Seite:Adolf von Stählin - Justin der Märtyrer.pdf/58

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Leben, obwohl er in seiner Anschauung von letzterem nicht die Grenzen überschreitet, bis zu welchen allenfalls auch ein Philosoph mitgehen konnte (S. 483 f.). Es ist ja gewiß, daß wirklich christliches Leben oft in großer Stärke vorhanden sein kann bei viel Irrthum und ungeachtet sehr verkehrter Anschauungen. Nach dem v. E. über Justin gezeichneten Bilde wird aber ein Dualismus zwischen dem innersten Sein eines Menschen und seiner geistig sittlichen Gesammtrichtung, zwischen Erkenntniß und Leben, Glauben und Wissen, Denken und Reden, subjektivem und objektivem Christenthum, Religion und Theologie angenommen, der psychologisch völlig unvorstellbar ist und alle ethische Einheit zerstört. Namentlich ist der Glaube in keiner Weise mehr Prinzip der Erkenntniß; er gibt seine innerste Natur als einer den ganzen Menschen erfassenden und durchwirkenden ethischen Macht auf, sofern er bei jedem Hinausschreiten auf das Erkenntnißgebiet die Beute fremdartiger Anschauungen wird. Man hat mit Recht in unsern Tagen Glaube und Wiedergeburt als den letzten Quell aller christlichen Gewißheit bezeichnet; bei Justin’schem Glauben und Justin’scher Wiedergeburt ist nach v. E.’s Darstellung, obwohl jene an sich das wahrhaft christliche Gepräge tragen sollen, ein System nicht der Gewißheit, sondern der Unsicherheit und des Schwankens, des unfreiwilligen Beherrschtseins von außer- und unchristlichen Richtungen, der naiven Selbsttäuschung, wenn nicht mehr gegeben. Denn Justin der Apologet will durchaus Christ sein, ist aber in Wahrheit Heide geblieben. Man wird dem Herrn Verf. nicht vorwerfen dürfen, daß er auf dem Titel seiner Schrift Christenthum und Theologie verwechselt habe. Von einer Theologie Justin’s kann v. E. bei seiner Auffassung nicht reden; nach letzterer ist jede Reproduktion christlicher Lehre aus dem Quell christlichen Bewußtseins und christlichen Lebens ausgeschlossen. Er braucht aber das Wort Christenthum offenbar in dem weitesten Sinne, wonach es jede Richtung bezeichnet, die in irgend welchem Zusammenhang mit dem geschichtlichen Begriff des Christenthums steht, mag sie etwa auch die Frage veranlassen, ob sie den Namen Christenthum noch verdiene.

.

 Wenn wir an jene zusammenfassende Definition des Justin’schen Christenthums S. 482 denken, und dessen Verwandtschaft mit dem philosophisch gerichteten Heidenthum (S. 483) so evident ist, daß sich v. E. des näheren Nachweises überhoben erachtet, so ist es doch

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.10.2017)