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die überraschende Pflanzenarmut des Hochgebirges und das Auftreten der mitteleuropäischen Formen am Rande des Schnees.

So gilt denn auch vom Atlasgebirge, was der Araber vom Libanon sagt: „Auf seinem Haupte ruht der Winter, der Frühling spielt auf seinen Schultern und zu seinen Füßen weilt der Sommer.“

Marokko bietet noch ein vielversprechendes Feld für den Natur-, Sprach- und Geschichtsforscher. Die persönlichen Gefahren und ansehnlichen Kosten, welche mit dem Reisen in diesem Lande verbunden sind, dürften sich bei genügender Kenntnis des Arabischen und der Landessitten beträchtlich vermindern. Nur wer sich diese aneignen konnte, wird die Sprache der Berber, das noch wenig bekannte Schellah oder Schelluch (das u wie in Züricher Mundart das i zu sprechen) studieren und damit viele Rätsel lösen, sowie den großen Wirrwarr beseitigen können, der bislang in der Schreibweise geographischer Namen des Atlasgebietes herrscht. Von hohem geschichtlichen Interesse wäre unter Anderm der Nachweis des Ursprungs und der Bedeutung verschiedener alter Ruinen auf den nördlichen Vorbergen des Atlas, so bei Tasserimut (unter 31° 29′ N und 7° 13′ W 1080 m hoch) im Südosten der Stadt Marokko, ferner auf dem Kalkplateau von Sektana, südlich von Marokko, ungefähr 1400 m hoch unter 31° 12′ N und 7° 30′ W Gr. gelegen. Die Einwohner schreiben diese Ruinen vielfach den Christen zu. Es ist aber nicht bekannt, ja höchst unwahrscheinlich, daß die Portugiesen, um die es sich in diesem Fall allein handeln, könnte, soweit ins Landesinnere vorgedrungen sind. Vielmehr dürften wir es hier mit Resten römischer Festungswerke zu thun haben, welche errichtet wurden, um die Kolonisten der Ebene gegen die räuberischen Überfälle der unabhängigen Gebirgsbewohner, der Getules, zu schützen.

Viele wichtige Fragen harren namentlich im Atlasgebirge noch der Lösung. Sein Kamm wurde bisher nur an fünf Stellen erreicht, beziehungsweise überschritten. Was dazwischen liegt, ist gleich dem Antiatlas noch fast völlig unbekannt. Betrachten wir jene bekannten Stellen von Westen nach Osten, so sind es folgende:

1. Der Paß zur Seite des Dschebel Buibaun (Lenz schreibt „Paß von Bibauan“, nennt ihn auch Dschebel Tisi; doch dürfte hier eine Namensverwechselung vorliegen, d Dschebél auf Arabisch Berg, Tisi im Schellah Paß bedeutet). O. Lenz überschritt diesen Paß auf seiner Reise von Marokko nach Tarudant im Sus und Timbuktu am 13. bis 15. März 1880 und fand seinen Schieferrücken etwas über 1200 m hoch. Es ist derselbe Weg, dem Jackson am Anfang dieses Jahrhunderts folgte, als er den Sultan auf einer Militärexpedition von Marokko nach der Hauptstadt des Sus begleitete.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Justus Rein: Über Marokko. Dietrich Reimer, Berlin 1887, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_Marokko.pdf/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)