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nachhaltig war seine Wirksamkeit namentlich durch die beiden erstgenannten Kollegien. Fast 33 Jare ging von dem anspruchlosen Manne, dem die nicht leichte Aufgabe zufiel, von der Kanzel hinweg auf dem Lehrstul derjenigen Disziplin sich zu behaupten, welche mit Recht die Krone der theologischen Wissenschaft genannt wird, ununterbrochen eine Anziehungskraft aus, wie sie nur wenigen theologischen Lehrern in den letzten Jarzehnten eigen gewesen. Was die Jugend fesselte, lag wie immer bei ungewönlichen Lehrerfolgen in dem Geheimnis der ganzen Persönlichkeit. Thomasius war eine echt theologische, priesterliche Persönlichkeit, die tief im Glauben wurzelte und mit fülbarer Freude das Reich des Glaubens auch anderen aufschloss, die überall den Dienst des Herrn und die Erbauung seiner Gemeinde im Auge behielt und doch sehr ferne war von einem einseitigen Praktizismus, vielmehr den Schüler stets in ein unermüdliches geistiges Forschen und Arbeiten hineinblicken ließ und zur Mitarbeit aufforderte. Mit Ehrfurcht und Liebe zugleich blickte man zu ihm auf. In allem, was Thomasius gab, lag ein tiefer Gehalt gekleidet in die schlichteste Form, die schwierigsten Probleme wusste er bei seltener Klarheit dem Zuhörer zugänglich zu machen. Nicht der Glanz der Rede oder die Schärfe der Dialektik, überhaupt nicht irgendwelche formale Virtuosität – nach diesen Seiten traten vielmehr unverkennbare Mängel hervor, – wol aber das sittliche Pathos tiefinnerer Überzeugung, die innige Verschmelzung des ideal wissenschaftlichen mit dem praktischen, seelsorgerlichen und pädagogischen Element, die stille Begeisterung für den Gegenstand und der hohe Gewissensernst, der aus Allem hervorleuchtete, erklärt bei Thomasius Erfolg und Einfluss. Er behauptete neben einer so eminenten Kraft, wie Hofmann, vollkommen seinen Platz und bildete die woltuendste Ergänzung zu ihm. Gewisse, man möchte sagen liebenswürdige Schwachheiten, die dem trefflichen Manne eigneten, dass er nicht selten sich wundersam versprach und infolge kleiner Störungen von außen in eigentliche Verwirrung geriet, schadeten ihm in den Augen seiner Zuhörer in keiner Weise, ja sie erschienen wie unablösbare Züge in dem Bilde des ehrwürdigen Mannes.

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Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/56&oldid=- (Version vom 31.7.2018)