Arbeit und der Peitsche des Aufsehers ihre Tage hinbringen. Die Brücke [248] führte an das Bollwerk, von hier aus sollten sie in den Bagno transportirt werden.

Da noch ein Mal, kurz vor dem Scheiden aus dem menschlichen Verbande, vor dem Hinabsteigen in eine Höhle, die vielleicht fürchterlichere Qualen bereitet, als die von fanatischen Gehirnen erzeugte, in der Satan und seine Dämonen ihr Wesen treiben sollen, da fällt ein Tropfen lindernden Balsams in die Seelen dieser Unglücklichen. Zahlreiche Zuschauer haben sich eingefunden, man sieht die gefangenen, geschmähten Soldaten. Sie tragen noch, wenigstens größten Theils, ihre verwitterte, schäbige Uniform, das Todeskleid ihres irdischen Glückes; ihre Häupter sind noch von den Czakos bedeckt, von denen zwar die Fetzen herabhängen; es ist der Moment, den unsere Abbildung darstellt.

Aber in all diesem Plunderstaat schreiten sie stolz einher, die Schill’schen Männer. Jeder sieht ihnen an, daß die schmachvolle Behandlung ihren Muth nicht gebeugt, daß sie nicht murren über die Leiden, daß sie nur seufzen und in ohnmächtiger Wuth mit ihren Ketten rasseln ob der Schmach, die ihnen angethan wird durch die Gemeinschaft mit der Bevölkerung des Bagno. Und wie sie nun ernst, eine Thräne zerdrückend, einen leisen Gruß dem fernen Vaterlande zusendend, durch die Menge wandeln, wankenden Schrittes – denn der Fuß dieser Freien kann sich an die Kette noch nicht gewöhnen, er ist nur gefesselt in dem Bügel seines Sattels gewesen, wenn der Reiter auf muthigem Rosse dahinsauste in den Kampf, über die Flur beim Schmettern der Trompete – wie sie so dahinwandeln, drängt sich die Masse heran. Das Elend, die Würde haben sich vereint, um einen Schrei des Erbarmens, der Entrüstung ertönen zu lassen. Man naht den Gefesselten, man sucht ihre Hände zu ergreifen, man ruft ihnen Worte des Trostes zu, man bietet den Verschmachteten kühlen Trunk – in Feindesland ein freundlicher Gruß, ein Blick, ein Zuruf des Mitgefühls. Schamvoll blicken die französischen Männer jene geschändeten Krieger an, schmerzerfüllt heben die Weiber ihre Blicke zu ihnen empor, jammernd sehen es die Kinder. Das war ein Tropfen Balsams in die Seelen, die zerrissenen. Die Soldaten Schill’s haben Menschen gefunden, die Thränen weinen über das harte Loos oder die den Blick zur Erde senken voll Scham über die kleinliche Rache des großen Kaisers. Das erhebt sie, die Dulder, das läßt sie ihr Haupt stolzer tragen, und während der Sergeant und die Soldaten das Andrängen der Menge verhindern, schreiten sie, an einander geklammert, sich stützend, den Booten zu. Die Ruder werden eingesetzt; „abgestoßen!“ tönt das Commando. Pfeilschnell fliegen die Barken über die Wogen. Wenige Minuten später –, ein ungeheures Thor öffnet sich. Schill’s Soldaten sind im Bagno von Toulon.

