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VII.

     Nicht weiß ich, ob zum zweitenmal
     Erblüht ein Mai im Erdenthal,
Wie jener uns in lauer Luft,
Voll Farbenpracht und Blütenduft!

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     Vom Rosenhain zum Mattengrund

     Allmorgens schwebten Falter bunt;
Der Erlenbach zum Elfentanz
Allabends rauscht’, im Mondenglanz
     Bis in der Ferne Nebelland

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     Hellflimmernd wie ein Silberband,

So spiegelglatt wie Bergkrystall …
Das Brautlied sang Frau Nachtigall …
     Baumkronen flochten uns das Dach
     Zum Feenschloß, – zum Brautgemach …


VIII.

     Wo nimmer scheucht das Traumbild ihr
     Der Fliegen Schwarm – im Waldrevier,
Da schlummert sie. Die Sonne strahlt
Und Rosen ihr ins Antlitz malt.

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     Wie sich ihr Busen hebt und senkt!

     Könnt’ ich erlauschen, was sie denkt,
Ob trüb ihr Blick ist, oder lacht!
Doch neidisch ihr Gewand bewacht
     Vor mir sie, wie vor Phöbus’ Pfeil,

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     Der durch die Wipfel gleitet steil.

Ihr Haar, gelöst vom Seidenband,
Nur wogt hernieder bis zur Hand.
     Da blüht zur Seit’ ihr – roter Mohn
     Wer weiß, ob der nicht wagte schon

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Zu – küssen sie zum Schabernack!

Was wagte nicht solch Lumpenpack!
     Wie so vertrauensvoll sie ruht!
     Mir wallt und siedet schon das Blut;
Ha! Diese Natter! Ein Spion,

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Mein Nebenbuhler ist der Mohn!

     Ob ich den Frevler töten soll?
     So fragt mein Herz im bittren Groll!
Was soll ihr diese Nachbarschaft?
Sieh nur, wie der Verräter gafft!

Empfohlene Zitierweise:
Albert Weiß: Polnische Dichtung in deutschem Gewande. Otto Hendel, Halle a. d. S. 1891, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Albert_Weiss_-_Polnische_Dichtung_in_deutschem_Gewande.pdf/68&oldid=- (Version vom 20.8.2021)