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Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46

Alice Weathers Bekehrung.
Erzählung von
Walter Kabel.
(Nachdruck verboten.)
1.

„Ich aber sage Ihnen, der Ball war innen, Harry!“ rief Alice Weather zornsprühend und schlug erregt mit ihrem Tennisschläger auf das straffgespannte Netz, hinter dem der schlanke Marineleutnant mit seinem überlegenen Lächeln in dem glatten Gesicht stand und seine Partnerin halb belustigt, halb vorwurfsvoll anschaute.

„Gut, brechen wir das Spiel also ab, da ja doch keine Einigung zu erzielen ist,“ meinte Harry Sanders darauf mit leichter Verbeugung, drehte sich um und schritt dem kleinen Pavillon zu, der unter den breitästigen Linden zwischen den Tennisplätzen des Marinekasinos in San Franzisko lag und die Garderobenräume für die Spieler enthielt.

Vor dem weißgestrichenen, zierlichen Häuschen saß in einem bequemen Korbstuhl eine ältere hagere Dame, die zuerst dem Streit der beiden jungen Leute mit sorgenvollem Gesicht gelauscht hatte, sich jetzt aber, lächelnde Unbefangenheit heuchelnd, an den Marineoffizier mit der Frage wendete: „Selbst an diesem herrlichen Sommernachmittag Zank und Streit, lieber Sanders? Und einer solchen Kleinigkeit wegen!“ Leicht aufseufzend und in komischer Verzweiflung die Hände faltend, setzte sie leiser hinzu: „Wie soll das nur enden, wenn jeder Tag eine neue Meinungsverschiedenheit bringt!“

In demselben Augenblick ging Alice Weather vorüber, und ohne die beiden auch nur eines Blickes zu würdigen, sagte sie mit gemachter Gleichgültigkeit: „Es endet so, teuerste Hopkins, daß ich morgen früh mit der ‚Ariadne‘ Frisko verlasse und nach Kalkutta zum Besuch meines Onkels Richard abdampfe und dadurch Harry endlich den Anblick meiner Person entziehe.“

Dann verschwand sie mit ärgerlich zurückgeworfenem Kopf in der Tür des Pavillons.

Wieder seufzte die spindeldürre Miß Hopkins auf. Dieses Mal schien ihre gedrückte Stimmung jedoch völlig echt zu sein. „Wenn Sie nur wüßten, was ich für ein Kreuz mit dem Mädchen habe!“ klagte sie weinerlich. „Wirklich, am liebsten würde ich diese Stellung aufgeben und mich zur Ruhe setzen. Meine Mittel erlauben mir’s ja. So behaglich ich mich auch im Hause ihres Vaters fühlte, seit seinem Tod lebe ich in beständiger Aufregung und Angst, habe nur dafür zu sorgen, daß Alice sich nicht durch ihre Streiche in der New Yorker Gesellschaft ganz unmöglich macht. Für eine Frau in meinen Jahren ist das eine fürchterliche Aufgabe. Nerven kostet’s, glauben Sie mir’s! Ich bin noch ganz krank von dieser endlosen Seereise.“

Mit bittendem Blick schaute sie jetzt Sanders an, der sich neben sie in einen zweiten Korbstuhl gesetzt hatte und nachdenklich die Finger seiner Rechten über die Darmsaiten des Tennisschlägers wie über eine Mandoline gleiten ließ.

„Helfen Sie mir doch!“ fuhr sie eindringlich fort und legte ihre Hand wie beschwörend auf seinen Arm. „Mich täuschen Sie ja nicht. Ich weiß, Sie lieben Alice ebenso heiß, wie Sie von ihr wiedergeliebt werden. Erfüllen Sie doch den letzten Wunsch der beiden Väter und –“ Nach einer kurzen Pause stieß sie hastig und halb verlegen hervor: „Verloben Sie sich endlich mit ihr!“

Harrys von Seeluft und Sonne tiefgebräuntes Gesicht hatte plötzlich einen fast abweisenden Ausdruck angenommen. Nachlässig klopfte er erst den Staub mit dem Tennisschläger von seinen hochaufgekrempelten weißen Beinkleidern, bevor er antwortete: „Ich bedaure unendlich, Ihnen diese Bitte abschlagen zu müssen, Miß Hopkins, trotzdem ich sehr wohl weiß, wie gütig und selbstlos es von Ihnen ist, daß Sie so den Freiwerber für Ihren Schützling bei mir spielen. Denn eine vielfache Millionärin in dem verheißungsvollen Alter von zwanzig Jahren und ein simpler Marineleutnant – welch ein Unterschied! Da könnte Alice Weather doch ganz andere Partien machen, besonders da ich nur über einen schlicht bürgerlichen Namen, also nicht einmal über das kleinste ausländische Grafenkrönlein verfüge und die Ehre der Bekanntschaft mit Ihrer ebenso launenhaften wie exzentrischen Herrin nur dem Umstande verdanke, daß der alte Weather und mein Vater Freunde waren. Wenn ich nun dem fabelhaften Glücke dieser glänzenden Heirat trotzdem aus dem Wege gehe, so hat das seine bestimmten, sehr schwerwiegenden Gründe. Ich habe von der Ehe vielleicht noch etwas veraltete Anschauungen, jedenfalls ganz andere, als sie jetzt in den Kreisen der oberen Zehntausend von New York und leider auch bei Ihrem Schützling zu finden sind. Von der jungen Dame, die ich einmal heimführe, verlange ich zuerst zartes, wirklich frauenhaftes Empfinden, das sich von dem Manne umwerben läßt, nicht umgekehrt, und zweitens, Miß Hopkins, könnte ich mich nie an den Gedanken gewöhnen,

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1910, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alice_Weathers_Bekehrung.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)