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Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46

So ist bei unserer Ankunft hier der größte Teil der erst im Frühjahr angeworbenen Besatzung auf meine Veranlassung abgelohnt worden, weil die Jacht zunächst zwei Wochen zur Ausbesserung einer Bodenbeschädigung im Dock liegen mußte und die Leute während dieser Zeit nicht untätig mitgefüttert werden sollten, in Wirklichkeit, damit ich mir nachher die neue Mannschaft selbst aussuchen konnte. Und die habe ich nun auch schon beisammen, trotzdem sie nicht gerade nach dem Geschmack meiner Herrin sein dürfte. Leider sind die braven Jungens aber nicht so leicht abkömmlich, und es wird noch einige Mühe machen, sie glücklich an Bord zu bringen. Nun paßt gut auf, Morris! Wie Ihr wißt, sind keine achthundert Meter von Eurer Farm in einer festen Baracke am Strande der Insel vierundzwanzig Zuchthäusler aus Frisko einquartiert, die mit dem Lossprengen und Behauen von Felsstücken für den Bau der neuen Inselforts beschäftigt werden. Ich habe nun ausgekundschaftet, daß sich auch neun von meinen früheren Leuten und gerade die tüchtigsten Kerle darunter befinden. Auf einige werdet Ihr Euch sicherlich noch besinnen, so auf den langen Sangnassy und den dicken Fred. Ich beabsichtige nun nichts anderes, als diesen vierundzwanzig Mann die Freiheit wiederzugeben und sie mit mir auf die Kreuzfahrt nach Norden zu nehmen. Bill Siders, der sich schon einige Wochen hier in einer Hafenkneipe aufhält, hat auch bereits die nötige Kleidung, Schiffskisten und Papiere besorgt, so daß es nur noch darauf ankommt, sie aus dieser verwünschten Baracke herauszuholen. Dabei sollt Ihr mir helfen, Morris. – Macht nicht ein so dummes Gesicht, Alter. Ich weiß schon, was Ihr wieder für Bedenken habt. Gewiß – die Kameraden da drüben werden von drei bewaffneten Aufsehern überwacht, außerdem noch von mehreren Bluthunden, die nachts innerhalb der Palisadenumzäunung frei umherlaufen. Auch führt eine Telephonverbindung nach dem nächsten Inselfort, damit die Wächter sofort Hilfe herbeirufen können, falls ihre Zöglinge einmal rebellieren sollten. Das weiß ich alles, schreckt mich aber nicht ab. Ich brauche die Leute unbedingt. Und wenn nicht diese verwünschte, überhastete Abreise gekommen wäre, so hätte ich schon Mittel und Wege gefunden, mich mit Sangnassy oder Fred in Verbindung zu setzen und mit ihnen das Notwendige zu vereinbaren. So aber tut jetzt größte Eile not. Übermorgen früh soll die ‚Ariadne’ den Hafen bereits verlassen, und bis dahin müssen die Leute an Bord sein! Und daher will ich versuchen, noch heute eine Nachricht nach der Sträflingsbaracke zu senden.“

„Das klingt ja so, als ob Ihr nur nötig hättet, ein Schreiben durch die Post dorthin bringen zu lassen,“ unterbrach ihn Morris ironisch. „So einfach dürfte das doch wohl nicht sein, wenn ich auch zugebe, daß es nicht unmöglich ist. Wie wolltet Ihr also die Sträflinge von Eurem Vorhaben verständigen?“

„Darüber möchte ich ja gerade Euren Rat hören,“ sagte Burton unsicher.

Der Irländer dachte eine Weile nach. „Ist’s denn unbedingt notwendig, daß an einen der Jungens in der Baracke Nachricht geschickt wird?“ fragte er nochmals.

