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Julius Schlichting: Ketten- und Seilschiffahrt

vom Schiffsmittelpunkt entfernt. Beim Kettentauer liegt der Befestigungspunkt im Drehpunkt des vorderen Auslegers, also vorn und der Ablaufpunkt im Drehpunkt des hinteren Auslegers, also hinten. Da in Folge dessen die Kette den Tauer in der Lage der Kettenlinie vom vorderen bis zum hinteren Ausleger erhält, ist die Beweglichkeit des Tauers nach rechts oder links, oder die Steuerfähigkeit, beschränkt und von der Länge der vor oder hinter dem Tauer frei schwebenden oder aufgehobenen Kette abhängig. Diese Länge ist aber auf beiden Seiten nur eine geringe und dies ist eine Folge des großen Gewichts der Kette, ein Uebelstand der mit der Wassertiefe zunimmt, indem sich der Winkel, unter dem die Kette vom Flussbett nach dem Tauer auf- und absteigt, dem rechten um so mehr nähert, je größer die Wassertiefe wird. Das Heben der auflaufenden Kette vom Flussbett nach dem Tauer bedingt aber auch Kraftaufwand, also Verlust an Zugkraft und dieser nimmt ebenfalls mit der Wassertiefe zu. Beide erwähnten Nachtheile stehen der Verwendung der Kette in tiefen Flüssen, namentlich dort, wo ein lebhafter Verkehr ein häufiges Ausweichen bedingt, hindernd entgegen, treten jedoch bei weniger tiefen Flüssen, wie die Erfahrung bestätigt hat, nicht erheblich störend auf, da der Kraftverlust dort nur gering und die Steuerfähigkeit noch ausreichend ist, um mit dem Tauer den Krümmungen der Fahrrinne folgen, nach Bedürfniss ausweichen und die Kettenlage verändern zu können. Außerdem lässt sich aber auch das Bugsteuer und selbst der Anhang zur Steuerung des Tauers bis zu einem gewissen Grade mit verwenden, letzteres insofern, als man durch gekreuzte Schlepptrosse die Richtung des Anhang etwas ändern und diesen gewissermaaßen als Steuer benutzen kann.

Bei dem großen Gewicht der Kette folgt dieselbe dem Tauer überall unmittelbar nach und legt sich daher bei der Bergfahrt in solchen Krümmungen, bei denen sich die geringe Steuerfähigkeit geltend macht, hart an die konvexe Seite der Fahrrinne oder verlässt diese auch mehr oder weniger, so dass häufig ein Zurückverlegen nothwendig wird. Letzteres wird durch Thalfahrten mit dem Tauer erreicht, die indessen den Betrieb insofern stören, als beim Begegnen zweier Züge der Thalzug die Kette abwerfen muss. Uebrigens ist die Thalfahrt mit längerem Anhang auf Flüssen mit starker Strömung schwer durchführbar, weil bei der großen Geschwindigkeit des Tauers und der Anhangschiffe ein sicheres Lenken und Führen derselben nicht thunlich ist und auch die Möglichkeit fehlt, den Zug schnell in Ruhe zu versetzen. In Folge dessen würde der Zug manchen Havarien und die Schiffsmannschaft sogar Gefahren ausgesetzt seien; nur auf Flüssen mit mäßiger Strömung wird dieserhalb mit längerem Anhang zu Thal gefahren. Ein zeitweises Umlegen der Kette wird aber auch in Flüssen, welche große Mengen von Sinkstoffen führen, zur Verhinderung nachtheiliger Versandung der Kette nothwendig. Bei ihrem großen Gewicht und ihrer Biegsamkeit legt sie sich überall auf das Flussbett nieder und wird dort namentlich zur Zeit des Hochwassers mehr oder weniger von Sinkstoffen bedeckt. Das dann nothwendig werdende Heben der Kette erfordert nicht nur Kraftaufwand, sondern bedingt auch Betriebsstörungen, die in einzelnen Fällen, so an der Seine unterhalb Rouen zur gänzlichen Einstellung des Betriebs geführt haben. Begünstigt wird die Versandung der Kette noch durch die Form ihrer Glieder, indem die liegenden Glieder eine breite Fläche einnehmen, die stehenden aber sogar etwas in die Flussohle eindringen, das Heben also erschweren. Die Form der Kettenglieder giebt ferner zur Bildung von Verschlingungen Veranlassung und erzeugt endlich noch beim Uebergang der Kette über die Trommeln heftige Erschütterungen des Windeapparats, die wieder die Abnutzung desselben und die der Kette zur Folge haben. Da die Anspannung der Kette in der ersten Umwickelung am größten ist, werden auch die Trommelrillen dort am schnellsten abgenutzt und dies hat eine ungleichmäßiges Abrollen der Kette zur Folge, indem in den einzelnen Umwickelungen ungleiche Kettenlängen abzuwickeln sind. Dies kann nur durch zeitweises Gleiten der Kette, also durch Ueberwindung der ruhenden Reibung geschehen, bedingt daher eine viel stärkere Anspannung als zum Ziehen des zu schleppenden Anhangs erforderlich ist und veranlasst auch ein stetes Dehnen und Verlängern der Kette. Ihre Abnutzung wird außerdem noch durch die stete Reibung am Flussbett beschleunigt und ist aus allen vorerwähnten Gründen so erheblich, dass die betriebsfähige Dauer der Kette nach bisherigen Erfahrungen nur auf etwa 10–12 Jahre angenommen werden kann. Diese relativ kurze Dauer steht zu dem hohen Preise der Kette in ungünstigem Verhältniss und vermindert die Rentabilität der Ketten-Schiffahrt-Unternehmungen; trotzdem ist dieselbe immer noch eine so ausreichende, dass derartige Unternehmungen seit langer Zeit prosperiren.

