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nur sie dem Justin zugesprochen. Haben aber beide einen Verfasser, so wird man nicht ableugnen können, daß der Lehrgehalt der Apologien von vorne aus dem Dialog zu beleuchten und zu ergänzen ist und die Grundanschauungen Justin’s nicht einseitig aus den Apologien festgestellt werden können.

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 In der geschichtlichen Uebersicht erkennt v. E. in den Forschungen Ritschl’s „eine Wendung von unermeßlicher Bedeutung“, die auch Justin zu gute kamen, während er Neander und auch Thomasius in ihrer Beurtheilung der nachapostolischen Zeit ziemlich scharf tadelt. Nun verkennen wir durchaus nicht die einschlagende Bedeutung des Werkes von Ritschl: Entstehung der altkath. Kirche, in dessen zweiter Auflage, die von der ersten in sehr wesentlichen Punkten abweicht; was aber den Hauptpunkt in vorliegender Frage anlangt, den heidenchristlichen Charakter Justin’s, so sind doch gerade hierin andere Forscher, Otto, Semisch, Dorner, Neander, bereits Ritschl vorangegangen. Andererseits weicht, wie wir glauben mit Unrecht, v. E. von Ritschl ab in dessen Anschauung von einer wesentlichen Einheit aller apostolischen Väter und Justin’s bezüglich einer gesetzlichen, die Paulinischen Gedanken nur in gebrochener Gestalt reproducirenden Richtung. v. E. nimmt hier Uebergänge an, die in der Weise, wie er es meint, nicht existiren. Neander redet von einem aus der Mitte der heidenchristlichen Gemeinde selbst sich entwickelnden jüdischen Elemente. Er behauptet hier nichts anderes als was Thiersch in den beiden Werken: Versuch zur Herstellung u. s. f., und: Vorlesungen über Katholicismus und Protestantismus, und auch Dorner in der Christologie (I, S. 190 f.), der eine in eingehender Ausführung, der andere mehr andeutend darzuthun suchten. Diese Theologen sprachen insgesammt von einem judaistischen Elemente innerhalb des Heidenchristenthums, welches in psychologischem, nicht äußerlich geschichtlichem Zusammenhang mit dem alten Judaismus steht. Man möchte sagen, es besteht das Tragische in dem nachapostolischen Entwickelungsgange der Kirche darin, daß dieselbe Gemeinschaft, welche unter Berufung auf Paulus mit großer Entschiedenheit der Auflegung des jüdischen Cärimonialgesetzes sich erwehrte, mitten im Kampfe hiegegen sich selber unbewußt in eine andere, feinere, nach ihren psychologischen Wurzeln und ihrer Erscheinung dem ursprünglichen Judaismus aber vergleichbare Gesetzlichkeit, über welche Paulus in seinem Zeugniß von der Rechtfertigung

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.10.2017)