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Drittes Capitel.
Die Entstehung und Entwicklung der Reichsstände.
§. 1. Die weltlichen Fürsten und ihre Abstufung.

Wer sich eine genaue Kenntniß der Verhältnisse des deutschen Reiches erwerben will, wird untersuchen müssen, auf welchem Wege die deutschen Reichsstände zu ihrer so bedeutenden Machtstellung gelangt sind; denn ohne diese Untersuchung würde man die ganze so unregelmäßige Gestaltung des deutschen Reichswesens und seine Verfassung kaum verstehen. Da nun die Stände theils Fürsten und Grafen, theils Bischöfe und Aebte, theils Städte sind, so ist die Entstehung jeder dieser Klassen besonders zu betrachten.

Die weltlichen Fürsten heißen theils Herzoge, theils Grafen – oder mit einem weiteren Zusatze Pfalzgrafen, Landgrafen, Markgrafen und Burggrafen. Den bloßen Fürstentitel führen außer den oben erwähnten neu ernannten nur die Fürsten von Anhalt; andere Stände führen ihn neben anderen Titeln. So nennen sich die Oesterreicher Fürsten von Schwaben, die Herzoge von Pommern und jetzt die Könige von Schweden Fürsten von Rügen, die Landgrafen von Hessen Fürsten von Hersfeld u. s. w.

§. 2. Das alte Herzogs- und Grafenamt.

Bei den alten Deutschen[1] war vor der fränkischen Herrschaft die Herzogswürde ein militärisches Amt, wie schon der Name (Heerzog) anzeigt. Die Herzoge wählte man aus den im Rufe größter Tapferkeit stehenden Männern, wenn ein Krieg bevorstand. Im Frieden verwalteten die Greven oder Grafen die Staaten und sprachen Recht in den Hundertschaften und

  1. Hier wiederum, wie im 1. Capitel, kann es nicht meine Aufgabe sein, die Irrthümer P’s. über die älteste deutsche Verfassung einzeln hervorzuheben. So ist es z. B. ein solcher Irrthum, wenn P. die fränkische Institution der Grafen schon in die Urzeit verlegt, in denen vielmehr bekanntlich an der Spitze der einzelnen civitates Fürsten (principes) stehen. Auch über die Bildung der Territorialhoheit hat P. bisweilen Ansichten, welche der neueren verfassungsgeschichtlichen Forschung gegenüber nicht haltbar sind.
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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/54&oldid=- (Version vom 1.8.2018)