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Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46

danken, daß es so schnell entdeckt wurde, wenn schließlich auch ein glücklicher Zufall dabei eine Rolle spielt. Auf der Felseninsel Yerba Buena befindet sich nämlich eine Sträflingskolonie, deren Aufseher alle vierzehn Tage abgelöst werden. Als nun heute vormittag die zur Ablösung bestimmten drei Wärter sich der Baracke näherten, in der die Sträflinge untergebracht waren, stand das Tor der Umzäunung weit offen, und die vier großen Bluthunde lagen mit zerschmetterten Schädeln auf dem Hofe. Die drei Aufseher aber fand man gefesselt und mit Knebeln im Mund in einer kleinen Kammer neben der Küche. Sie konnten nur berichten, daß sie am Abend vorher von den Sträflingen plötzlich überfallen und nach kurzer Gegenwehr überwältigt worden waren. Zunächst erschien es unerklärlich, wie den Verbrechern dann die weitere Flucht geglückt sein konnte. Schließlich fiel es einem der Aufseher ein, daß am verflossenen Abend eine alte Negerin, die zu der einzigen auf Yerba Buena gelegenen Farm gehört, nach der Baracke gekommen war und sich längere Zeit in der Küche aufgehalten hatte, wo einige Sträflinge mit Kartoffelschälen beschäftigt und dabei längere Zeit ohne Aufsicht geblieben waren. Diese unsichere Spur nahm die Polizei sofort mit allem Eifer auf. Man verhörte die Negerin und den alten gelähmten Besitzer der Farm, einen Irländer, beide stellten sich aber völlig harmlos an, und es bedurfte vieler Mühe, die Schwarze endlich zum Reden zu bringen. Dieser Kapitän der ‚Ariadne‘, nebenbei ein Mensch von guter Erziehung, der seinerzeit sogar Maschinenbaufach studiert hat, ist niemand anders als ein gewisser Thomas Burton, dessen Bande vor ungefähr drei Jahren den Hafen von San Franzisko unsicher machte.“

„Hätte ich nur Miß Hopkins Rat sofort befolgt und mich über ihn erkundigt!“ unterbrach ihn hier Sanders ärgerlich. „Wer weiß, ob dann dieser Schurkenstreich nicht zu verhüten gewesen wäre!“

„Sicherlich wäre alles anders gekommen, wenn du über Harper Erkundigungen eingezogen hättest,“ meinte Riley. „Doch die Selbstvorwürfe helfen jetzt nichts mehr. Harper oder Burton, wie du ihn nennen willst, hat es ja leider fertig gebracht, seine alten Spießgesellen als die neue Besatzung der ,Ariadne‘ an Bord zu bringen. Es ist kein Zweifel, daß er jetzt einen Anschlag gegen den fälligen Golddampfer plant, der vorgestern den Hafen von Sitka verlassen hat. Aber wir werden ihm das Handwerk legen. Kopf hoch, mein Junge! Wir werden die Jacht sicherlich finden!“

Mit einem guten Nachtglase bewaffnet verharrte Sanders die ganze Nacht über an Deck und suchte das Meer nach einem hellgestrichenen Schiffskörper ab, auf dem sich Alice Weather inmitten einer Bande verruchter Verbrecher befand. Jedes Schiff, das gesichtet wurde, mußte sich ein strenges Verhör von dem Kriegsfahrzeug gefallen lassen. Aber immer kam die gleiche Antwort: niemand war der ‚Ariadne‘ begegnet.

So verging auch der nächste Vormittag, da tauchte einige Seemeilen seitwärts der ‚Cleveland‘ ein Boot auf, das eifrig Notsignale mit einem Segel herüberwinkte. Sofort wurde der Kurs geändert, und eine halbe Stunde später kletterten der Steuermann Wilson und sechs Leute der ‚Ariadne‘, die Harper als einzige in San Franzisko nicht entlassen hatte, am Fallreep empor an Bord. Was der Steuermann den beiden Freunden erzählte, war geeignet, Sanders wenigstens einigermaßen seine Seelenruhe wiederzugeben.

„Sehen Sie, Mister Sanders, das war Ihnen eine Überraschung, als mir am Abend so gegen zehn Uhr dieser Schurke plötzlich mit dem Revolver in der Hand in seiner Kajüte auf unserer Jacht bedeutete, daß ich mir von seinen sauberen Genossen hübsch ruhig die Hände zusammenbinden lassen sollte, sonst würde er mir ein Loch durchs Hirn blasen. Ich mußte stillhalten und wurde dann ins Vorschiff in ein enges Loch geworfen. Und die sechs Leute von der alten Besatzung, die ich jetzt mitgebracht habe, hatten genug zu staunen gehabt über die neuen Kameraden, wagten aber nichts zu sagen. Und heute morgen verlud er uns dann mit den besten Segenswünschen in das Boot, da wir ihm wahrscheinlich unbequem waren. Das Maschinenpersonal mußte er freilich behalten. Aber im Maschinenraum stehen ein halb Dutzend von den Spitzbuben mit geladenen Pistolen in der Hand und passen auf, daß der ,Ariadne‘ nicht der Dampf ausgeht. Bin nur neugierig, wo der Harper unsere Herrin und die Miß Hopkins absetzen wird. Ein Leid zufügen wird er den Damen wohl nicht, Mister Sanders, da können Sie ganz ruhig sein. Werden sogar an Bord mit allem Respekt behandelt. Und als wir mit dem Boot vor ungefähr sieben Stunden von der ‚Ariadne‘ losmachten, da stand Miß Weather auf dem Promenadendeck und winkte uns zu. Sah recht blaß aus, unsere Herrin, schien aber sonst ganz gefaßt. – Nun, wir werden unsere ‚Ariadne‘ ja wohl bald wiederhaben, schätz’ ich!“

Riley drückte dem Freunde stumm die Hand, als sie wieder allein waren.

