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griechischen Philosophen dem der christlichen Kirche entspreche, hielt er am Gottesbegriff der griechischen Philosophie fest (S. 489)“, woraus alle Alteration der christlichen Lehre floß, ist doch sehr auffallend. Justin hat nicht mit Gottesbegriffen gerechnet. Daß Justin mit Liebe sich in das Edle und Wahre der heidnischen Vorzeit versenkte ungeachtet des tiefsten Gegensatzes gegen das empirische Heidenthum, theilt er mit der ganzen Kirche seiner Zeit als einen ihrer hellsten Züge. Daß er in der Entdeckung des Verwandtschaftsverhältnisses von Christenthum und Heidenthum zu weit ging, ist ebenso gewiß. Aber Justin hielt hierin noch Maß. Bei Athenagoras, noch mehr in dem schönen klassisch geformten Gespräch des Minucius Felix, Octavius, in welchem übrigens des specifisch Christlichen unendlich weniger gegeben ist als bei Justin, findet sich weit Auffallenderes. Welche testes veritatis treten hier auf! neben Euripides, Sophokles und dem „himmlischen“ Plato auch Thales, Anaxagoras, Epikur; es wird der Schluß gezogen, daß entweder jetzt die Christen Philosophen sind oder die Philosophen schon Christen gewesen sind (Octav. 20). In Wahrheit wurde eine gewisse Phase des vorchristlichen Geisteslebens christianisirt, nicht das Christenthum ethnisirt. Minucius Felix meint, des Thales Meinung von Gott stehe mit der christlichen ganz in Einklang, er hat aber damit nicht dessen Gottesbegriff in das Christenthum herübergetragen. Daß Gott absolute Persönlichkeit ist, war mit dem Glauben an Gott den Schöpfer und Erlöser von selbst gegeben (vergl. Thomasius, Dogmengeschichte I, S. 264). Daß Justin die Idee der göttlichen Persönlichkeit nicht festgehalten haben soll, gehört uns zu dem Unfaßbarsten des Buchs, besonders wenn auf ein und derselben Seite (S. 136) zu lesen ist: „er selbst dachte sich Gott unzweifelhaft als persönliches Wesen“, und: „auch er personificirt nur die Gottheit.“ Im Vergleich zu dem vielen höchst Seltsamen, das sich auf jenem Gebiete findet, ist das Christsein des Sokrates und Anderer, wovon Justin redet, im Grunde geringfügig. Daß dies im weiteren Sinne zu nehmen sei, hat schon Weizsäcker bemerkt (a. a. O. S. 74). Justin selbst spricht an der zweiten Stelle, II, 8, wo derselbe Gegenstand behandelt wird, weit weniger auffallend als in Apol. I, 46. Was den Sokrates insbesondere betrifft, so hat der Philologe Lasaulx, der auf katholischer Seite eine ähnliche Stellung einnahm wie Nägelsbach auf protestantischer, in seiner Schrift: Des Sokrates

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.10.2017)