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unseres Lebens ist Kampf und Leid, Trübsal, die uns Gott, Trübsal, die uns andere auferlegen. Unter dieser Kampf- und Leidensgestalt seines Lebens hat der Christ sich in Geduld zu bewähren, und nur die Geduld fördert ihn auf dem Weg zum Ziele. Es gibt nichts Größeres als Geduld. Alle christlichen Tugenden kommen in der Geduld wie in einem Brennpunkt zusammen. Geduld Gottes Schickung gegenüber, Geduld dem Nächsten gegenüber sind in der Wurzel eins. Geduld ist Demut, Glaube, Treue, Liebe. Christliche Geduld ist etwas ganz anderes als was vor Christo einen ähnlichen Namen trug. Das war stolze Verachtung des Uebels, kalte oder verbitterte Resignation, eine erkünstelte Höhe, von der so leicht ein Sturz in klägliche Tiefe erfolgte. Christliche Geduld ist eine beständige Wanderung aus der Enge in die Weite, in die Weite der Liebe Christi, aus der Tiefe in die Höhe, zur frohen Fernsicht göttlicher Verheißung. Geduld ist Stärke in Schwachheit, Macht in Ohnmacht, Freiheit in Gebundenheit, Geduld ist Himmels- und Erdenblick in friedevoller Vermählung. Darum ist des Christen Losung wirklich: vorwärts in Geduld.

 Was von dem einzelnen Christen, gilt aber auch von der ganzen Kirche. Der Stand der Gemeinde Christi ist für den gegenwärtigen Zeitlauf ein Stand der Bedrängnis, wenn auch die Gestalten dieser Bedrängnis wechseln; darum hört auch das Leben der Gemeinde nicht auf, ein Leben in Geduld zu sein; ihre Arbeit ist eine Arbeit in Geduld, ihr Sieg ein Sieg der Geduld.

 Geduld schöpft aus göttlichem Urquell; Gott selbst heißt ein Gott der Geduld (Röm. 15,5). Die Wege Gottes mit der Menschheit heißen Geduld. Er hätte den von ihm abgefallenen Menschen verdammen, vertilgen können, er trug ihn in Geduld. Er wartete in Geduld, bis der Boden bereitet war, in welchen das himmlische Erlösungsreis sich senken konnte; er wartet in Geduld, bis die Kräfte der Erlösung den einzelnen, den Völkern, der ganzen Menschheit sich eingesenkt.

 Und was ist es Großes um die Geduld Christi? Als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, wandert er über die Erde und übt Geduld gegen seine Feinde und Freunde. Am Kreuze hängend, unter dem Triumphe der Weltsünde, der Weltlüge, des Welthohnes schweigt, duldet, leidet er; seine schweigende Geduld, seine duldende Liebe ist der Welt Versöhnung. Das Kreuz, das große Geduldszeichen, verklärt sich zum Siegerthrone über das weite Erdenrund hin unter seinem geduldigen Warten, unter der geduldigen Arbeit der Kirche.

 In tragender, hoffender Geduld folgt die Gemeinde Christo nach. Vorwärts in Geduld! war ihre Losung, so lange sie sich getreu blieb. Ihr größter Apostel und größter Missionar preist, wo er vor der Gemeinde zu Corinth in großen Zügen sein apostolisches Vorbild entrollt, in erster Linie die Geduld, die große Geduld in Trübsalen, in Nöten und Aengsten (2 Cor. 6,4); in und mit ihr ward ein Trübsalslauf ohne Gleichen zum wunderbar raschen Siegeslauf des Evangeliums. Und die Kirche, die über den Gräbern der Apostel sich baute, hat, in heißer Verfolgung von der