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Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46

‚Ohio‘, der für einige Monate im Hafen von Sitka in Alaska stationiert war. Eines Tages wurden uns mehrere Häftlinge an Bord gebracht, die lange Zeit den Hafen von San Franzisko unsicher gemacht hatten und deren gefährlichste Mitglieder nach den Goldminen von Klondyke entkommen waren. Unsere Polizei hatte sie schließlich aber doch aufgestöbert, und der ‚Ohio‘ fiel die Aufgabe zu, die Gefangenen zurückzubringen. Unter diesen Leuten befand sich nun auch ein Mensch, mit dem Harper eine recht verfängliche Ähnlichkeit hat, trotzdem der jetzige Kapitän der ‚Ariadne‘ einen selbst für einen Seemann recht stattlichen Bart trägt und jener Bursche ebenso glatt rasiert war wie ich.“

„Und das ist alles, was Sie vorzubringen haben?“ meinte Miß Hopkins enttäuscht. „Nichts als eine unbestimmte Ähnlichkeit mit einem Kerl, der jetzt wahrscheinlich für Jahre der Welt entzogen ist! – Nein, davon will ich Alice doch besser nichts erzählen. Sie würde uns einfach auslachen. Bedenken Sie doch, lieber Freund, wo soll Harper die vorzüglichen Kenntnisse und das auf seinen Namen lautende amtliche Patent herbekommen haben, das er uns in Valparaiso vorzeigte, als unser alter Jenkins so plötzlich an Malaria erkrankte?“

„Die Papiere können gefälscht sein oder einer ganz anderen Person gehören,“ warf Sanders hartnäckig ein.

„Nein – nein, Sie müssen sich täuschen!“ verteidigte Miß Hopkins den jungen Kapitän der ‚Ariadne‘. „Außerdem kann es Ihnen auch gar nicht schwer fallen, sich Klarheit zu verschaffen. Sie brauchen sich ja nur bei der Polizei zu erkundigen.“

„Der Vorschlag läßt sich hören,“ meinte Sanders nachdenklich. „Ich will auch gleich nachher –“

Er wurde durch Alice Weather unterbrochen, die sich jetzt, nachdem sie ihre weißen Schuhe mit hohen, eleganten Lackstiefelchen vertauscht und über ihr leichtes Sportkostüm einen halblangen, losen Mantel gezogen hatte, wieder zu ihnen gesellte.

„Nur weiter, Harry!“ sagte sie noch immer kampflustig zu dem Leutnant, der bei ihrem Erscheinen plötzlich verstummt war. „Und wenn Sie mit Miß Hopkins irgendwelche Geheimnisse haben, so gehe ich gern einstweilen voraus.“

Aber Sanders ließ sich auf ein neues Geplänkel nicht ein. Die Fahrt auf der elektrischen Straßenbahn bis zum Hafen legte die kleine Gesellschaft in recht gedrückter Stimmung und einsilbig zurück.

Im Hafen war zwischen zwei hochbordigen Handelsdampfern unweit der mächtigen Speicher der Hamburg-Amerikalinie die ‚Ariadne‘ eine schlankgebaute, mittelgroße Turbinenjacht, festgemacht.

Kaum hatte Alice das Deck betreten, als sie auch schon durch einen der Matrosen den Kapitän zu sich rufen ließ, und als William Harper vor ihr stand, sagte sie absichtlich laut, so daß Sanders, der mit Miß Hopkins gefolgt war, es notwendig hören mußte: „Wir werden übermorgen früh San Franzisko verlassen, Kapitän. Bringen Sie also die Schiffspapiere auf dem Hafenamt in Ordnung und sehen Sie auch zu, daß wir für eine Reise nach Kalkutta genügend mit allem Nötigen versehen sind. Die neue Mannschaft muß ebenfalls schleunigst an Bord kommen.“

Harper zuckte bei dieser Nachricht leicht zusammen, faßte sich aber schnell, legte die Hand salutierend an die Mütze und verschwand wieder unter Deck.

Auch Sanders verabschiedete sich jetzt, da er von neun Uhr abends auf der ‚Niagara‘ die Wache hatte. Alice Weather reichte ihm sehr kühl die äußersten Fingerspitzen, vermied es jedoch, ihn anzusehen.

