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eines gekreuzigten Menschen ein gewaltiges Skandalon für die natürliche Denkweise, daß sie für dieselbe „Wahnsinn“ ist. Warum hat denn auch gerade um dieser Lehre willen Celsus die Christen mit so bitterm Spotte übergossen? Wäre andererseits der Justin’sche Christus, wie er nach v. E.’s Darstellung erscheint, mehr ein heidnischer Untergott und ein philonisches Mittelwesen, so hätte derselbe Celsus, der die Lehre der Christen παρακούσματα aus Plato nannte, bei dieser Fassung ihres Mittelpunkts, der Christologie, so Unrecht nicht.

 Ohne Justin fehlt hinsichtlich des christologischen Dogmas das eigentliche Bindeglied zwischen den apostolischen Vätern und dem Nicänum: „Justin hat die ersten Elemente derjenigen Ansicht ausgebildet, welche in der nicänischen Lehre von der Homousie des Logos zum Abschlusse kam“ (Ritschl a. a. O. S. 308). Ganz gut hebt auch Dorner hervor, daß Justin die Logoslehre nicht von oben herab, sondern von der Geschichte, von der Erfahrung des Heils in Christo und der apostolischen Ueberlieferung her geworden ist (Christologie I, S. 416). Otto sagt geradezu: „Demnach behauptet der Märtyrer im kirchlichen Sinne: in Christus sei Göttliches und Menschliches zur persönlichen Einheit verbunden erschienen“ (Sitzungsber. etc. S. 176); Semisch und Duncker kommen in Bezug auf das Verhältniß der Justin’schen und Philon’schen Logoslehre auf dasselbe Resultat. Der erstere behauptet: „Die Logoslehre Justin’s ist rein biblischen Ursprungs und Inhalts, aber allerdings von Philonischem Zuschnitt“ (a. a. O. II, S. 305), der zweite erkennt den Einfluß außerchristlicher Elemente durchaus an, redet aber gleichwohl von den wesentlichen Abweichungen seiner Auffassung von allem Ethnisirenden, von ihrem specifisch christlichen Gehalt und Charakter (a. a. O. S. 1140). So viel Trübendes Justin von Philo, d. h. von der alexandrinischen Theologie überhaupt auch aufgenommen haben mag, überschätzt darf dieser Einfluß nicht werden. Siegfried findet in seinem Werke über Philo, daß dieser es in musterhafter Unklarheit verstand, eine Menge der verschiedenartigsten Anschauungen in seinem Geiste zu behausen (S. 223); um so schwieriger ist die historische Untersuchung über den Einfluß seiner Philosophie im Einzelnen, so sehr dieser selbst anzuerkennen ist. Siegfried findet merkwürdiger Weise in den neutestamentlichen Schriften weit mehr Anklänge an Philo als in den Apologeten.

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.10.2017)