Seite:Adolf von Stählin - Mein Bekenntniß beim Abschied 1866.pdf/7

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Aber gleichwohl nehme ich sein Wort in den Mund und rufe es dir, theure Gemeinde, beim Abschied zu: ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht. Mein innerstes Leben, Denken, Fühlen, Wollen ist mit ihm verwachsen, ich bin in tiefster Seele von seiner Herrlichkeit erfüllt. Ich weiß, ich glaub’s, ich bin unerschütterlich überzeugt — wenn der Strom der Zeit noch so viel begräbt, dieß Evangelium wird oben bleiben; dieß Evangelium ist eine unzerstörbare, uneinnehmbare Burg, an der alle Waffen des Zweifels und Unglaubens zu Schanden werden.

 Freilich, Geliebte, wenn man dieß Evangelium so ansieht nach seiner nächsten, äußern Gestalt, wie viel findet sich, woran menschliche Vernunft und Weisheit sich ärgern können! Da reden wir Jahraus, Jahrein von einem armen Manne, der vor 1800 Jahren unter einem verachteten Volke, in einem verachteten Winkel der Erde gelebt hat, reden von einer armen Krippe, in welcher der Neugeborne liegt, reden von einem noch ärmeren Kreuze, an dem er einem Missethäter gleich sein Leben unter Qualen geendet. Und diese Dinge, sagen mir zugleich, sind der Grund unseres Heils und unserer Seligkeit, der Brunnen des höchsten Glückes der Menschheit, ihrer Wiedergeburt und ihres ewigen Lebens. Das ist ein harter Anstoß für unzählige.

 Aber wenn man nun tiefer schaut, so findet man gerade hierin den Anlaß zu Preis und Anbetung. Es gilt hier das Wort des Apostels: „die göttliche Thorheit ist weiser, denn die Menschen sind; und die göttliche Schwachheit ist stärker denn die Menschen sind“ (1 Kor. 1, 25). Dieß Evangelium, so arm, so gering, so unscheinbar, ist zugleich so reich, so hoch, so gewaltig, so majestätisch. Dieser arme Mann, der den Namen Jesus Christus trägt, der im Tempel zu Jerusalem und an den Ufern des Sees Genezareth predigt, ist derjenige unter der zahllosen Schaar der Menschenkinder, dem allein kein Makel der Sünde anklebt. Aus seinem Antlitz leuchtet uns das Bild Gottes in ungetrübter Schöne entgegen, sein ganzes Leben ist ein heller Spiegel göttlicher Heiligkeit und menschlicher Unschuld. Dieser arme Menschensohn, der nicht hatte, da er sein Haupt hinlege,