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und wirkte er auch durch die eigentümliche Macht und den Glanz seiner einzigartigen Persönlichkeit. Eine Äußerung aus obigem Blatt möchten wir noch anfüren, weil sie den unmittelbaren Eindruck der gehaltenen Predigten widergibt: „Harleß’ Wort war kein mühsam hinter dem Studiertische zusammengeklaubtes, sondern ein solches, das aus der Seele dringt und mit urkräftigem Behagen die Herzen aller Hörer zwingt. Die männliche Wucht des Gedankens, die Einfachheit und schlagende Kürze des Ausdruckes, die Wärme des Vortrags und vor allem das unverkennbare Gepräge der tiefinnersten Überzeugung in seinen Predigten muß jeden unbefangenen Hörer überwältigen und selbst den Widerwilligen allmählich gewinnen“. Harleß hat sich widerum nicht zum berühmten Kanzelredner gemacht. Aus dem kanzelscheuen Jüngling ist unter Gottes sichtlicher Zurüstung, unter einer wundersamen Verflechtung in den Gang mächtiger Zeitverhältnisse ein männlich starker, geistgesalbter Prediger zum Heile Vieler geworden.

 Harleß genoß großes Vertrauen auch als Seelsorger. Zu seinen Beichtkindern gehörte u. a. Professor Winer, von dem bekannt ist, dass er in seinen späteren Jaren immer mehr dem positiven Christentume sich zuwandte. Aber auch in bürgerlichen Kreisen genoß Harleß das größte Ansehen; noch heute weckt dort sein Name die freundlichste Rückerinnerung an die schöne Zeit der Leipziger Wirksamkeit. Seine Spezialkollegen waren Rationalisten. Das genannte politische Blatt, das von Harleß rühmte, dass er ein Mann sei vom Scheitel bis zur Sole, dass er weiß, was er will, und will was er kann, sagte zugleich, er habe unter seinen Spezialkollegen die entschiedensten Gegensätze nur indirekt, nur durch das Zeugnis aus dem göttlichen Worte bekämpft, übrigens aber mit einer unbeschreiblichen Milde und Sanftmut getragen.

 Ehe Harleß sein Amt bei St. Nikolai angetreten, musste er sich einer Probepredigt und einem Kolloquium vor und mit dem damaligen Oberhofprediger von Ammon unterziehen. Ein förmlicher Anekdotenkreis hat sich um diesen Vorgang gebildet. Es ist noch allgemein bekannt, mit welchem Ergötzen der Kultusminister Wietersheim Harleß’ Auskunft aufgenommen: „Dresdae omnes alaudae cantant“, als Ammon es unternommen hatte, das

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/111&oldid=- (Version vom 31.7.2018)