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werde, er meint, er werde für den Philippus nur ein Vorläufer sein. Melanchthon preist auf der anderen Seite Luther als seinen teuersten Vater, als den göttlichsten Mann, den dermalen der Erdkreis trägt; „er möchte lieber sterben, als sich von diesem Manne losreißen lassen“: „Des Martinus Studien, seine fromme Wissenschaft und den Martinus selbst liebe ich, wenn irgend etwas auf Erden, mit ganzer Macht der Seele und hänge mit aufrichtigstem Herzen an ihm.“ Er nannte ihn einen Elias, einen Herakles, den Mann voll heiligen Geistes. Das war der Geistes- und Herzensbund beider Männer, der später vorübergehend etwas gelockert, aber nie gelöst wurde. Luther empfing von Melanchthon viel, er besuchte auch seine Kollegien, ungleich mehr empfing aber Melanchthon von Luther; von ihm erst wurde er in die Tiefe evangelischer Erkenntnis, in die neue christliche Gedankenwelt eingeführt. Ohne Luther wäre Melanchthon über Erasmus nicht hinausgekommen, wenn er sich auch dessen Voltaire’schen Zug nie angeeignet hätte. Anfangs wurde er durch Luthers übermächtigen Einfluß fast aus den Angeln gehoben. Nachdem er den Schwerpunkt seiner Persönlichkeit wieder gefunden, wurde er mehr und mehr, wiedergebend, was er empfangen und in seine Individualität eingeführt hatte, in gesunder, ausgleichender Vermählung humanistischen und evangelischen Wesens, der formende, gestaltende, sichtende, ordnende Geist der Reformation. Luther war der schauende, Melanchthon der dialektische Geist, Luther war der Prophet, Melanchthon der Lehrer, der Mann der Wissenschaft. Seine Aufgabe war es, die neuen Erkenntnisse, die in Luthers Schriften zerstreut sich fanden, wissenschaftlich zu formen, zu gliedern und zu einem harmonischen Ganzen zu vereinen. Das hat er nun ganz besonders in der ersten, von ihm verfaßten evangelischen Glaubenslehre gethan, die schon im Jahre 1521 erschien. Dieses Buch machte trotz gewisser Einseitigkeiten das größte Aufsehen, so daß Luther, dem in diesem Buche die von ihm erschlossene, von ihm ausgegangene Wahrheit in abgerundeter Form, in klaren Umrissen, in harmonischer Ausgestaltung entgegentrat, es als das beste Buch seit der Apostel Zeiten, das des Kanons würdig sei, bezeichnete. Das Werk hat vom Jahre 1521 bis 1525 allein 17, im 16. Jahrhundert überhaupt 100 Auflagen erlebt; der Buchdrucker

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)