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entschiedener, geduldiger und barmherziger gewesen, als es vielfach bisher war: es wäre auch mit der Lästerung Christi noch nicht so weit, nicht zu so völliger Entschleierung gekommen“. Populär im gewönlichen Sinne des Wortes ist Harleß als Prediger nie gewesen. Seine Predigten litten auch später öfters an einem Übermaß des dialektischen Moments. Aber den Charakter ungeschminkter, furchtloser Zeugnisse in inniger Verschlungenheit der Gnade und des Gerichts, teilweise ein prophetisch universelles Gepräge haben sie getragen wie wenige in unserer Zeit. Harleß wurde das Predigen nicht leicht; namentlich im Anfang des neuen Predigtberufs kam der Geist der Anfechtung in eigentümlicher Schwere über ihn. Um so wirksamer waren seine Predigten. Vielen mochte es wie einem Einzelnen gegangen sein, der gestand, das erste Mal sei er aus Neugierde, das zweite Mal aus Oppositionslust, das dritte Mal aus Erbauungsstreben gekommen. Wie Harleß mit großer Entschlossenheit unmittelbar in die Bewegung des Jares 1849 eingriff, hat er uns selbst berichtet. Bedeutender ist uns aber, wie sein Zeugnis von der Kanzel herab sänftigend auf die tiefgehenden Wogen wirkte. Sehr treffend sagt das „Literarisch-artistische Beiblatt“ zur „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 10. Februar 1850: „Die Wahrheit ist, daß Harleß in einem Augenblick, wo selbst die Behörden Kopf und Herz ziemlich verloren, und wo der Aufruhr dicht neben seiner Wonung sich verschanzt hatte, diese Behörden ermutigte, in ihrem Widerstande gegen die Aufrürer nicht vor der Zeit zu erlamen. Wichtiger aber als dieser Moment ist die Tatsache, dass Harleß durch seine echte patriotische Gesinnung, durch seine feurigen Reden von der Kanzel, durch sein Vorbild als Mensch und Statsbürger unbestreitbar einen großen Einfluss auf die im ganzen doch sittlich ernste Haltung der Leipziger Bürgerschaft geübt hat.“ Seine späteren Predigten sind vom Advent 1847 an unter dem Namen „Die Sonntagsweihe“ in den Jaren 1859 und 1860 in zweiter Auflage in vier Bänden erschienen. Harleß Predigttätigkeit gehört bereits der Geschichte an. Wir könnten auf das Urteil von Nebe in seinem Buche „Zur Geschichte der Predigt“ (III, 420 f.) verweisen. Immerhin wird man sagen müssen, was Harleß war und wirkte als Prediger, war

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/110&oldid=- (Version vom 31.7.2018)