„Meinen Abschiedsbesuch werde ich morgen machen, wenn Sie gestatten,“ sagte der Leutnant sehr förmlich und verließ dann die ‚Ariadne‘, um an Bord seines Panzers zurückzukehren, der als erster in der Kiellinie des amerikanischen Geschwaders dicht bei der Insel Yerba Buena vor Anker lag.


2.

Die kleine, felsige Insel Yerba Buena erhebt sich ungefähr in der Mitte der Bai von San Franzisko, die wohl der beste natürliche Hafen der ganzen Welt genannt werden muß und einer unbeschränkten Zahl von Seeschiffen sicheren Schutz gewährt. Auf Yerba Buena stand früher eine blühende Niederlassung der Franziskanermönche, die aber durch das Erdbeben im Jahre 1865 völlig zerstört und dann nicht wieder aufgebaut wurde. Erst fünfzehn Jahre später fand das Inselchen einen neuen Bewohner in einem mürrischen, rotköpfigen Irländer, der für billiges Geld von der Regierung ein größeres Stück anbaufähiges Land an der Südseite des kleinen Höhenrückens erwarb und dort mit Hilfe einer früheren Negersklavin einen bescheidenen Farmbetrieb anfing. Als die Vereinigten Staaten dann im Jahre 1895 an der Südspitze von Yerba Buena einen Leuchtturm errichteten und an den Felsabhängen größere Befestigungen anlegten, wäre man den Irländer als unbequemen Aufpasser gern wieder losgeworden; aber der ebenso starrköpfige wie habgierige Alte forderte für sein Besitztum einen so unverschämten Preis, daß man ihn unbehelligt ließ und seine späteren, nur wenig bescheideneren Angebote rundweg abschlug. So kam es denn, daß die „Rote Farm“, wie sie allgemein nach ihrem rothaarigen Eigentümer genannt wurde, auf der kleinen Insel neben den verschiedenen Regierungsbauten der einzige Privatbesitz blieb – zwei gänzlich verfallene Stallgebäude und ein niedriges Wohnhaus, die fünfhundert Meter vom Südstrand entfernt unter einigen verkrüppelten Eichen lagen.

In dem größten Raume des Wohngebäudes der Farm befanden sich an dem Nachmittag, als die Tennispartie zwischen Alice Weather und Harry Sanders so plötzlich abgebrochen wurde, O’Connor Morris, der Irländer, und seine Wirtschafterin Rosanna, die alte Negerin. Morris lag in seinem Bett, neben dem die Schwarze auf einem Stuhle saß und eifrig strickte. Stunden waren verflossen, ohne daß zwischen ihnen ein Wort gewechselt worden war. Erst der schrille Ton der Hausglocke brachte wieder Leben in die beiden einsamen Bewohner dieser weltabgeschiedenen Besitzung.

„Rosanna, es hat geläutet! Hörst du denn nicht!“ rief Morris ungeduldig und drehte sich schwerfällig in seinem Bett dem Fenster zu.

„Nur noch eine Runde!“ klang’s zurück, und die Nadeln wurden noch schneller zwischen den grauschwarzen Fingern der Alten bewegt.

Morris, den ein schwerer Schlaganfall vor zwei Jahren fast hilflos gemacht hatte, brummte ärgerlich eine Verwünschung vor sich hin und starrte dann ergeben zu der verräucherten Decke empor, an der ein paar träge Fliegen wie schwarze Pünktchen umherkrochen.

Wieder wurde draußen an der Glocke gerissen, laut, fordernd. Jetzt legte endlich die Negerin ihr Strickzeug auf das Fensterbrett, erhob sich und verließ das Zimmer. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie zurückkehrte und zu Morris an das Bett trat.

„Ein Herr möchte Sie sprechen. Seinen Namen hat er nicht genannt, und ich kenne ihn auch nicht,“ sagte sie mißtrauisch. „Soll ich ihn hereinlassen?“

Aus dem bleichen Gesicht des Gelähmten zeigte sich eine deutliche Unruhe. Er hatte offenbar kein ganz reines Gewissen, und ein unbekannter Besucher brachte vielleicht nichts Gutes. Doch schließlich nickte er Rosanna kurz zu und schaute dann gespannt nach der Tür.

