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ihm eigenen Virtuosität, auf fremde Individualitäten einzugehen und ihnen Empfänglichkeit für die Warheit zu entlocken, Harleß in unermüdlicher, aufopfernder Liebe, man dürfte vielleicht sagen, in edler Zudringlichkeit nahe zu kommen, und erschloss ihm das Herz.

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 Für Harleß begann in Halle ein in jeder Beziehung neues Leben. Mit außerordentlichem Fleiß betrieb er seine Studien; er ging um 9 Uhr zu Bette und stand schon um 12 Uhr wider auf. Im Vergleich mit dem Ertrag dieser Studien war der Einfluss der Kollegien ein geringer, Tholucks Vorlesungen nicht ausgenommen. Vor allem nahmen ihn die „Spinozistischen Nachfahrten“ in Anspruch; Spinoza’s sämtliche Werke lagen vor ihm; er vertiefte sich mit Wolgefallen in die ernsten, intelligenten Züge seines vorgebundenen Bildes. Gewaltig imponirte ihm die eherne Folgerichtigkeit spinozistischer Spekulation. Je tiefer er aber in sie eindrang, desto größer wurde der sittliche Schauer, der ihn ergriff und ihn bestimmte, ein für allemal mit Prinzipien zu brechen, deren Verbrämung und Verschleierung bei anderen ihm noch viel widerlicher erschien, als die offene Nacktheit bei Spinoza. Von Spinoza rückgehend zerfiel Harleß nun völlig mit Hegel, so auch mit Schelling, namentlich in seiner Lehre von dem Bösen. Dagegen reifte in ihm ein anderer Entschluss, nämlich der von einem Zentralpunkt, und zwar eben von dem Begriffe der menschlichen Freiheit und des Bösen aus, die ganze Litteratur sowol der Philosophen der antiken Welt als der früheren Lehrer der Kirche, der Theologen der Reformationszeit wie der späteren Theologen und Philosophen durchzugehen und das Ergebnis schriftlich zusammenzustellen. Harleß hatte von dieser Arbeit, wenn sie auch unveröffentlicht liegen blieb, für sein ganzes Leben großen inneren Gewinn. Er war durch sie weit über die nächste Aufgabe hinausgefürt worden, indem er sich genötigt sah, mit den Kirchenvätern, den Lehrern des Mittelalters, den Scholastikern und Mystikern, besonders auch Scotus Erigena, sich gründlichst zu beschäftigen. Es kam ihm auf genaue Kenntnis der geschichtlichen Wurzeln der kirchlichen Entwicklung an. Mit diesen Studien verband Harleß die fortgesetzte Erforschung der Schrift alten und

Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/80&oldid=- (Version vom 31.7.2018)