Vortheile und Nachtheile des Seilschiffahrts-Systems.

Als Vortheile, sofern Tauer mit seitwärts lagerndem Seilapparat verwendet werden, sind anzuführen: 1) große Steuerfähigkeit, 2) geringes Gewicht des Seils, 3) günstige Form und 4) geringer Preis desselben. Die große Steuerfähigkeit des Seiltauers wird dadurch erreicht, dass das Seil nur auf geringe Länge mit dem Tauer fest verbunden ist und beim Durchfahren von Krümmungen die äußeren Leitrollen mehr oder weniger verlassen, im ablaufenden Theil sogar direkt von der Trommel in das Flussbett ablaufen kann, so dass dann der Tauer eine vom angespannten Seil abweichende Richtung einzunehmen vermag. Die Steuerfähigkeit ist jedoch wegen der seitlichen Lage der Trommel nach den beiden Schiffsseiten hin keine gleich große, trotzdem aber nach den Erfahrungen auf dem Rhein und der Maas so erheblich, dass selbst Kurven von 150 m Radius leicht passirbar sind.

Das Seil ist ferner viel leichter und von geringerem Querschnitt als die Kette bei gleich großer Festigkeit. Das geringe Gewicht erleichtert die Hebung des Seils von der Sohle der Wasserstraße nach dem Tauer, so dass es in dieser Beziehung besonders bei großen Wassertiefen zweckmäßig ist, umsomehr als dort gewöhnlich auch ein lebhafter Verkehr ein häufiges Ausweichen bedingt. Endlich ist das geringe Gewicht des Seils in Verbindung mit seiner Steifigkeit auch die Veranlassung, dass es auf größere Länge vor dem Tauer gehoben wird. Dies ist ebenfalls für die Steuerfähigkeit des Tauers und für die Erhaltung des Seils in der Fahrrinne vortheilhaft, so dass der Tauer bei der Bergfahrt in Kurven der konvexen Seite einigermaaßen ausweichen kann. In Folge dessen legt sich das leichte, steife, von der Richtung des Tauers weniger abhängige Seil in Kurven insoweit in die Fahrrinne nieder, dass ein Verlegen durch Thalfahrten nur zeitweise erforderlich wird. Auch die überall fast gleichmäßige Querschnittsform des Seils ist, wenngleich sie die Reibung vermindert, doch insofern ein Vortheil, als sie einen leichten Gang des Seils über Trommel und Leitrollen veranlasst und auch Versandungen des Seils nicht begünstigt. In dieser Beziehung verdient das Seil überhaupt vor der Kette den Vorzug, da es bei seiner geringen Dicke auch nur eine geringe Fläche der Versandung überlässt und bei seiner Steifigkeit sich nicht überall der Form des Flussbettes eng anschmiegt, in einzelnen wenn auch nur kurzen Strecken vielmehr, namentlich in lebhafter Strömung, eine gewisse Beweglichkeit behält, welche Versandungen theilweise verhindert oder doch erschwert. Wo jedoch Versandungen eintreten, erfordert die Hebung des Seils – da solche bei seiner Steifigkeit gleichzeitig auf größere Länge erfolgen muss – vermehrte Kraftanwendung. In einzelnen Fällen hat die starke Versandung des Seils seine Aufhebung unmöglich gemacht, so beispielsw. im Niederrhein bei Orsoy, woselbst sich grober Kies vorfindet, welcher noch ungünstiger wirkt, als Sand. Endlich ist der geringe Preis des Seils, welcher nur etwa 1/4 bis 1/5 desjenigen der gleich widerstandsfähigen Kette beträgt, ein Vortheil, der indessen durch die größere Abnutzung und geringe Dauer wieder abgeschwächt wird.

