Seite:Adolf von Stählin - Das landesherrliche Kirchenregiment.pdf/69

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

verändert und zu der auf religiösem Gebiet durchaus wünschenswerthen größeren Freiheit umgestaltet hat. Gottlob und Dank wird es wohl nie wieder dahin kommen, daß man freie Gemeinden, wenn sie auch nicht die Bezeichnung der „Harmlosigkeit“ verdienen, mit einer Art Gewalt in die Kirchen zurücktreibt, daß man Irvingianer Verfolgungen unterwirft, daß man die Israeliten wie Parias der bürgerlichen Gesellschaft behandelt. Staatskirchen im strengen Sinne des Worts bestehen in unseren Tagen in Deutschland nirgends mehr; wir haben überall den paritätischen Staat; wir finden es ganz in der Ordnung und freuen uns darob, daß der Staat auch den Sekten, auch der Gemeinschaft abgefallener Christen gerecht werden muß. Aber damit ist doch das besondere, rechtlich geordnete Verhältniß des Staates zu den großen Kirchengemeinschaften, die überhaupt, namentlich aber dem Staate gegenüber noch viel Gemeinsames haben, nicht ausgeschlossen; damit ist z. B. nicht die Civilehe überhaupt, sei es in obligatorischer oder fakultativer Form, sondern nur die engere oder weitere Nothcivilehe als erforderlich constatirt. Es geht uns schon zu weit, wenn hie und da von kirchlicher Seite unbedingt die obligatorische Civiltrauung als im Namen der religiösen Freiheit nöthig bezeichnet wird. So lange z. B. sehr liberale Minister sich gegen Civiltrauung als gegen das Volksgefühl im Ganzen sich verstoßend aussprechen, so lange die Sache in manchen Kammern nur als abstracte Rechtsdoctrin und Forderung politischer Parteiprogramme behandelt wird, hat man keinen Grund, kirchlicherseits sich für eine solche Nachgiebigkeit gegen die herrschende Zeitströmung zu echauffiren. Es kann letzteres ebenso verkehrt sein als die hie und da auftretende leidenschaftliche Verurtheilung des Instituts der Civilehe als solchen. Die Vorgänge in Baden sind doch sehr lehrreich. In den letzten Wochen vor Einführung des neuen Gesetzes haben besonders auf dem Lande noch Hunderte sich kirchlich trauen lassen, um der verhaßten Civilehe zu entgehen. Nach Einführung der Civilehe haben die Bürgermeister angefangen, bei ihren bürgerlichen Trauungshandlungen Reden zu halten, die Rathhäuser schmücken und die Kirchenglocken läuten zu lassen, um die Leute von der Kirche und der