„Unbedingt!“ erwiderte Burton. „Wir können ihnen von außen mit Gewalt keinerlei Hilfe bringen. Einmal fehlen uns dazu die nötigen Leute, und dann darf man das Telephon nicht vergessen, durch das die Wächter bei dem ersten drohenden Anzeichen das nächste Fort alarmieren würden. Leider ist nun die Telephonleitung unterirdisch gelegt, so daß wir sie nicht so schnell auffinden und daher auch nicht zerstören können. Nein, die Leute müssen allein handeln. Nur die Verhaltungsmaßregeln kann ich ihnen geben. Sie brauchen nur morgen abend ihre Wächter im günstigen Augenblick gleichzeitig zu überfallen und zu knebeln, dann die Hunde zu beseitigen, und sie sind frei. Die Verwandlung in harmlose Seeleute geschieht dann hier in Eurem Haus. Bill Siders und ich schaffen noch heute nacht die nötigen Kleidungsstücke her.“

„Und das alles wollt Ihr einem Stück Papier anvertrauen, das selbst bei der größten Vorsicht in falsche Hände geraten kann?“ meinte der Irländer zweifelnd. „Ich muß Euch ehrlich gestehen, Burton, die Sache sieht mir zu gefährlich aus, und ich möchte mich auf meine alten Tage doch lieber nicht an einem solchen Wagnis beteiligen, trotzdem Rosanna den Botendienst sehr gut übernehmen könnte. Denn sie geht in der Baracke dort drüben ungehindert aus und ein, weil sie den Wächtern für die Küche aus unserem Garten das Gemüse liefert und ihnen auch häufig aus Frisko Einkäufe besorgt. Aber, wie gesagt, ein unglücklicher Zufall, und wir spazieren alle drei ins Loch.“

Der Kapitän hatte hoch aufgehorcht. „Also die Rosanna! Ja, so muß es gehen!“ meinte er eifrig. „Eure Angst ist ganz überflüssig, Morris. Wenn Ihr meint, daß die Schwarze schlau genug ist, um einem der Jungens, am besten natürlich Sangnassy oder Fred, einen Zettel zuzustecken, so kann ich ihn gleich schreiben. Dann werdet Ihr sehen, daß keinerlei Gefahr dabei ist, weil eben ein Uneingeweihter den Inhalt gar nicht zu entziffern vermag. Ich werde mich unserer alten Zeichenschrift bedienen, die wir früher während unserer hiesigen Tätigkeit benützten und die allen geläufig war. Sagt mir also wo ich Papier und Feder finde.“

Nach kaum zehn Minuten war Burton mit seiner Arbeit fertig. Rosanna wurde hereingerufen, ihr das Notwendigste mitgeteilt, und ebenso erhielt sie auch die genauesten Verhaltungsmaßregeln, damit sie die richtigen Leute herausfinden könne.

„Oh, Mister Burton soll mit mir zufrieden sein, sehr!“ rief sie hocherfreut und verbarg schnell die zehn Dollar, die der Kapitän ihr in die Hand gedrückt hatte, in ihrer Kleidertasche. „Ich werde mir einen Korb Birnen mitnehmen und es schon so einzurichten wissen, daß ich Sangnassy oder Fred den Zettel übergebe. Die Aufseher lassen mich ja ruhig in der Baracke umhergehen. In einer Stunde bin ich zurück, Mister Burton.“


3.

Das Schicksal wollte es, daß Harry Sanders am nächsten Tage nicht mehr dazu kam, Alice Weather auf der ‚Ariadne‘ zu besuchen. Er war dienstlich bis zum Abend in Anspruch genommen und fand nur noch Zeit, sich in einem kurzen Brief von ihr zu verabschieden. Die amerikanische Flotte rüstete sich zur Weiterfahrt nach Japan, und während Sanders in den Munitionsräumen der ‚Niagara‘ das Auswechseln der alten Geschoßvorräte gegen neue, aus den Marinedepots gelieferte, überwachte, fand er Muße genug, seine Herzensgefühle einer Prüfung zu unterziehen.