Der Mann, der jetzt mit nachlässigem Gruß die Stube betrat, war eine hochgewachsene Erscheinung mit energischem, von einem Vollbart umrahmtem Gesicht, in dem ein Paar stechende, dunkle Augen funkelten.

„Ich möchte mit Ihnen allein sprechen, Mister Morris,“ sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien.

Der Irländer fuhr bei dem Klang dieser Stimme sichtlich zusammen und starrte den Fremden erst eine Weile ganz entsetzt an, bevor er zu der Negerin sagte: „Laß uns allein, Rosanna!“ – Kaum hatte diese das Zimmer verlassen, als er sich mühsam in seinem Bett aufrichtete und ängstlich flüsterte: „Thomas Burton. Mann, seid Ihr des Teufels, daß Ihr Euch nach Frisko wagt! Ich erkannte Euch nicht gleich wieder mit diesem schönen Vollbart, aber Eure Stimme habe ich nicht vergessen. – Was wollt Ihr hier, Mann! Wenn die Polizei Euch abfaßt, so könnt Ihr den Rest Eures Lebens hinter eisernen Gardinen zubringen.“

Doch auf Burton schien diese Warnung gar keinen Eindruck zu machen. Er streckte dem Kranken jetzt mit einem sorglosen Lächeln die Hand hin und sagte mit einer gewissen Wärme im Ton: „Ich freue mich ehrlich, daß ich Euch noch lebend und munter vorfinde, Morris. Schade aber ist’s, daß ein Mann von Eurer geistigen Regsamkeit hier zwischen diesen vier Wänden allein mit der alten Negerin seine Tage vertrauern muß. Nun, hoffentlich bessert sich Euer Zustand noch einmal. Was aber meine Person anbetrifft, so könnt Ihr völlig außer Sorge sein. Der Bart verändert mein Gesicht so vollkommen, daß so leicht niemand in dem jetzigen Kapitän der ,Ariadne‘ jenen Thomas Burton vermuten wird, der hier jahrelang der Schrecken der Hafenpolizei war.“

Über des Gelähmten Gesicht war bei diesen fast herzlichen Worten ein Freudenschimmer gehuscht. Er hatte Burtons wohlgepflegte Hand in der seinen kräftig geschüttelt und ließ sich jetzt wieder in die Kissen zurückfallen, indem er seinem Gast durch eine Handbewegung bedeutete, in dem Lehnsessel zu Füßen des Bettes Platz zu nehmen.

„Ein Glas Whisky gefällig?“ begann er die Unterhaltung. – „Nicht? – Seid Ihr etwa einem guten Tropfen abhold geworden Dann wäret Ihr nicht nur auswendig, sondern auch inwendig mächtig verändert, das muß ich sagen.“

