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 Auf uns macht Alles den Eindruck, daß Justin auch in seinem System ernstlichst bestrebt war, die Transcendenz Gottes mit der Immanenz zu verbinden. Gott und Welt werden nicht vermischt. Wie viele Theologen des 19. Jahrhunderts haben wohl einen so reinen Schöpfungsbegriff wie er! Mit aller Energie eifert er im Eingang des Dialogs gerade gegen den antiken substantiell-physischen Gottesbegriff, auch gegen die Platonische συγγένεια der Seele; und auf der anderen Seite: ist denn nicht seine Logosidee der sprechendste Beweis, daß er der Immanenz Gottes durchaus gerecht werden will? Das dualistische Verhältniß zwischen Gott und dem Logos, das v. E. annimmt, besteht eben in Wahrheit nicht. Ganz richtig betrachtet Duncker, dessen treffliche Abhandlung v. E. nicht näher berücksichtigt hat, den Logos als „den Mittler der göttlichen Liebesthätigkeit, das Band der innigen Gemeinschaft, welche die Welt, das Werk und den Gegenstand der Liebe, mit Gott, dem Vater der Liebe, vereinigt“ (a. a. O. S. 1144). Gott wird nicht erst im Logos persönlich (S. 138); wäre es so, wie könnte denn Justin Gott, ungeachtet der Vermittelung der Weltschöpfung durch den Logos, beständig als den Vater des Alls bezeichnen?

 Für Justin, lesen wir S. 198, „ist der Gedanke der göttlichen Freiheit völlig unbrauchbar“. Aber ein völlig unfreier Gott und ein unbedingt freier Mensch passen doch nicht zusammen. Und sind es denn nicht Akte der Freiheit, wenn Gott vorzeitlich nach seinem Rath und Willen den Logos aus sich hervorgehen ließ, wenn Gott aus Güte um des Menschen willen die Welt schuf, wenn die Menschwerdung und Erlösung nach der οἰκονομία, der βουλή, dem θέλημα Gottes erfolgte? Ist das ein unfreier Gott, dessen Weltregierung die Ueberwindung aller Gewalten des Bösen, die Vollmachung der Zahl der Auserwählten, die ewige Entscheidung zum Ziele hat (I, 45)? Justin hat eine großartige heilsgeschichtlich teleologische Weltanschauung. Wie klar zeichnet er im Dialog auch den Gang der Geschichte der Gemeinde Christi bis zur Ausreifung des Widerchristenthums, aber auch bis zur Vollendung der Erlösung! Die Bedeutung der teleologischen Anschauung Justin’s gerade im Gegensatz zur antiken Philosophie hat Duncker sehr gut hervorgehoben (a. a. O. S. 1143).

 S. 473 lesen wir: „Nicht nur redet er niemals unumwunden vom Zorn oder von der Liebe und Gnade, sondern er deutet auch

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.10.2017)