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aus dem Angeführten hervor, daß Justin reale Gnadenwirkungen, eine lebendige, wirkungskräftige Gegenwart Christi in seiner Gemeinde kennt. Er sagt außerdem geradezu, daß der Same aus Gott, der Logos, in den Gläubigen wohnt (I, 33), und daß Christus in ihnen stets mit seiner Macht gegenwärtig ist und offenbar gegenwärtig sein wird bei seiner zweiten Parusie (Dial. 54). Auch dem Gewicht dieser Stellen sucht v. E. zu entgehen. Aber eines kann doch nicht abgeleugnet werden: der sakramental-mystische Charakter der Justinschen Abendmahlslehre. Selbst Lange, der von den Apologien, in denen sie sich findet, so gering als möglich denkt, wagt ihn nicht geradezu anzuzweifeln. Wenn aber hier ein unleugbar mystisches Element sich findet, warum nicht auch in anderen Lehren?

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 Wenn v. E. Justin einer konsequenten Umdeutung der christlichen Lehren beschuldigt, da er nun einmal für die religiösen Grundgedanken des Christenthums kein Verständniß hatte (S. 167), so müssen wir vielmehr behaupten, sein Beurtheiler lasse sich eine radikale Umsetzung der christlichen Grundanschauungen Justin’s zu Schulden kommen. Alles, Glaube, Hoffnung, Wiedergeburt, Sündenvergebung wird nach v. E.’s Meinung bei Justin etwas Anderes als es nach Schrift und Kirche ist; wir sind aber fest überzeugt, daß J. diese Realitäten dem Wesen nach im Sinne der Schrift und Kirche festhält, wenn er auch ihre Vollbedeutung nicht immer erkannte; sein Beurtheiler bemüht sich aber, in Justin’s Aeußerungen etwas ganz anderes zu finden, als der Wortlaut besagt. Wir lesen S. 190: „Daß Christus gestorben ist für das Heil derjenigen, die an ihn glauben, hat nur den Sinn, daß Christus durch den Tod in die Herrlichkeit eingegangen ist, welche ihm die Möglichkeit gibt, die, welche seine Lehre für wahr halten und ihr gehorsam sind, vom Tode aufzuerwecken.“ Erinnern solche Erklärungen nicht ganz an einen längst überwundenen Standpunkt der neutestamentlichen Exegese? Soll dieser nun der Auslegung der Kirchenväter dienen? Es ist wahr, daß der Justin’sche Glaubensbegriff häufig ein sehr intellektualistisches Gepräge hat, aber er geht gleichwohl nicht im blosen Fürwahrhalten auf. Semisch und Otto geben dies zu (a. a. O. II, 455, Ersch u. Gr. etc. S. 73). Ist Justin das Christenthum nicht blos Lehre, sondern auch Heilsthatsache, was doch klar vor Augen liegt, so muß der Glaube eine tiefere Bedeutung für ihn haben, abgesehen von der innigen Verwandtschaft des Justin’schen Glaubensbegriffs

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.10.2017)