Die Aufnahme in diese Höhle des Elends und Lasters war schon entsetzlich. Nachdem die Uniformen oder sonstigen Kleider ihnen förmlich vom Leibe heruntergerissen waren, bekleidete man die Soldaten Schill’s mit den Anzügen der Sträflinge. Statt der Nummer ihrer Regimenter oder Bataillone hatten sie das Zeichen Gal. auf Rock und Beinkleid. Dann führte man sie an das Sclavenschiff „Lazare“. Durch die enge Luke stieg Einer nach dem Andern auf das Deck. Die Angekommenen wurden wie Thiere in einem Pferch gezählt. Derjenige, welcher dieses Geschäft verrichtete, hatte das Aussehen eines Teufels. Es war ein Corse, fast nußbraun im Gesichte, seine Lippen mit dicken, schwarzen Gewächsen bedeckt; jeder der Schill’schen Männer erhielt einen furchtbaren Hieb mit der Peitsche durch dieses Ungethüm. Als sie das Deck betraten, sahen sie sich zwischen zwei Reihen Galeerensclaven gestellt. Die rechter Hand trugen rothe – die links Stehenden schwarze Bagnouniform. Auf den schrillenden Ton einer Pfeife trat vollständige Ruhe ein. Zur Freude der Unglücklichen schlugen plötzlich laut und vernehmlich die Töne der deutschen Sprache an ihre Ohren, der Namensaufruf erfolgte und der Rufer sprach deutsch. Er war Sträfling wie die Andern, aber er schien den Armen ein Engel.

Als die grauenvolle Musterung vorüber war, ertheilte man den Befehl nach dem Hinterdeck zu gehen. Bei der Wendung fühlte Böck einen Händedruck und erkannte in einem der schwarzgekleideten Sclaven seinen ehemaligen Wachtmeister. „Gerechter Gott!“ flüsterte der Trompeter. „Du bist es?“ „Still,“ wimmerte der Gefragte „hier findest Du lauter Cameraden.“ Als Böck die Sträflinge genauer betrachtete, entdeckte er, daß die meisten der Schill’schen Soldaten, die vor ihm nach Toulon gekommen waren, in den Kleidern der Galeerensclaven steckten.

Es nahte der schrecklichste Augenblick. Die Gefesselten wurden gezwungen sich zu setzen, der erste Knecht (Chaloupier) zog unter der Ruderbank eine sechsundzwanzig Pfund schwere Kette hervor, deren unterstes Ende mit einem Ring versehen war. Diese Ringe wurden um die Füße der Unglücklichen gelegt und nun begann das Einschmieden. Mit jedem Schlage zogen sich die Herzen der Dulder krampfhaft zusammen, der Seelenschmerz überwand die körperliche Pein; wenn der Hammer, von dem Ringe abspringend, mit schwerer Wucht den nackten Fuß traf, zuckten die Geschändeten nicht. Sie waren durch das Elend stumpf gemacht gegen die Gewalt des Schmerzes; dann folgte das Rasiren der Haare, dann erhielten sie in hölzernen Trögen ein spärliches, schlecht zubereitetes Essen, dann führte man sie an das Bassin, wo sie, bis zu den Hüften im Wasser stehend, pumpen mußten und noch an demselben Tage das gräßliche Schauspiel der Zermalmung eines Menschen durch die Pumpen genossen. Endlich kam die Nacht, der Schlaf senkte sich auf diese armen, gequälten Seelen nieder, und auf der harten Bank ruhten die Leidensgenossen und träumten von der fernen Heimath; sie schliefen Alle sanft, nur zuweilen ertönte ein leises Wimmern, wenn der Eisenring die Knöchel blutig rieb, oder wenn der Mitgefesselte die Kette scharf anzog. Fortwährend patrouillirte der Profoß zwischen den Reihen der Schläfer und zuweilen traf ein Hieb seiner Peitsche Diesen oder Jenen, der die Stille der Nacht durch Geheul unterbrach. Die Schill’schen Männer bemerkten wohl, weshalb diese Züchtigungen in der Nacht erfolgten, die nur alte Sträflinge trafen, deren Verworfenheit die Feder nicht schildern kann. Am Morgen verließen die meisten Sclaven unter scharfer Bedeckung das Schiff, und die Neuangekommenen wurden mit ihren Cameraden allein gelassen. Böck fand hier unter Andern auch die Söhne des Marketenders vom Schill’schen Corps wieder. Man hatte diese Knaben an die Kette der Galeerensträflinge geschmiedet. Einer von ihnen war erst eilf Jahre alt!!! Von dem gräßlichen Einerlei, von den haarsträubenden Episoden im Kerker, auf dem Arbeitsplatze, von den widerwärtigen Krankheiten und Zufällen aller Art könnte umfangreich und erschütternd geschrieben werden. Die Geschichte jedes Einzelnen dieser edlen Gefangenen ist ein Register von Anklagen gegen die Tyrannei ihrer Henker. Dennoch hielten sich diese Männer von Eisen aufrecht, sie trösteten sich gegenseitig mit der Hoffnung auf bessere Zeiten, sie weinten vor Unwillen, wenn sie das Schicksal Anderer betrachteten, ohne ihres eigenen zu gedenken. Ein solcher Schmerz bemächtigte sich ihrer, als Heinrich von Wedell in Sclavenkleidern nach Cherbourg transportirt wurde, um unter seinen übrigen Leidensgenossen, welche dort eingekerkert waren, die schmachvolle Arbeit des Bagnoverbrechers zu verrichten.