„Ich hab’s eilig und wichtige Sachen mit Euch durchzusprechen, Morris. Deshalb wollen wir uns nicht lange aufhalten,“ meinte Burton nachdenklich. „Ihr seid mir stets ein treuer Freund und guter Ratgeber gewesen,“ fuhr er nach einer Weile fort, „deshalb bin ich auch heute zu Euch gekommen, um Eure Meinung über einen Plan zu hören, der mich schon seit ungefähr einem Jahre beschäftigt, zu dessen Ausführung mir aber bisher stets die Mittel fehlten. Es ist eine große Sache. Doch damit Ihr alles klar überseht, will ich meinen Bericht möglichst zusammenhängend vortragen. – Auf welche Weise ich hier in Frisko doch noch entkam, nachdem der ,Ohio‘ uns eingeliefert hatte, wißt Ihr ja. Ihr habt mir selbst die Mittel zur weiteren Flucht vorgestreckt, und diesen Liebesdienst werde ich Euch nicht vergessen. Ich wandte mich dann nach Südamerika, habe mich in allen möglichen Hafenplätzen aufgehalten, aber die Geschäfte gingen schlecht, und ich mußte mich nicht selten als Kaiarbeiter verdingen, nur um nicht zu verhungern. Eines Tages, es mag so acht Monate her sein, lernte ich in Valparaiso einen alten Seemann kennen, der in seinen früheren Tagen auch so manchen großen Fischzug auf Kosten derer, die nie alle werden, unternommen hatte. Wir freundeten uns an, und als er erst wußte, mit wem er’s zu tun hatte, wurde er zutraulich und entwickelte mir einen Plan, wie wir beide in den Besitz einiger Tonnen gut gereinigter Goldkörner kommen könnten. Der alte Bill Siders war nämlich längere Zeit auch da oben in den Minen von Klondyke und kennt das Leben und Treiben dort durchaus. In Dawson hat sich nämlich eine Gesellschaft von Goldgräbern zusammengetan, die ihre Goldkörner nicht gern einer der dortigen Banken zum Weitertransport nach San Franzisko anvertrauen und die hohen Kosten sparen wollte. Diese Gesellschaft läßt jährlich zweimal ihre Vorräte an Gold durch einen Frachtdampfer nach Frisko bringen, hält aber die Abfahrtzeit des Schiffes stets sehr geheim, um gewitzten Leuten jede Möglichkeit zu nehmen, einen Überfall auf den ,Triton‘, so heißt der alte Kasten, vorzubereiten. Bill Siders gehörte früher auch zu dieser Vereinigung, hat noch heute gute Beziehungen dort oben in Alaska und weiß daher regelmäßig Tag und Stunde, wann der ‚Triton‘ mit seiner wertvollen Ladung die Reise antritt. Der Dampfer verläßt dieses Mal morgen den Hafen von Sitka und soll in zehn Tagen hier in Frisko sein. Wenn’s anders kommt, so liegt’s eben nur daran, daß Siders und ich unseren ganzen Plan auf diese Kenntnis aufgebaut haben. Ich will Euch nicht lange mit Einzelheiten aufhalten, Morris, sondern nur angeben, wie die Sache heute steht. Erwähnen muß ich jedoch, daß ich mir schon vor einem Jahre von einem Krankenwärter des Hospitals in Vera Cruz die Papiere eines dort am gelben Fieber verstorbenen Schiffskapitäns William Harper für ein recht anständiges Sümmchen besorgt hatte und dann vor sechs Wochen in Valparaiso Gelegenheit fand, mit Hilfe dieser Papiere Kapitän der Vergnügungsjacht ,Ariadne‘ zu werden, die der Tochter des bekannten Kohlenkönigs Weather aus New York gehört. Ich konnte den Posten ruhig annehmen, da ich mir bei meiner vielseitigen Tätigkeit mit den Jahren die genügenden Kenntnisse erworben habe. Und bisher reichten sie auch aus. Denn die ‚Ariadne‘ ist unter meiner Führung glücklich am hiesigen Kai festgemacht worden, nachdem wir immer in anständiger Entfernung hinter der amerikanischen Flotte hergedampft waren. Auf dem Schlachtschiff ‚Niagara‘ befindet sich nämlich der Angebetete meiner Gnädigen, den sie gerne für sich kapern möchte. Und dieser Leutnant Sanders ist allein schuld daran, daß wir uns jetzt mit unseren letzten Vorbereitungen für unsere Expedition gegen den ‚Triton‘ mächtig beeilen müssen. Anscheinend hat sich der Leutnant heute nachmittag mit meiner Herrin recht ernstlich entzweit, und sie will nun in ihrem Ärger Frisko Hals über Kopf verlassen. Gerade komme ich vom Hafenamt, wo ich die Abfahrt der ‚Ariadne‘ angezeigt und um einen Lotsen gebeten habe. Diese plötzliche Abreise paßt uns recht schlecht in unseren Kram, da wir uns für die Jacht doch noch eine neue Mannschaft besorgen müssen, eben Jungens, die vor so ein bißchen Seeräuberei nicht zurückschrecken und etwas wagen. – Na, Morris, begreift Ihr nun, wie wir das Ding anfassen wollen?“

Der Irländer schüttelte den roten Kopf. „Burton, das ist unmöglich! Die Jacht wollt Ihr stehlen? Habt Ihr Euch auch alle Schwierigkeiten überlegt?“

„Schwierigkeiten? Ihr vergeßt, daß ich Kapitän der ,Ariadne‘ bin und bei Miß Weather hoch in Ansehen stehe. Was ich ihr vorschlage, tut sie unbedingt.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1910, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alice_Weathers_Bekehrung.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)