Je länger er über sein Verhältnis zu dem jungen Mädchen nachdachte, desto unzufriedener wurde er mit sich. Schließlich gestand er sich ein, daß nur ihn die Schuld allein traf, wenn Alice jetzt für immer für ihn verloren war, denn er sagte sich nicht mit Unrecht, daß die junge Millionärin als seine Braut gewiß sehr bald alle ihre kleinen Fehler und Schwächen abgelegt haben würde. Und als er in seinen Gedanken so weit gekommen war, als er sich überlegte, wie heiß sie für ihn empfinden mußte trotz ihres aus so vielen Widersprüchen zusammengesetzten Charakters, da suchte er auch plötzlich allerlei Entschuldigungsgründe für jene so auffallende Bevorzugung, mit der sie ihn stets ausgezeichnet hatte und die ihm so unweiblich erschienen war. Hatte doch auch ein törichter, überempfindlicher Stolz ihn selbst vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft an dazu verleitet, sie, die Tochter des besten Freundes seines Vaters, mit einer verletzenden Kälte zu behandeln, um ja nicht bei ihr den Glauben zu erwecken, daß er dem Herzenswunsch der beiden Väter aus bloßer Berechnung und ohne ehrliche Neigung zu entsprechen gedenke. Doch was half ihm jetzt die bessere Einsicht!

Mißmutig lehnte er an der Wandung des Geschoßaufzuges und schaute gedankenverloren vor sich hin, nickte nur mit dem Kopf, wenn der Bootsmannsmaat ein neues volles Hundert Granaten meldete und in das Munitionsbuch eintrug. Und von der Person der heimlich Geliebten irrte sein Denken weiter ab, hin zu dem Kapitän der ‚Ariadne‘, gegen den er ein unbestimmtes Mißtrauen empfand, das er auch trotz Miß Hopkins beruhigender Worte nicht loswerden konnte.

Als dann endlich gegen zehn Uhr abends die Auswechslung der Munition beendet war, nahm er schnell in der Offiziersmesse einen kleinen Imbiß ein und stieg darauf, bewaffnet mit einem Nachtglase, an Deck, lehnte sich an die Reeling und schaute lange nach der Jacht hinüber, deren weißer Schiffskörper in der Dunkelheit noch sichtbar war und deren sämtliche Kajütfenster in hellstem Licht erstrahlten. Eine große Sehnsucht kam über ihn. Und die Sehnsucht ließ immer mehr gute Vorsätze in ihm ausreifen, ließ ihn auf ein Wiedersehen hoffen, bei dem er Alice alles erklären wollte – alles!

Wohl eine Stunde lang stand er so fast bewegungslos da, starrte durch das Glas nach der ‚Ariadne‘ hin, sah auch, daß zwei Boote an der Jacht anlegten, die von der Insel Yerba Buena her aus der Dunkelheit aufgetaucht und an dem Panzer vorübergerudert waren. Sie schienen dicht bemannt zu sein, und Sanders sagte sich, daß es wohl die neue Besatzung der ,Ariadne‘ sei, die an Bord gebracht werde, trotzdem er es sich nicht erklären konnte, weshalb man mit den Leuten gerade diesen Weg gewählt hatte.

Als er sich dann gegen Mitternacht zur Ruhe begab, schärfte er seinem Burschen ein, ihn sehr früh zu wecken. Er wollte versuchen, Alice bei der Abfahrt der Jacht noch einen letzten Gruß zuzuwinken.

Aber eine große Enttäuschung wartete seiner. Als er am Morgen das Deck betrat, war von der ‚Ariadne‘ nichts mehr zu sehen. Von dem wachhabenden Offizier erfuhr er, daß sie bereits vor zwei Stunden die Bai verlassen hatte.


Am Nachmittag klopfte es plötzlich laut an der Tür von Harry Sanders Kabine. Dieser hatte gerade vor dem kleinen Klapptischchen gesessen und, um seine trüben Gedanken abzulenken, in einem Wörterbuch der japanischen Sprache geblättert. Die Störung kam ihm höchst unwillkommen. Er befand sich nicht in der Stimmung, mit irgend einem sich langweilenden Kameraden vielleicht über gleichgültige Dinge zu plaudern. Daher klang sein Herein wenig freundlich.

