Seite:Alban Berg Was ist atonal 11.jpg

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so passen, denn dann hätten sie sämtlich recht mit dem, was hinter dem Wort „atonal“ eigentlich steckt und was so viel heißen soll, wie musikwidrig, häßlich, einfallslos, mißklingend und destruktiv, und hätten weiter berechtigten Grund, über die Ton- und Klanganarchie, über die Zertrümmerung des alten Musikgutes und über unser hilfloses Entwurzeltsein wehzuklagen. Ich sage Ihnen, daß dieser ganze Schrei nach der Tonalität nicht so sehr dem Bedürfnis nach einer Bezogenheit auf einen Grundton entspringt, sondern vielmehr dem Bedürfnis nach bekannten Zusammenklängen, sagen wir es offen, nach dem Dreiklang, und ich glaube behaupten zu können, daß eine Musik, wenn sie nur genügend solche Dreiklänge enthält, nicht Anstoß erregt, auch wenn sie sonst noch so sehr den heiligen Gesetzen der Tonalität widerspricht.

Opp.: So ist sie Ihnen also doch noch heilig, diese gute alte Tonalität?

Berg: Wäre sie es mir nicht, wie brächte unsereins – aller Ungläubigkeit der Mitwelt zum Trotz – den Glauben auf, zu einer neuen Kunst, für die der leibhaftige Antichrist keinen Namen hätte ersinnen können, der teuflischer wäre als dieses Wort: „Atonal“!

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Alban Berg: Was ist atonal?. 23 – Eine Wiener Musikzeitschrift, Wien 1936, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alban_Berg_Was_ist_atonal_11.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)