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zu verstehen gegeben, daß von eigentlicher Religion bei Justin keine Rede sei, wie denn v. E. die seltsame Behauptung Overbeck’s von der rein moralischen Weltanschauung auch Justin’s billigt (S. 60), obwohl auch Ritschl von den „religiösen Grundanschauungen“ Justin’s redet (a. a. O. S. 298). Ohne alle Reserve wird in jener abschließenden Charakterisirung Justin zum Heiden gestempelt. Allerdings kommt die Restriktion später nach. Die Unvollziehbarkeit der gegebenen Charakteristik besteht schon darinnen, daß das heidnische und das doch immer noch angenommene christliche Element in der Justin’schen Richtung sich nicht gegenseitig aufnehmen, sondern jedes möglichst für sich zu stehen kommt. Justin ist vollkommener Heide und ist dann doch wieder vollkommener Christ. Das Vorwiegende freilich, dasjenige, was das ganze Buch auch erweisen will, ist Justin’s wesentlich ethnischer Charakter.

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 Justin ist Heiden-, nicht Judenchrist. Aber wohl niemand, der letzterer Ansicht zugethan war, hat je den Judenchristen Justin so judaisirt, als v. Engelhardt den Heidenchristen paganisirt hat. Es steht hier jedenfalls ein Extrem dem andern gegenüber. Wir beugen uns vor jedem wirklichen Resultate der historischen Kritik; ein solches ist uns aber in dem Buche des Herrn Verfassers, so viel Gutes es sonst enthält, in seinem Schlußurtheil über Justin schlechterdings nicht gegeben. Andererseits hat die Kirche Christi doch einiges Interesse, einen Mann, der als der Vertheidiger ihrer Sache vor den römischen Cäsaren, vor der Heiden- und Judenwelt aufgetreten, und der sein Zeugniß mit seinem Blute besiegelt hat, als einen der Ihren im vollen Sinne des Wortes ansehen zu dürfen. Hat v. E. Recht, dann hatte Piper sehr Unrecht, Justin in sein evangelisches Jahrbuch aufzunehmen. Da von Aubé ganz abgesehen werden muß, so hat v. E. für seine Anschauung nur einen Vorläufer, Semler, auf den er sich S. 462 mit geringer Restriktion ausdrücklich beruft, und dessen Urtheil er ein überaus zutreffendes nennt, v. E. hat die Semler’sche Anschauung erneuert, und sie, allerdings mit mehr Geist und Würde, als sie dort schon in ihren flüchtigen Umrissen auftritt, durchgeführt. An die Stelle der Semler’schen „Ausdrücke der Apostel“ wird der Anschluß an den Gemeindeglauben gesetzt. Dieser Anschluß ist aber theils ein formelmäßiges Nachsprechen ohne klaren, sichern Gedanken, theils eine totale Umdeutung der christlichen Lehre, wenn nicht eine Verkehrung derselben in ihr

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.10.2017)