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des ethischen Charakters des Christenthums bilden, sondern um etwas noch Tieferes, um ein ideal-prophetisches Element in der sittlich-religiösen Anschauung des klassischen Alterthums. Man darf wohl sagen, es finden sich in letzterem nicht blos Anklänge, sondern theilweise sehr deutliche Ausführungen der sittlichen Forderungen, auch Präfigurationen der Heilsgedanken und selbst einzelner Heilsthatsachen des Christenthums, obwohl die sittliche Praxis eine ganz andere war und Alles in einem anderen Zusammenhange als dem der tatsächlich gegebenen Heilsoffenbarung auftrat. Auch von Demuth und Feindesliebe ist die Rede; von der Sünderliebe Gottes, von der Liebe zu Gott als der Quelle alles Lebens und aller Tugend wird gesprochen; die Begriffe des Heils, der Erlösung, der Bekehrung, der Wiedergeburt finden sich bei Plato und anderswo. Es mag zu viel gesagt sein, wenn Ackermann behauptet: das Heil ist unverkennbar der begeisternde Hauptgedanke und Endzweck der Platon’schen Philosophie (S. 291); aber ganz ohne Wahrheit ist das Gesagte nicht. Allerdings trat nun diesen christlichen Anklängen der herrschende Intellektualismus als ächt heidnisches Moment entgegen, wonach Wissen und Kontemplation zur Verwirklichung des Ideals verhelfen sollte. Von ihm hat kein Philosoph sich völlig freigehalten; aber eine vereinzelte Durchbrechung der intellektualistischen Richtung findet sich doch, vor Allem in der Platon’schen Philosophie. Huber behauptet geradezu, daß zur Zeit Christi die Lehre, wonach die Tugend von der göttlichen Gnade abhängig gemacht wurde, fast allgemein war (a. a. O. S. 6). Worin besteht nun der Unterschied des Christenthums von all diesem, auch von den edelsten und idealsten Kundgebungen der klassischen Welt? Darinnen, daß es verwirklichte Idee und Forderung ist, daß es Geschichte, Thatsache, Offenbarung des Heils ist und daß es auf Grund dessen ein neues Geistesprinzip, eine neue bisher nicht dagewesene wesenhaft göttliche Lebenskraft zur geschichtlichen Entfaltung bringt.

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 Dies hat Justin zum Christenthum geführt, er sah in ihm die Einheit von Idee und Wirklichkeit, worauf seine Lehre vom Logos und dessen Menschwerdung in Christus unmittelbar zielt. Weil er in ihm nach seiner eigenen Bezeugung (Dial. 7) Heilsoffenbarung, Heilsthatsache, einen Gott des Heils gefunden hatte, darum war sein innerstes Geistesleben nicht mehr Wissen, sondern Glauben und Hoffen. Dem Heilsgott und der Heilsthatsache gegenüber gibt es

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/61&oldid=- (Version vom 1.10.2017)