Seite:1873 Kettenschiffahrt Conversations-Lexikon.pdf/3

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
F. A. Brockhaus (Hrsg.): Kettenschleppschiffahrt (Brockhaus 1873)

Maas aus 42 einzelnen Drähten und hat bei einer Stärke von 25 Millimeter ein Gewicht von 2,25 Kilogr. pro laufenden Meter. Ein solches Drahtseil ist bedeutend billiger als eine Kette; bei seiner Anwendung fallen die Erschütterungen weg, welche das Auf- und Abwinden der Kette auf die Rollen verursacht, auch ist das Drahtseil weniger leicht Brüchen ausgesetzt.

Beide Arten der Touage[WS 1] bieten aber der gewöhnlichen Dampfschleppschiffahrt gegenüber folgende Vortheile. Die Zugkraft ist wegen des festen Halts an der Kette oder am Kabel, bei gleicher Stärke der Maschine, bedeutender, sodaß z. B. Kettendampfer von 60 Pferdekräften mit einem Zuge von vier Kähnen durch die alte dresdener Elbbrücke hindurchkönnen, während Raddampfer mit Maschinen bis zu 200 Pferdekräften dies wegen der starken Strömung selbst mit zwei Schleppkähnen nicht immer ermöglichen können. Auf der Oberelbe rechnet man, daß im Durchschnitt ein Kettendampfer einen Lastzug von 50000 Ctr. Ladung mit einer Geschwindigkeit von 4/5 M.[WS 2] pro Stunde zu schleppen vermag. Hierbei braucht der Toueur[WS 3], wegen der schwächern Maschine, auch weniger Kohle als der Remorqueur[WS 4]. Die Schiffsmannschaft kann vermindert werden. Masten und Takelage können auf den Schleppkähnen ganz in Wegfall kommen. Die Beförderung der Güter erfolgt rascher und unter Innehaltung genauer Lieferungsfristen.

Die Idee der Touage ist schon alt; die ersten Versuche damit im großen wurden im J.[WS 5] 1820 von Courteaud und Tourasse auf der Saône angestellt; die Fortbewegung geschah jedoch noch in der Art, daß, während ein Schiff eine Strecke von 1000 Meter befuhr, eine zweite solche Strecke erst vorweg mit einer gleichlangen Kette belegt werden mußte und so fort abwechselungsweise. Die K. in ihrer jetzigen Vollkommenheit ist aber erst seit dem J. 1853, und zwar auf der Seine, in Anwendung. In Deutschland kommt der Vereinigten Hamburg-Magdeburger Dampfschiffahrtsgesellschaft das Verdienst zu, zuerst dieses System in Anwendung gebracht zu haben, und zwar auf der 3/4 M. langen Strecke von Neustadt-Magdeburg bis Buckau. Die trefflichen Resultate, welche man auf dieser kleinen Strecke erzielte, veranlaßten die Gesellschaft, bei der preuß. Regierung um die Concession zur Errichtung einer K. von Hamburg, resp. Altona bis Magdeburg nachzusuchen. Am 5. Mai 1869 constituirte sich in Dresden eine Gesellschaft für K. auf der Oberelbe, welche bereits im Juni 1870 den Betrieb von 15,62 M. sächs. Elbstrecke mit einem Kostenaufwande von 350000 Thlrn.[WS 6] einrichtete. Im J. 1872 wird die Touage von derselben Gesellschaft von der sächs.-böhm. Grenze bis nach Magdeburg ausgedehnt werden, während andererseits die Prager Schiffahrtsgesellschaft die Ausführung der K. von Aussig bis zur Landesgrenze beschlossen hat. Ferner ist die Einführung der Touage auf der Donau, dem Rhein, der Oder, der Brahe u. m. a. in Aussicht genommen, zum Theil schon concessionirt. In Frankreich ist die Touage auf der Seine, der Rhône und auf mehrern Kanälen, unter andern auch auf der unterirdischen Strecke des Burgunder Kanals eingerichtet. In Belgien liegt ein Drahtseil in der Maas zwischen Lüttich und Bei Rhein, eine Kette in dem Kanal von Charleroi; in Holland ist die K. auf dem Kanal von Beveland und auf dem Kanal, welcher Gent mit der Schelde verbindet, in Thätigkeit. In England,[WS 7] Rußland und Amerika wird die Touage einzuführen gesucht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Touage ist der französische Ausdruck für Seil- und Kettenschifffahrt
  2. M. ist die Abkürzung für eine preußische Meile (~7,5 km)
  3. Toueur ist der französische Ausdruck für Kettendampfer
  4. Remouqueur ist der französische Ausdruck für Raddampfschlepper
  5. J. ist die Abkürzung für Jahr
  6. Thlr. ist die Abkürzung für den Taler, eine historische Währungseinheit
  7. In England wurde die Kettenschifffahrt nie eingeführt
Empfohlene Zitierweise:
F. A. Brockhaus (Hrsg.): Kettenschleppschiffahrt. F. A. Brockhaus, 1873, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:1873_Kettenschiffahrt_Conversations-Lexikon.pdf/3&oldid=- (Version vom 15.8.2018)