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aber fügen sich die einzelnen Momente des subjektiven Heilslebens bei Justin durchaus nicht in evangelischer Klarheit zu einem Gesammtbilde.

 Der Herr Verf. betrachtet als Grundanschauung Justin’s, daß das christliche Leben, daß Frömmigkeit und Gerechtigkeit Leistungen und zwar rein menschliche Leistungen sind, zu denen der Mensch durch Belehrung über Wesen und Willen des wahren Gottes und durch Aussicht auf Lohn und Strafe nach dem Tode getrieben wird (S. 89. 93). Christus ist wesentlich Lehrer und der Glaube an ihn im Unterschied von der Befolgung seiner Lehre hat hier keine Stelle (S. 89). In der Ausrüstung des Menschen mit Vernunft und Freiheit hat Gott das Seinige zur Gerechtigkeit des Menschen gethan, alles übrige ist Sache des Menschen (S. 152). Der Mensch ist unbedingt frei (S. 153). Gott wirkt nach dem Abfall des Menschen nur insofern zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit mit, als er sich deutlicher denn zuvor dem Menschen als Quelle und Norm der Gerechtigkeit gegenüberstellt – – Gott kann den Menschen nur belehren und der Mensch kann diesen Belehrungen folgen. Zu einer persönlichen Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch kommt es in diesem Aeon nicht – – –. Justin’s Begriff von der Welt ist ein anderer als der christliche, weil sein Gottesbegriff ein anderer ist als der biblische (S. 156). Justin brachte es nicht zu einer scharfen Unterscheidung von Gott und Welt noch zu einer richtigen Verhältnißbestimmung. Er mußte einerseits die Grenzen zwischen Schöpfer und Geschöpf verwischen und andererseits eine unausfüllbare Kluft zwischen beiden befestigen (S. 157), d. h. der Gott Justin’s ist nicht geistige Persönlichkeit und ist die absolute Transcendenz.

 Wird nun in Betracht gezogen, daß Justin nach dessen klaren, unmißverständlichen Aeußerungen an die Gottheit Christi, an Vater, Sohn und Geist, an Weltschöpfung, Welterhaltung und Welterlösung, an die Heilsthatsachen von der Geburt des Gottessohnes aus der Jungfrau bis zu dessen Wiederkunft in Herrlichkeit, an die Heilsvorbereitung in der Zeit des alten Bundes, an die göttliche Inspiration der Schrift desselben, welch’ letztere, um mit Semisch zu reden, „das Herzblut ist, an welchem sein geistiges Leben sich nährt“ (Ev. Kalender 1852, S. 70), an die Göttlichkeit des Berufes und Zeugnisses der Apostel glaubt; daß sein Gottesbegriff wohl alle

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.10.2017)