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Naht ein Bursch ihr, der, nicht blöd’,
Ahnte längst, daß sie nicht spröd’,
Grüßt sie, dreht sich keck den Bart
Und, sie dankt nach Mädchenart –

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Kaum den Augen mag sie trau’n,


Kroch der Schelm schon durch den Zaun.
Flugs ihr Antlitz sie verbarg:
„Halt! Das ist mir doch zu arg;
Was die Mutter denken muß!

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Laß mich los!“ – „Erst einen Kuß!“

Wer kann solchem Schelme trau’n?
„Laß mich los! Marsch! Durch den Zaun!“ –

Still der Bursch gehorchen muß;
Warum raubt er ihr den Kuß!

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Doch, als ob sie suche nur

Gänseblümchen auf der Flur,
Steht sie stundenlang am Zaun,
Sich ein wenig umzuschau’n.

Ist das nicht das alte Lied,

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Kurz und gut wie jeder sieht:

Kroch ein Kätzchen durch den Zaun,
Sich ein wenig umzuschau’n. …


Hinter’m Berge.

Hinter’m Berge geht die Sonne
Schlafen bis zum Morgen –
Unter’m Strohdach in der Heimat
Wär’ auch ich geborgen.

5
In der Fremde dem Verwaisten

schließt sich jede Pforte:
Niemand spendet ihm ein Lächeln,
Niemand Trostesworte.

Hinter’m Berge geht die Sonne

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Schlafen bis zum Morgen,

Bis sie weckt der Chor der Sänger,
Tief im Laub verborgen –
Wird die Sonne jemals scheinen
Mir am Wanderstabe?

15
Wird das Glück mir jemals lächeln,

Eh’ ich ruh’ im – Grabe?

Empfohlene Zitierweise:
Albert Weiß: Polnische Dichtung in deutschem Gewande. Otto Hendel, Halle a. d. S. 1891, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Albert_Weiss_-_Polnische_Dichtung_in_deutschem_Gewande.pdf/130&oldid=- (Version vom 17.5.2022)