Diesen Vortheilen gegenüber sind als Nachtheile zu nennen: 1) großer Tiefgang des Tauers, 2) komplizirter Mechanismus des Windeapparats, 3) schwierige Verlängerung und Verkürzung des Seils und dessen Wiederverbindung bei Seilbrüchen und 4) leichte Zerstörbarkeit des Seils.

Der Tiefgang des Seiltauers mit seitwärts liegender Trommel beträgt nach bisherigen Erfahrungen in minimo 0,8 bis 0,9 m, also etwa doppelt so viel als der des Kettentauers. Es ist dies wesentlich eine Folge der Lage des Windeapparats außerhalb des Schwerpunkts des Fahrzeugs. Diese ungleichmäßige Belastung senkt schon den Tauer auf die Seite des Windeapparats; außerdem veranlasst aber auch das große Gewicht desselben eine Vermehrung des Tiefgangs. Bei der Steifigkeit des Seils lassen sich nur Trommeln und Leitrollen von großem Durchmesser und bei der unsymmetrischen Lage nur starke Transmissonstheile zur Uebertragung der Maschinenkraft auf den Apparat verwenden. Dementsprechend ist eine Vermehrung des Deplaçements und Verstärkung des Schiffskörpers erforderlich. Dies alles beeinflusst auch die Kosten der Herstellung und Unterhaltung des Tauers und macht diese erheblicher als diejenigen des Kettentauers. Bei der tiefen Eintauchung hat der Seiltauer in Flüssen von geringer Wassertiefe bisher nur eine beschränkte Anwendung gefunden. Der weitere wesentliche Nachtheil ist die aus der schwierigen Verlängerung oder Verkürzung des Seils resultirende Betriebsstörung. Das Seil lässt sich zwar leicht zerschneiden, dagegen nicht so einfach wieder verbinden, indem dabei ein Zusammenschließen der einzelnen Drähte erfolgen muss und dies im Interesse der Festigkeit des Seils nur durch Vertheilung der Stöße und Aufwickeln des Seils auf etwa 15–20 m Länge erfolgen kann.

Derartige Manipulationen erfordern nicht nur viel Zeit, sondern auch besondere Vorrichtungen und geübte Arbeiter. Außerdem ist aber zeitweise auch noch ein Aufrollen einer Seilstrecke dort erforderlich, wo überflüssige Seillänge entsteht. Gewöhnlich werden hierzu besondere Stations-Schiffe verwendet, um den Tauer von der Mitführung der Vorrichtungen zu entlasten. Auch diese Schiffe vertheuern die Anlage, Unterhaltungs- und Betriebskosten.

Als letzter Nachtheil tritt die leichte Zerstörbarkeit des Seils auf. Erfahrungsmäßig nämlich kommen Seilbrüche in Folge der Schlingenbildung und der Abnutzung durch Reibung und verschiedenartige Beanspruchung der Drähte vor. Endlich unterliegt das Seil auch der böswilligen Zerstörung. Da es zeitweise – wie die Kette – überschüssige Länge besitzt, bilden sich beim Ablauf Schlingen, die je nach ihrer Lage selbst der Schiffahrt hinderlich werden, namentlich aber Seilbrüche herbei führen können, ersteres insofern die Schlingen in Folge unregelmäßiger Gestaltung der Flussohle aufwärts gerichtet in das Fahrwasser hinein ragen und letzteres insofern der Anzug des Seils bei nicht regelmäßiger Auflösung der Schlingen ein Knicken einzelner Seil-Drähte veranlasst. Erfolgt nun auch nicht bei jedem derartigen Vorgang ein Seilbruch, so doch eine Schwächung des Seils, die dessen Abnutzung beschleunigt. Letztere entsteht aber ganz besonders

Empfohlene Zitierweise:
Julius Schlichting: Ketten- und Seilschiffahrt. Deutsche Bauzeitung, Berlin 1882, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:1882_Ketten_und_Seilschiffahrt.pdf/2&oldid=- (Version vom 15.8.2018)