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III.

     Nicht schmückte sie der Schönheit Zier
     Wie im Salon euch Damen hier;
Mit jedem Blümlein, Halm und Kraut
Mit Frosch und Schwälbchen eng vertraut,

5
     Zur Wiese lief sie durch das Naß

     Nach Butterblum’ und Zittergras,
Und Rosen wand sie sich zum Kranz
Im Garten von des Frühlichts Glanz,
     Bis ihr ins Antlitz Silber goß

10
     Der Mond mit stolzem Sternentroß;

Sie war bald ernst, bald flatterhaft,
Bald launig, bald voll Leidenschaft:
     Bald warf der Locken wirre Flut
     Sie von der Stirn im Übermut,

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Bald schwebte leicht sie durch die Au,

Dem Falter gleich im Morgentau,
     Nicht kannt’ ihr Busen, weiß wie Schnee,
     Die Schranken eurer Haute-volée;
Nicht war, wie ihr, sie kalt wie Stein –

20
Doch war ihr Herz wie Gold so rein!


IV.

     Wenn still sie mich im Morgenhauch
     Durch Brombeer-, Dorn- und Haselstrauch
Nur schelmisch lächelnd führt zur Flur,
Wo einem Nest sie auf der Spur:

5
     Wenn reife Kirschen sie verlangt,

     Ob auch der Baum noch knospend prangt;
Wenn schmollend sie die Händchen ringt,
Weil noch kein Frosch zum Teiche springt,
     Noch keine Düfte haucht der Wind –

10
     Sie herzen möcht’ ich, wie ein Kind

Und segnen ihr den Plaudermund,
Die Rosenwangen, voll und rund.
     Doch wenn wir wandern dicht am Strom
     Am Abend unterm Sternendom

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Und tauschen die Gedanken leis,

Und doch mit Blicken, flammend heiß,
     Wenn Hand in Hand wir uns gelegt,
     Ob stürmisch auch das Herz sich regt,

Empfohlene Zitierweise:
Albert Weiß: Polnische Dichtung in deutschem Gewande. Otto Hendel, Halle a. d. S. 1891, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Albert_Weiss_-_Polnische_Dichtung_in_deutschem_Gewande.pdf/66&oldid=- (Version vom 21.8.2021)