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d. i. die uns durch Jesum Christum zugesendete Gotteskraft bedräut ihn und er weicht von uns. Es ist an sich sehr gleichgültig, ob hier an den heil. Geist oder nur an die von Jesu ausgehende Heilskraft im Allgemeinen gedacht wird – jedenfalls steht v. E. mit obigen Aeußerungen in diametralem Widerspruch mit dem wirklichen Justin.

 Mag die Heilsordnung bei Justin noch so sehr getrübt erscheinen, eine durchaus unchristliche, eine rein stoische Selbstvervollkommnungstheorie, wie v. E. ihm aufbürdet, hat er nicht aufgestellt. Nach jenen Aeußerungen wäre der christliche Heils- und Heiligungsbegriff bei Justin vollkommen zerstört; Justin wäre ein vollkommener Heide. Als solcher wird er mehrentheils wirklich in unserem Buche dargestellt; dabei soll er aber doch wieder ein ganzer Christ sein, v. E. verzichtet auf jede psychologisch-ethische Einheit in der Darstellung des Charakters und der Richtung Justin’s; sonst könnte er nicht S. 453 von der christlichen Gesinnung Justin’s reden, die sich doch mit der angegebenen unchristlichen Denkweise nicht verträgt; sonst könnte er nicht unter anderem schreiben (S. 425), daß Hermas so wenig wie Justin durch ihre gesetzliche Denkweise gehindert sind, das Heil einzig und allein vom Sohne Gottes zu erwarten und vom Glauben an ihn abhängig zu machen. Wie kann ein Mann das Heil einzig und allein von Christus erwarten, der keine Wiedergeburt, keine Sündenvergebung, keine höhere Kraftmittheilung kennt, der sich durch eigene Sinnesänderung gerecht und vollkommen macht. Daß Justin das Heil einzig und allein von Christo erwartet, ist eben ein Beweis, daß v. E. seine Richtung ganz unrichtig dargestellt hat, daß Justin, wenn er auch manches Gesetzliche in diese aufgenommen hat, damit doch nicht das Wesen des Christenthums aufgibt.

 Auch da, wo v. Engelhardt Justin’s Ausführungen über das alte und neue Gesetz im Dialog bespricht, kommt derselbe auf dasselbe Resultat. Justin schließt sich hier an Barnabas an und wird durch seine Aufstellungen maßgebend für die Anschauung der katholischen Kirche. Wir wissen, daß der rein evangelische Standpunkt nicht mehr festgehalten wird. Gleichwohl ist es durchaus nicht der eigentliche Justin, den v. E. reden läßt, wenn er dessen Lehre so darstellt: „Das neue Gesetz ist ein vollendendes und abschließendes, nicht aber ein anderes. Das neue Gesetz zeigt nicht einen anderen Weg der Rettung, sondern nur deutlicher den alten Weg der Buße

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.10.2017)