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welchem nachweisbar alle Hauptlehren des Christentums, insonderheit die reformatorischen, ihren Mittel- und Brennpunkt haben“. Bengel hätte gegen so manche Äußerung in dieser Richtung dasselbe gesagt, was er gegen die Herrnhuter bei ihrer einseitigen Betonung der Versönungslehre, obwol diese ja den Mittelpunkt bildet, geäußert hat. Auch war Löhe das heil. Abendmal nach einer Seite doch zu sehr Mittel der Selbstdarstellung einer Gemeinde der Heiligen und ihrer Abgrenzung nach Außen, womit zusammenhängt, dass er das voll Sakramentale öfters von dem Sakrifiziellen, den völligen Abendmalssegen von dem Abendmalsbekenntnis abhängig machen zu wollen schien. Auch das Herrlichste kann gerade, wenn man für dasselbe im Gegensatz zu dessen Unterschätzung eifert, leicht in nicht ganz richtigem Lichte, in einem die Warheit überbietenden Übermaß dargestellt werden. Auch Harleß glaubte nach dieser Seite berichtigen zu sollen (Die Bedeutung des heil. Abendmals, Zeitschr. für luth. Theol. u. Kirche, 1867, S. 94 f.).

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 Eine ganz sichere, in sich geschlossene, stetige kirchlich-theologische Grundanschauung hatte Löhe nicht. Er war nie befriedigt, er wollte immer bessern, ändern und ergänzen. Dieser Grundzug hatte etwas Ehrwürdiges und Großartiges, war aber doch auch Veranlassung zu manchem Abgleiten vom richtigen Pfade, um so mehr, als Löhe geneigt war, das momentan für wahr Gehaltene als von seinem Lebensberuf ihm gewiesen anzusehen und zum Schiboleth auch für andere zu machen. Vor allem möchten wir aber jetzt in dieser Eigentümlichkeit das Streben Löhes erkennen, sich stets aus jeder Enge zu ökumenischer Weite zu erheben; darauf zielt doch auch sein Wort: „Wenn fünf Minuten vor meinem Tode ich höre, dass irgenwo eine bessere Kirche entsteht, als die lutherische, verschreibe ich mich sterbend noch der neuen Kirche, noch fünf Minuten vor meinem Tode“. Nur eines müssen wir ebenso bestimmt behaupten, ein Mann von dieser, in seiner Originalität wurzelnden Geneigtheit, auch Gegensätzliches in sich zu vereinigen oder zu verschiedenen Zeiten zu vertreten, ein Mann von diesem idealen Flug hätte in einer deutschen oder amerikanischen Freikirche seine Stätte nicht gefunden. Löhe hätte

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Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/35&oldid=- (Version vom 31.7.2018)