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von den στοιχείοις τοῦ κόσμου, den natürlichen Lebens- und Geistespotenzen beherrschte und zersetzte Theologie passen nicht zusammen. Der Glaube ist nicht mehr Glaube, wenn er nicht irgendwelche Glaubenswissenschaft in dem zu wissenschaftlicher Erkenntniß überhaupt Befähigten aus sich zu erzeugen vermag. Ein wirklicher Christ kann den heidnischen Theologen nicht zum Doppelgänger haben. Das Leben der Heiligung ist aber zunächst Sache des Einzelnen; die Erschließung der unendlichen Heils- und Weisheitsfülle in Christo für das denkende Bewußtsein ist Arbeit und Aufgabe der ganzen Kirche. Um so mehr kann die Theologie des Einzelnen dem Irrthum unterworfen sein. Ueber das Maß des Irrthums bei Justin wollen wir mit niemand rechten. Es ist aber doch merkwürdig, daß z. B. Duncker, der auf der Basis gründlichster Untersuchung in seinen Abhandlungen über die Logoslehre und die Anthropologie der Apologeten störende, von Außen kommende Einflüsse auf die Theologie Justin’s bereitwilligst zugibt, Heidnisches und Jüdisches in ihr findet, ebenso rückhaltlos behauptet, die Elemente der früheren Bildung seien für Justin nur der Stoff, den er dem neuen lebendig gestaltenden Prinzip anzueignen und durch dasselbe umzubilden bemüht ist, und durch jede gründliche Untersuchung werden wir immer entschiedener in der Erkenntniß befestigt werden, daß diese fremdartigen Elemente nur das verschwindende und durchaus untergeordnete Moment in seiner eigenthümlichen Auffassungsweise bilden (a. a. O. S. 1133). Dies ist das gerade Gegentheil von dem, was v. E. behauptet. Diese gegentheilige Ansicht ist aber überhaupt die vorherrschende. Ganz gut äußert sich schon der Zeitgenosse Semler’s Schröckh: „Und selbst Justinus, der einen fremden überflüssigen Schmuck für eine der Hauptlehren des Christenthums borgte, trug sie doch sonst ohngefähr wie Jesus und seine Apostel, wenn gleich nicht genau mit den Bestimmungen der späteren Christen vor (Christl. K.-G. III, 34).“ v. Otto hat schon im Jahre 1841 gesagt: huc accedit, quod ecclesia formulas dogmatum e philosophia academica depromserat; sed cave, ne ipsa placita ecclesiastica Platonismo opineris corrupta et depravata (a. a. O. S. 79). Es lautet dies geradeso, als sei es bereits gegen v. E. gerichtet. In den Jahren 1852 und 1853 wiederholt er diese Anschauung mit den Worten: „Sein Platonismus hält sich durchaus auf der Basis des Christenthums“ (Ersch u. Gr. XXX, S. 63. Sitz.-Ber. etc. S. 174).

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/66&oldid=- (Version vom 1.10.2017)