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Widerspiel. „Justin acceptirt die Lehre und deutet sie in seinem Sinne (S. 269)“. S. 208 redet v. E. von Worten und Wendungen, Formeln und Sprüchen, die Justin im Munde führt, und die etwas anderes bedeuten, als was er ihnen entnimmt. Ja selbst den Glauben an eine Menschwerdung des göttlichen Logos hielt er fest, „nicht weil seine eigenen Reflexionen eine solche nothwendig erscheinen ließen, sondern weil die christliche Gemeinde den Glauben an den Sohn Gottes als den Kern und Stern des Christenthums behandelte und ihm erlösende Macht zuschrieb (S. 209)“. Um der Gemeinde willen also hielt Justin an dem Mittelpunkt des christlichen Glaubens fest, ohne diesen Glauben zu verstehen; in seiner eigenen Vorstellung war Christus ja nur Lehrer. Und doch lesen wir sofort: „Der Glaube an die Erlösung durch Gottessohn und die Anbetung des Erlösers wirkten in Justin’s Seele religiöses Leben, dessen Wesen er nicht zu erläutern und über dessen Ursprünge er Andere nicht zu belehren vermochte. Dieser Glaube machte ihn gerecht, wirkte in ihm Wiedergeburt etc.“ Justin hat den gerechtmachenden und wiedergebärenden Glauben, obwohl er nach seiner, das Ganze beherrschenden heidnisch-moralistischen Anschauung an die Stelle des Glaubens das Wissen von Gott gesetzt hat. Das Christenthum Justin’s ruht weder auf sicherem Erkenntnißgrund, noch hält es sich selbst auf dem Erkenntnißgebiet irgend fest. Es ist auf magischem Wege, ohne klare intellektuell ethische Vermittelung in Justin zu Stande gekommen, es nimmt in dem Geistesleben des Justin eine ganz vereinsamte, abgeschlossene Stellung ein: „Denn die christliche Lehre, die er im Munde führte, drängten ihm Gedanken und Vorstellungen auf, die zu seinen eigenen nicht stimmten und oft genug geradezu im Widerspruche standen (S. 210)“, d. h. die eigensten Vorstellungen Justin’s blieben heidnisch. Gleichwohl behaupteten die christlichen Vorstellungen ihre Herrschaft und bestimmten sein Leben in wirksamerer Weise als seine eigenen Reflexionen (S. 210). „Für den Christus, der ihn und die Welt von Sünde, Tod und Teufel erlöst hatte, war er bereit sein Leben zu lassen; in seiner „Dogmatik“ wußte er ihm keine andere Stelle anzuweisen, als die des christlichen Lehrers (S. 186)“. Wir gestehen, daß wir von diesem Dualismus, bei welchem die Rollen des Heiden und Christen in unverfolgbarer Weise aneinander ausgetauscht werden, keine Vorstellung haben. Nur eines ist uns klar, daß hier ein Begriff des christlichen Glaubens substituirt wird, der

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/54&oldid=- (Version vom 1.10.2017)