Seite:Adolf von Stählin - Justin der Märtyrer.pdf/55

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der bedenklichsten Entwerthung desselben gleichkommt, und noch tiefer steht als die fides implicita der katholischen Kirche.

 Soll man sich wundern, wenn dem gegenüber selbst Hilgenfeld den kirchlichen Charakter Justin’s einigermaßen in Schutz nimmt, unter anderem ausruft: Wo hat denn Justin den Gottvater als Gott des Bundes und Heils nur irgend verleugnet? und wenn derselbe meint, daß die Vorwürfe, welche v. E. erhebt, selbst die jüdischen Zeitgenossen gegen Justin nicht erhoben haben (Zeitschr. für wissensch. Theol. 1879. 4. Heft. S. 500. 502).

 Wir haben uns alle Mühe gegeben, des Herrn Verf. innerste Anschauung von der Sache uns klar zu machen. Wir vermögen aber zu keinem anderen Resultate zu gelangen. Wir lesen S. 210, Justin wolle Christ sein, er sei aber in Allem, was er sagt, von der heidnischen Anschauung abhängig; S. 484 wird uns gesagt, daß das Heidnische in den Tiefen seines Geistes wurzelte, daß es nicht blos einzelne Mißverständnisse verschuldete, sondern die Grundanschauung vom Wesen des Christenthums und der Religion bestimmte. Seine Grundanschauung von diesem stammte aus dem Heidenthum, lesen wir S. 372, was man bisher doch nur von den Gnostikern gesagt hat. Nach S. 485 redet Justin die christliche Sprache, aber er redet sie wie eine fremde, und merkt gar nicht, daß er mit dem Glauben an den Sohn Gottes in einen ganz neuen Gedankenkreis eingetreten ist; er deutete alle Worte, die hier und dort dieselben sind, nach den ihm geläufigen Begriffen und Vorstellungen, „und weiß es nicht, daß sie hier einen andern Sinn haben als dort; vgl. 1 Kor. 2, 13. 14.“ Also der natürliche Mensch, der nichts vom Geiste Gottes vernimmt, denkt in Justin, redet aus Justin, wie wir unmittelbar vorher lesen, daß die heidnische Weltanschauung es ist, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen, in der er zu Hause ist und in der er denkt (S. 485). Hiermit ist doch unmißverständlich klar gesagt, daß Justin Heide geblieben ist. „Beurtheilt man ihn nach seinen eigenen Gedanken und Vorstellungen, so ist er Heide“ (S. 485). Justin lebt und stirbt für die christliche Idee, weiß aber nicht, was es um diese ist; er lebt im Vollgenuß des Neuen, wähnt aber, dies Neue sei wesentlich das Alte, im Gegensatz zu welchem es erstand. Wenn er nun doch die Sprache der Gemeinde redet, so sollte man glauben, er habe der christlichen Lehre als rein symbolischer Hülle zur Einkleidung seiner heidnischen Anschauungen mit Absicht sich

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.10.2017)