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von Heisterbach uns aus dem damaligen Aachen hinterlassen hat. Er erzählt: „Ein Mann, der in der Nähe von Aachen wohnte, hatte drei Kinder. Zu der Zeit aber, da König Philipp dort gekrönt wurde, zeigten sich in der Gegend viele Wölfe. Einer derselben fand ausser dem Hause jenes Mannes eins von dessen Kindern, raubte es, warf es sich auf den Rücken und eilte damit in den Wald. Ein Ritter, der zufällig des Weges geritten kam, erbarmte sich des Kindes, verfolgte den Wolf, und es gelang ihm, den Knaben gesund und wohlbehalten den Zähnen des Ungetüms zu entreissen. Nicht lange nachher ist derselbe Knabe wieder von einem Wolfe geraubt, erwürgt und aufgefressen worden. Der Knabe besass noch eine ältere Schwester. Als diese einmal, um aus einer Quelle Wasser zu holen, über Feld geschickt worden war, stürzte vor den Augen vieler ein Wolf auf sie los, und ehe man ihr zu Hülfe kommen konnte, hatte er das Mädchen getötet und zerfleischt. So hatte also jener Mann zwei Kinder verloren. Als er nun einmal während eines Krieges sein Weib und seine fahrende Habe nach der Stadt gebracht hatte, liess er sein drittes Kind, einen Knaben, um das Haus zu behüten, zurück. Heimkehrend fand er den Knaben nicht mehr und hat ihn niemals wiedergesehen. Es ist wahrscheinlich, dass er gleich den beiden andern durch einen Wolf geraubt und erwürgt worden ist.“

So weit Cäsarius. Noch im vorigen Jahrhundert waren Wölfe in der Aachener Umgegend keine Seltenheit. So erzählt der Ratsdiener Jansen in seinem Gedenkbuche[1], dass ein Einwohner von Kornelimünster in der Nähe seines Hauses von einem Baume aus den Wölfen auflauerte. Nach den Mitteilungen des Freiherrn von der Trenck wurden noch in dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts grosse Wolfjagden in den Waldungen bei Montjoie[WS 1] veranstaltet[2]. Vielleicht den letzten Wolf in der Nähe unserer Stadt erlegte im Jahre 1860 Herr Freiherr von Broich bei Laurenzberg[WS 2]. Philipp von Schwaben, zu dessen Zeit sich die von Cäsarius erzählte Geschichte zugetragen hat, war von 1198–1208 deutscher König und wurde am 6. Januar 1205 hier gekrönt. Von 1187–1193 bekleidete er im Aachener


  1. v. Fürth, Beiträge zur Geschichte der Aachener Patrizier-Familien Bd. III, S. 49.
  2. Des Freiherrn von der Trenck merkwüdige Lebensgeschichte Th. II, S. 213.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Monschau
  2. gemeint ist hier Laurensberg bei Aachen, nicht das heute dem Braunkohletagebau zum Opfer gefallene Laurenzberg
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Pschmadt: Der „dialogus miraculorum“ des Cäsarius von Heisterbach in seinen Beziehungen zu Aachen. In: Aus Aachens Vorzeit, Heft 1/1900. Cremer, Aachen 1900, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AAV_Heisterbach_dialogus_miraculorum_Pschmadt.pdf/6&oldid=- (Version vom 15.8.2018)