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nur der göttliche Lehrer ist (S. 138), wenn die Menschwerdung des Logos, weil sie nicht Menschwerdung Gottes, sondern Erscheinung der göttlichen Vernunft und des göttlichen Gesetzes in Person ist, nichts an der Regel ändert, daß die vernünftige Kreatur und besonders der Mensch sich durch Erkennen der göttlichen Wahrheit und Thun des göttlichen Willens die Frömmigkeit und Gerechtigkeit, die Vernünftigkeit und Vollkommenheit zu erwerben hat, die ihn Gott ähnlich macht, und ihm ein Anrecht auf gottgleiche Existenz (?) in einem unvergänglichen Leben verleiht (S. 138 f.); wenn der Glaube an Christus nichts Anderes bedeutet als die vollkommene Gotteserkenntniß und die völlige Gewißheit, daß Christi Lehre Gottes Lehre und Christi Forderungen Gottes Forderungen sind; wenn die Waschung mit dem Blute Christi identisch ist mit Buße und Besserung; wenn dem Menschen die σωτηρία als Lohn für die durch Gesetzeserfüllung hergestellte Gerechtigkeit zu Theil wird (S. 256 f.); wenn durch Wissen und Thun der göttlichen Lehre der Mensch gerecht und vom Tode erlöst wird (S. 461), so ist doch klar, daß der Glaube an den Sohn Gottes bei Justin nicht das entscheidende Moment sein kann, das ihn von allen Gnostikern scheidet und ihm ein Anrecht gibt auf den Christennamen (S. 490), nicht die Kraft ist, wodurch die sündige Natürlichkeit und die Weisheit der Welt im Prinzip überwunden ist (S. 487). Ein Glaube an den Sohn Gottes, der für die Vorstellung und Erkenntniß von allen religiösen und ethischen Momenten losgelöst ist, die je und je auf Grund der Schrift und Erfahrung mit demselben verbunden wurden, die seine Eigenthümlichkeit konstituiren, seine Heils- und Lebenskraft allein bedingen, führt diesen Namen nur ganz mißbräuchlicher Weise. Nach v. Engelhardt ist Justin ein wiedergeborener Christ, obwohl er schlechterdings keine Wiedergeburt anerkennt, er hat Vergebung der Sünden, obwohl er den biblischen Begriff letzterer völlig aufhebt, er ist gerechtfertigt, obwohl er einem System vollkommenster Selbstgerechtigkeit huldigt, er ist erlöst von Sünde, Tod und Teufel, obwohl er mit dem Worte von der Erlösung keinen klaren Begriff verbindet und es nur formelmäßig verwendet, er hat christliches Leben und christliche Gesinnung (S. 453), obwohl er über alle christlichen Fragen durchaus heidnisch denkt und auch die letzte Voraussetzung allen Christenthums, die Vorstellung vom persönlichen Gott, preisgibt, er erwartet alles Heil von Christo und vom ewigen

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/57&oldid=- (Version vom 1.10.2017)