Erst zwei Jahre später trat eine Besserung des harten Looses ein. Massena verwendete sich für die Unglücklichen, und so hatten sie das Glück von den Galeeren auf die Inseln versetzt zu werden. Porqerolles, Isle de Levant und Porteros nahmen die Soldaten Schill’s auf. War auch die Arbeit eine harte – sie saßen doch nicht angeschmiedet an die Bänke der Galeeren, sie sahen doch den Himmel, das Meer und athmeten die reine, entzückende Luft der Hyérischen Inseln. Wohl brauste das Meer gegen die Küsten und brachte Grüße aus dem fernen Vaterlande, die Verlassenen meinten wenigstens, es rufe ihnen die Brandung Worte der Liebe und Erinnerung zu. Noch immer aber kein rettender Engel, der sie hinüberführte über die schäumenden Wogen. Da endlich am 9. Mai des Jahres 1814 schallt es durch die Lüfte: Freiheit! Freiheit! Es ist ein süßer Klang, ein Klang, der beginnt wie Äeolsharfentöne und immer weiter und mächtiger anschwillt wie Donnergebrause und Posaunenton. Sie können diese Töne kaum ertragen, die Unglücklichen, Geschändeten. Das Gefühl des Glückes überkommt sie so plötzlich, daß es sie niederschmettert. Sie glauben zu träumen, und erst als sie erfahren, wie die Kraft einer halben Welt den Gewaltigen gestürzt, dessen Wink sie in Fesseln geschlagen, da fallen sie nieder, im Uebermaß der Freude umarmen sie ihre Henker.

Ein großer Theil der Schill’schen Männer machte, aus der Gefangenschaft erlöst, den Feldzug des Jahres 1815 mit. Die 1809 Entkommenen sah man fast alle in den Reihen der Kämpfer von 1813–15. Man mag das Verfahren Schill’s und seiner Genossen beurtheilen wie man will: sie sind die Ersten gewesen, welche den großen Aufruf der allgemeinen Befreiung in die geknechtete [249] Welt schleuderten. Um die Häupter dieser Männer zieht sich aber außerdem noch der Glanz einer romantischen und zugleich wilden Poesie. Ihre Schicksale auf dem Kampfplatze in Sieg und Niederlage, ihre Leiden in der Gefangenschaft, ihre Befreiung lassen sie den Augen der Nachwelt gleich fabelhaften Gebilden erscheinen, und nur wenn man hier und dort noch einen jener wackern Männer, alt, gebeugt, in geachteter, oft hoher Stellung sich bewegend, erblickt, wird man daran erinnert, daß die Schill’schen Reiter wirklich dereinst das deutsche Land durchflogen, den blitzenden Säbel in der Rechten; begeisterte Söhne des Vaterlandes, als ihre Klingen die Feinde niederschlugen; duldende Märtyrer der Freiheit, als die Kette der Galeerensclaven an ihren Füßen klirrte.

Georg Hiltl.