Sehr interessant ist die Ebersdorfer Bestimmung: zu ainem valltor ausz und umb das dorf und zu dem anderen valter wider hinein. Diese Vorschrift ist, falls sie nicht einfach in örtlichen Verhältnissen begründet war, vielleicht so zu erklären: Es wird scheinbar die Verweisung vollzogen, die Frau muß aus dem Dorf hinaus. Dann wird sie begnadigt am andern Ende des Dorfes wieder hereingelassen.
Der vorgezeichnete Weg war meist lang[1], und mußte wohl auch wiederholt werden[2]. Der Sinn solcher Bestimmungen war: die büßende Lästerzunge sollte von möglichst vielen Leuten im Dorfe gesehen werden. Je öffentlicher[3] ihre Schmach, umso härter war ihre Strafe, und umso eher nahmen sich andre ungebärdige Weiber ein warnendes Beispiel daran. Wer öffentlich gescholten, trug vor allermänig den Stein[4].
Der durch die Scheltworte an ihrer Ehre gekränkten Frau wird es zur besonderen Genugtuung gereicht haben, wenn das Ziel des Strafumzugs ihr Haus war[5]. So war auch die Wiederherstellung ihres geschädigten Rufes am vollkommensten.
Wenn alle beiden streitenden Parteien zum Steintragen verurteilt waren, so mußte die Urheberin des Gezänkes auch mit der Strafe beginnen; am Ziele hatte die nichtnachgiebige andre den Stein zu übernehmen und zurückzubringen[6]. In Spital am Semmering[7] war für jede ein besondrer Weg vorgezeichnet; möglicherweise ist die Stelle so zu verstehen, daß die beiden Strafumzüge gleichzeitig stattfanden und sich beim gemeinschaftlichen Ziele, dem Pranger trafen. So ist gleichsam die Versöhnung, das „Wiederzusammenkommen“ symbolisch ausgedrückt.
- ↑ dreimall umb den pranger … darnach all gassen auss und wider zu dem pranger Grafenwerd 1433 ÖW. 8, 672.
- ↑ dreymal in dem aigen Hütteldorf und Watzendorf 1562. Kaltenbaek 2, 115.
- ↑ offenlich zu puessen mit dem pachstain Ober Rohrendorf 1484 ÖW. 8, 874. offentlich um die vleischpenk Neunkirchen 1564 ÖW. 7, 213 (‚um die Fleischbänke‘ etwa gleich ‚um den Markt‘; im vorangehenden Satz ist von Fleischhackern die Rede).
- ↑ Friedberg (Anhang 7).
- ↑ biß zu der beleidigten haus. Herzogenburg 1566 (Anhang 9).
- ↑ Schönberg (Anhang 17). Reichenau NÖ. ÖW. 6, 69.
- ↑ ÖW. 6, 58.
Eberhard von Künßberg: Über die Strafe des Steintragens. Marcus, Breslau 1907, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Strafe_des_Steintragens.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)