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bedeutender Prediger und Seelsorger, als ein Mann lebendigster kirchlicher Tätigkeit. Im einzelnen haben ihn viele, wenige aber in dem seltenen Gleichmaß verschiedenartiger Gaben und Kräfte und ihrer harmonischen Verwendung übertroffen. Seine gesamte Berufsarbeit bekundete eine seltene Konsonanz von Theorie und Praxis, eine tiefe Harmonie in Verfolgung theologischer und kirchlicher Interessen. Was Thomasius von den Vätern der lutherischen Kirche sagt: „ihre theologische Arbeit war immer zugleich praktisch, unmittelbar der Erbauung dienend“, gilt gewissermaßen auch von ihm. Seine theologischen Leistungen trugen einen habitus practicus an sich im besten Sinne des Wortes und forderten von selbst zur praktischen Aneignung und Anwendung auf. Seine kirchliche Tätigkeit hatte um dessentwillen so nachhaltigen Einfluss, weil sie vom sichersten theologischen Hintergrund getragen war. Thomasius war tief eingetaucht in den Geist der deutschen Reformation; entsprechend diesem Geiste begegneten sich in ihm das subjektiv persönliche und objektiv kirchliche Element und schlossen den woltuendsten, die geschichtlichen Gegensätze der Orthodoxie und des Pietismus versönenden Bund. Wie Wenige hat Thomasius die Geschichte der Kirche nach ihrer Innenseite durchwandert; Arbeit und Kampf derselben um Glaube und Lehre haben in ihm einen ungemein treuen Spiegel gefunden. Er verstand die kirchliche Lehrentwicklung, weil er im Geiste der Kirche lebte. Der kirchliche Geist hatte ihm Festigkeit und Weite zugleich eingeflößt. Alle Radien kirchlicher Entwicklung liefen ihm im Bekenntnis der lutherischen Kirche zusammen, und die Linien dieses Bekenntnisses in der Lehre und Erfarung der Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben. Unter seinem Bilde steht Röm. 3, 28: dies Wort war in der Tat Mittelpunkt, bewegende Kraft und Weihe seines Wirkens und Lebens. Was Thomasius lehrte und predigte, lebte er auch. Vollste Glaubensentschiedenheit war in ihm mit tiefer Demut und Anspruchlosigkeit, mit versönender Milde und gewinnendster Herzensgüte verbunden. Einen Mann höheren Friedens hat ihn mit Recht v. Zezschwitz in seiner erhebenden Gedächtnisrede genannt.

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 Harmonisch wie sein Wirken und Leben war auch sein Lebensabschluss.

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/71&oldid=- (Version vom 31.7.2018)