Seite:Adolf von Stählin - Trost und Mahnung für die Kirche des Herrn.pdf/20

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kleine Menschenherz ist größer, als daß die ganze Welt und alle ihre Herrlichkeit es ausfüllen könnte. Es streckt sich nach der ewigen Liebe, es seufzt nach dem ewigen Leben, das in Jesu Christo erschienen ist. Durch alle Angst und Unruhe des Menschenherzens geht dieser Zug hindurch. Auch durch das unruhige Räderwerk weltlicher Betriebsamkeit, durch die betäubende Hast, mit der der Weltgeist seine Ziele in der Gegenwart verfolgt, geht vernehmlich genug das Wehgefühl ungestillten Sehnens. Zu all dem aber, was in der Tiefe der Menschenbrust sich regt von Zügen des Vaters zum Sohn, von verborgenen Anklängen an die seligmachende Wahrheit und den hohen Trost des Evangeliums, läßt die Kirche sich liebend herab, erkennt in demselben ihre Verbündeten und möchte es großziehen zu einer Pflanze des Heils. Sie hat Mutterberuf, die Art dessen, den des Volkes jammerte, da er es verschmachtet und zerstreut sah, sie kommt mit dem Samariteröl eines barmherzigen, linden und geduldigen Sinnes. Sie stößt auch den Zweifler und redlich Suchenden nicht von sich, ja sie möchte jeden noch für einen Freund der hohen Sache halten, die sie vertritt, so lange sie nicht das Gegentheil glauben muß.

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 All dieß, um für den zu gewinnen, der allein die tiefen Bedürfnisse unserer Seele stillt, aber sie nur dann stillt, wenn wir sie ihm eingestehen und von ihm stillen lassen. Die tiefste Ungerechtigkeit des Menschen ist, daß er die Wahrheit, die noch in ihm ist, und die auf Christum den Arzt und Helfer hinweist, aufhält, die Stimme des Gewissens übertäubt, die ihm von Sünde und Schuld Zeugniß gibt, daß er das in ihm vorhandene Heilsbedürfniß sich und seinem Gotte nicht bekennen will. Das ganze Christenthum zieht sich aber, menschlich angesehen, zusammen auf den engen Punkt der Anerkenntniß solchen Heilsbedürfnisses. Ohne demüthiges Selbstgericht, ohne den Schmerz der Buße gelangen wir nicht zu Christo. Aber eben deshalb kommt die Kirche auch fort und fort mit dem brennenden Salz, dem zweischneidigen Schwerte richtender Wahrheit, und ruft ernst und eindringlich im Namen ihres Herrn: es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi nennt. Sie kann sich nicht mit einer nur äußern Gliedschaft und Untergebung unter ihre äußeren Ordnungen begnügen, sie muß um ihres Herrn willen eine innere Entscheidung, eine tief