Schrift und Schrifttum:14

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eingetreten. Aber was für offizielle, rechtlich erhebliche Dokumente und Aufzeichnungen gilt, braucht für privaten Gebrauch, im innern Verkehr der Behörden oder der Geschäftsleute nicht auch vorausgesetzt zu werden. Gegenüber der Schwerfälligkeit des römischen Systems mußte schon die durch die Verwendung der Null erreichte Einfachheit und Uebersichtlichkeit der arabischen Ziffern diesen einen Vorrang verschaffen. Wie man sich doch zu helfen wußte, zeigt Taf. XXIV f.

Man empfand alle Zahlzeichen als eine besondere Art Kurzschrift, M als Abkürzung für mille und millesimus, C ebenso für centum und centesimus usw. Deshalb hat man in den Urkunden bei dem Datum in der Regel die Wortendung beigesetzt. anno M° CC° LX° IIII°, aber auch sehr häufig millesimo ducentesimo LX° IIII° geschrieben. Seit dem Aufkommen deutschsprachiger Urkunden wird, namentlich im 14. und 15. Jahrhundert, immer mehr üblich, die Jahreszahlen überhaupt nicht mehr in Zahlzeichen sondern in Worten auszudrücken, vielleicht weil der Mehrzahl der Schreibe- und Lesekundigen zwar die arabischen, nicht aber die römischen Zeichen geläufig gewesen wären, man aber die arabischen eben aus rechtlichen Gründen scheute. Doch findet sich auch etwa in Geschäftsbriefen, daß das Datum mit deutschen Ziffern, die Zahlenangaben im Text mit römischen Zeichen geschrieben sind.


II. Das Schrifttum.

Bei dem lückenhaften Bestand der Ueberlieferung wird die Lokalgeschichte sich jeder einzelnen Nachricht freuen müssen, selbst wenn sie zunächst geringfügig erscheint. Sie wird deshalb auch die archivalischen Urkunden, das sind in der[1] Hauptsache Kaufbriefe, Lehenbriefe und -reverse Stiftungen, Schenkungen, Urteilsausfertigungen u. a., sorgfältig beachten. Diese erhalten freilich ihren vollen Wert in der Regel erst, wenn man sie mit der Ueberlieferung von andern Orten, von einem größeren Bereich vergleichen und daraus die Erkenntnis gleicher Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse

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schöpfen kann. Für den einzelnen Ort bleiben die Nachrichten meistens vereinzelt, zusammenhangslos, lassen weder eine fortlaufende Entwicklung noch die zu bestimmten Zeiten herrschenden Zustände vollständig erkennen. Um die Urkunden zu entziffern, dazu mögen die vorausgehenden Ausführungen über die Geschichte der Schrift und die beigegebenen Schrifttafeln helfen. Um sie zu verstehen und zu verwerten, wird noch einiges mehr nötig sein. Um nur das Wichtigste zu nennen: vor allem ein gewisses Maß von Kenntnis des Mittelhochdeutschen, der Sprache des Nibelungenlieds, und des Lateinischen, von diesem so viel, um sich von Cicero frei zu machen und das eigenartige Latein des Mittelalters zu verstehen. Ferner ist es nützlich, die Reichs- und Landesgeschichte zu kennen, mit Kirchengeschichte nicht unbekannt zu sein und etwas von Rechts-, Verfassungs-, Wirtschafts-, Kultur- und Sittengeschichte zu wissen. Mehr also, als hier auf kleinem Raum gesagt werden kann. Ich nenne im Abschnitt III eine möglichst kleine Zahl von wissenschaftlichen Werken, die teils für die Vorbereitung nützlich, teils als zuverlässige Helfer auch dem Kundigen stets willkommen sind.

Nicht anders als bei den Urkunden ist es mit den archivalischen Akten, dem Schrifttum der herrschaftlichen Behörden, bestehend aus Berichten, Erlassen, Korrespondenzen u.a. samt etwaigen Beilagen, Rechnungen, Listen aller Art usw. Auch sie geben für die Geschichte eines Orts höchstens Bruchstücke, einzelne Episoden, Streitigkeiten mit Nachbargemeinden um Weide und Allmand oder einzelner Bürger untereinander u. a. mehr. Wer mit bestimmten Fragen kommt, etwa über Schicksale in Kriegszeiten, über Kirchenbau oder Durchführung der Reformation, wird in der Regel enttäuscht werden, weil er keinen geschlossenen Aktenbestand darüber vorfindet, im besten Fall einzelne zerstreute Notizen verschiedenster Art an verschiedenen Stellen zu suchen hat, die zuletzt doch kein volles Bild geben. Wer dagegen einfach von dem Kenntnis nehmen will, was ihm die vorhandene Ueberlieferung bietet, wird manchmal durch glückliche Funde


  1. WS:korrigiert. Komma getilgt
Gebhard Mehring: Schrift und Schrifttum
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