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bedürfen, eben weil sie sündig sind von der ersten Geburt her (I, S. 61), wenn in Allen die zu allem Bösen geneigte Lust von Natur waltet (I, 10), so konnte der allein heilige und sündlose doch nicht auf dem Wege gewöhnlichen menschlichen Entstehens in die Welt treten. Justin kannte Joh. 3 sehr genau; er hat auch ohne Zweifel 3, 6 gelesen und verstanden, von Ps. 51, den er jedenfalls auch gekannt, abgesehen. Gleichwohl finden wir S. 286 bei Besprechung dieser Stelle Folgendes: „Das ist eben das Charakteristische seines Standpunktes, daß er nicht so denkt wie er redet, und daß er Reden im Munde führt, die er nicht zu deuten weiß. Diejenigen, welche ihn lediglich nach dem beurtheilen, was er „denkt“, gehen ebenso irre, wie die, welche die christlichen Worte und biblischen Wendungen, deren er sich bedient, als „seine Lehre“ deuten. Die „Orthodoxie der Kirche“, in deren Interesse man die Kirchenväter orthodox machen will, verliert nichts von ihrem Glanze, sondern erscheint in einem ganz neuen Lichte, wenn man scharf unterscheidet zwischen dem, was die Väter sagen und was sie lehren. Sie reden orthodox, aber sie denken ganz anders. So ist es auch mit Justin der Fall.“ Diese in der That höchst unvorsichtige, mit Recht von Hilgenfeld befremdend gefundene Aeußerung, wonach Justin „anders denkt und glaubt, als er spricht“, macht eigentlich jede theologische Beurtheilung desselben unmöglich; bei der Annahme eines so scharfen Dualismus zwischen Wort und Gedanken kann aus einem Schriftsteller Alles herausgelesen werden. Justin seinerseits verwahrt sich gegen eine solche Annahme: „Ich bin nicht so erbärmlich, daß ich etwas anderes sage, als ich denke (Dial. 80)“, und: „Ich kümmere mich um nichts, als daß ich die Wahrheit sage, und fürchte dabei Niemand, selbst wenn ich auf der Stelle von euch sollte zerstückt werden (Dial. 120).“

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 Doch wir eilen zum Schlusse. Der dritte Abschnitt enthält im Einzelnen viel Treffendes und die historische Forschung Förderndes. Das Resultat des Vergleichs Justin’s mit den apostolischen Vätern erscheint uns aber nicht gelungen. Barnabas und Clemens stellt v. E. zu hoch, Hermas wohl zu tief. In der Hauptsache stehen sie alle auf gleichem Standpunkt: keiner versteht mehr das Paulinische Evangelium in seiner vollen Tiefe. Offenbar ist v. E. von dem Streben geleitet, Uebergänge für eine Entstellung und Verfälschung des Christenthums, wie sie ihm bei Justin gegeben ist, zu finden.

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/51&oldid=- (Version vom 1.10.2017)