Seite:Adolf von Stählin - Justin der Märtyrer.pdf/11

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

aus Glauben bereits ebenso das Urtheil gefällt hatte, verfiel. Gern opfern wir übrigens den Namen, wiewohl auch Ritschl von einem Rückfall in’s alte Testament geredet und z. B. Grau erst jüngst die Reformation „eine Erlösung von judaistischer Gesetzlichkeit und alttestamentlicher Unmündigkeit“ genannt hat. Unzweifelhaft ist aber, daß jene Entartung, welche die Reformation nöthig gemacht hat, ihre ersten, wenn auch zarten Wurzeln bis in die große kirchliche Wende unmittelbar nach dem Heimgang der Apostel senkt. Auch muß doch bemerkt werden, daß v. E. selbst anführt, wie Pseudo-Clemens sich in Aufstellung der Skala guter Werke ausdrücklich auf das jüdisch-apokryphische Buch Tob. 12, 8. 9 beruft (S. 405) und Ritschl nachgewiesen hat, daß selbst in der alexandrinischen Kirche mosaische Cärimonialgebote Geltung gewannen, so das Gesetz über Entrichtung des Zehnten an die Priester und die Verordnungen über kultische Reinheit und Unreinheit (a. a. O. S. 332 f.). Das ist doch Judaismus, aber immerhin ein Judaismus, der auf spontane Weise, ohne Uebertragung von außen, aus der heidenchristlichen Kirche sich entwickelte. Von einem Judaismus des Hermas redet auch Uhlhorn, obwohl er ihn durchaus nicht als reinen Judenchristen ansieht (Herz. R.-E. 1. Aufl. V, 774; anders in der 2. Aufl.).

.

 Worauf alles ankommt, ist die Anerkennung und Würdigung der Thatsache, daß die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben nach ihrem Wesen und in ihrer centralen Bedeutung im nachapostolischen Zeitalter und späterhin nicht mehr völlig erkannt wurde. Hiermit hängt die Fassung des Christenthums als eines neuen Gesetzes, die Verwischung des Unterschiedes von Gesetz und Evangelium, von altem und neuem Testament, der ergistische Zug, der durch die Darstellung der Heilsordnung und des Heilslebens geht, zusammen. Justin hat diese Richtung bereits als Erbe der unmittelbar vorhergegangenen Zeit angetreten und es dann weiter der sich bildenden altkatholischen Kirche vermacht. Kein apostolischer Vater, auch Clemens von Rom nicht, hat die Rechtfertigungslehre klar und ungetrübt reproduzirt; das Auffallende bei dem Genannten ist gerade, daß er an einer Stelle sich völlig paulinisch ausdrückt, um dann später den paulinischen Gedanken ganz eigenthümlich umzubiegen. Die Thatsache muß anerkannt werden, auch wenn ihre Erklärung unmöglich wäre. Ritschl leitet unter Billigung v. E.’s diese Erscheinung aus dem Mangel an Verständniß der alttestamentlichen

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/11&oldid=- (Version vom 1.10.2017)