Der Eintretende, Oberleutnant Riley, Kommandant des Torpedobootszerstörers ‚Cleveland‘ und ein alter Bekannter Sanders von der Militärakademie her, beachtete jedoch weder des Freundes verdrossenen Gesichtsausdruck noch die kühle Begrüßung, begann vielmehr sofort, indem er seine Hand wie beschwichtigend auf Sanders Schulter legte: „Harry, ich komme in einer sehr ernsten Angelegenheit zu dir. Ich weiß, daß du Alice Weather liebst. Erschrick nicht – die ‚Ariadne‘ ist in der letzten Nacht von einer Seeräuberbande entführt worden.“

Sanders sprang entsetzt auf, aus seinem Gesicht war jede Spur von Farbe gewichen. Aber mit übermenschlicher Energie zwang er sich zur Ruhe, und seine erste hervorgebrachte Frage zeigte, wie alle seine Gedanken nur der Geliebten gehörten: „Und Alice? Ist sie noch auf der ‚Ariadne‘?“

„Wir müssen es leider annehmen,“ entgegnete der Oberleutnant.

Sekundenlang war’s totenstill in der engen Kabine. Dann ließ Sanders sich schwer in den Stuhl zurückfallen.

„Erzähle, was du weißt, Riley,“ sagte er dumpf. „Schone mich nicht. Ich will alles wissen, damit ich helfen kann. Denn irgend etwas muß doch geschehen – muß!“ schrie er verzweifelt auf und schaute den anderen fast drohend an.

„Fasse dich, Harry!“ bat der Oberleutnant begütigend. „Ich komme ja soeben direkt von dem Flaggschiff, wo ich von dem Admiral und einem höheren Polizeibeamten den ganzen Sachverhalt erfahren habe. Ich soll mit der ‚Cleveland‘ sofort die Verfolgung aufnehmen. Zum Glück wissen wir so ziemlich, wo wir die ‚Ariadne‘ zu suchen haben.“

„Aber, was wird aus Alice, was kann nicht alles inzwischen geschehen! Nein – nein, das ist ja gar nicht auszudenken,“ stöhnte Sanders auf und vergrub sein Gesicht in den zitternden Händen.

„Harry, mein Junge, auf diese Weise hilfst du ihr nichts! Geh lieber zu deinem Kommandanten und bitte ihn um Urlaub. An Bord der ‚Cleveland‘ bist du jetzt besser am Platz als hier in dieser Kabine. Meinst du nicht auch?“

Sanders begriff. „Ja, ich begleite dich, Riley,“ rief er heiser.


Eine Stunde später verließ der Torpedobootszerstörer seinen Ankerplatz und dampfte mit halber Fahrt dem Goldenen Tor zu. Die untergehende Sonne flammte in feuriger Lohe über den kalifornischen Bergen, und ihr rötlicher Widerschein lag in zuckenden Lichtblitzen auf den Wassern der Bai, die der scharfe Bug des schlanken Kriegschiffes durchschnitt. Auf der Kommandobrücke stand neben Oberleutnant Riley Harry Sanders, der sich die Geliebte zurückerobern wollte.

Kaum hatte der Zerstörer die offene See erreicht, als er sich auch schon in scharfem Bogen nach Norden wandte. Noch ein Klingelzeichen hinab in den Maschinenraum, und die hohe Heckwelle, die wie ein Wasserberg der ‚Cleveland‘ folgte, zeigte an, daß die Schrauben jetzt mit voller Kraft die Wogen des Großen Ozeans schlugen.

Langsam sank die Dämmerung herab und hüllte das Festland von Amerika in graue Schleier ein, in denen es bald ganz verschwand. Und in der feierlichen Stille dieser endlosen Wasserwüste, in der nichts als das dumpfe, gleichmäßige Stampfen der Maschinen und hin und wieder der Schrei eines dem Lande zustreichenden Vogels zu hören war, erzählte Riley dem Freunde noch näher, was er vor wenigen Stunden an Bord des Admiralsschiffes über den verwegenen Anschlag auf die ‚Ariadne‘ erfahren hatte.

„Es handelt sich um ein mit größtem Raffinement vorbereitetes Verbrechen,“ begann er. „Und nur der Geschicklichkeit der Polizei haben wir es zu

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1910, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alice_Weathers_Bekehrung.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)