„Ich weiß, daß du dich mit mir über diese Nachricht freust,“ sagte Sanders herzlich. „Wirklich, mir ist eine Zentnerlast vom Herzen genommen.“

Nachdenklich schaute aber der Oberleutnant vor sich hin. „Ich glaube nicht, daß wir die ‚Ariadne‘ schon bald finden werden.“

Sanders nickte. „Ich bin ganz deiner Ansicht, Riley. Nach der Jacht ziellos umherzusuchen, hat keinen Zweck. Das vernünftigste wäre, dem ‚Triton‘ entgegenzufahren und ihn zu begleiten. Auf diese Weise kann uns die ,Ariadne‘ sicher nicht entgehen.“

„Das habe ich mir auch schon überlegt. Wird wohl das richtigste sein. Die ‚Cleveland‘ läuft übrigens ihre vierundzwanzig Knoten, die ,Ariadne‘ kaum achtzehn. Da holen wir sie sicher ein, wenn wir einmal ihre Spur haben. Also Kopf hoch, mein Junge!“


4.

Die Dampferlinie Sitka-San Franzisko läuft parallel der Westküste von Nordamerika. In bestimmten Zwischenräumen läßt eine amerikanische Reederei einen Dampfer für Fracht- und Personenverkehr nach Sitka abgehen, ohne allerdings in neuerer Zeit besonders auf ihre Rechnung zu kommen, da der Zuzug von Goldgräbern nach Alaska schon bedeutend nachgelassen hat. Handelschiffe trifft man nördlich von Kap Flattery kaum noch an und so verlief auch die Fahrt der ‚Cleveland‘ zunächst äußerst eintönig. Als das Schiff nach zwei Tagen auf die Höhe der Vancouverinsel gekommen war, ließ Riley in weiten Schlägen hin und her kreuzen, da man nach seiner ungefähren Berechnung dem ‚Triton‘ hier begegnen mußte.

Diese Maßregel erwies sich auch als durchaus notwendig, da der Golddampfer tatsächlich über dreißig Meilen östlich von der eigentlichen Tourlinie gesichtet wurde und daher leicht unbemerkt hätte vorüberlaufen können. Nachdem zwischen den beiden Schiffen ein lebhafter Bootsverkehr stattgefunden hatte, trennten sie sich wieder. Die ‚Cleveland‘ dampfte nordwärts und verschwand bald am Horizont, während der ‚Triton‘ die unterbrochene Reise nach San Franzisko fortsetzte.


Auf dem Promenadendeck der ,Ariadne‘ lehnte Alice Weather neben Miß Hopkins, die in den letzten Tagen infolge der beständigen Angst und Aufregung womöglich noch dünner geworden war, an der Reeling und schaute mit umflorten Augen auf die in majestätischer Ruhe heranziehenden Wellen, zwischen denen die Jacht wie in einer mächtigen Wiege geschaukelt wurde, als Harper sich langsam näherte und mit höflichem Gruß neben sie trat.

„Miß Weather,“ begann er mit leichter Ironie in dem harten Ton seiner Stimme, „wenn ich auch zugebe, daß Sie einigen Grund haben, mich völlig als Luft zu behandeln, so müssen Sie sich jetzt doch schon in Ihrem eigenen Interesse überwinden und mir zuhören. Vielleicht bemerken Sie schon mit bloßem Auge jenen Rauchstreifen dort vor uns am Horizont – bitte, etwas mehr westlich. – So, danke! Dieser Rauch entsteigt dem Schornstein eines Frachtdampfers, der in seinem Raum eine wertvolle Ladung birgt, eine sehr wertvolle Ladung sogar. Da ich nun ein vorsichtiger Mensch bin und jener Dampfer nicht mehr zu den seetüchtigsten gehört, so habe ich mir die ‚Ariadne’ für einige Zeit von Ihnen – entlehnen müssen, um von dem ,Triton‘ dort die kostbaren Frachtgüter auf unsere bedeutend seefestere Jacht überzunehmen. Das wird sehr bald geschehen sein, ich denke etwa in einer Stunde. Höchstwahrscheinlich dürfte aber die Besatzung jenes Dampfers mit dieser Umladung nicht ganz einverstanden sein, und es könnte dann zu erregten Erörterungen kommen, wobei ebenso wahrscheinlich auch einige Schüsse fallen werden. Erschrecken Sie also nicht! Hoffentlich habe ich durch diese vorherige Benachrichtigung auch dazu beigetragen, die Nerven der teuren Miß Hopkins zu schonen.“

Harper machte eine kleine Pause. Vielleicht nahm er an, daß Alice Weather, die von den eigentlichen Absichten des Kapitäns bisher nichts ahnte, ihn jetzt mit einer Flut von Vorwürfen überschütten würde; aber das junge Mädchen schürzte nur noch hochmütiger die Lippen und starrte weiter geradeaus in die Wogen, ohne von dem dicht neben ihr Stehenden irgendwelche Notiz zu nehmen.

Miß Hopkins aber drückte ängstlich Alices Arm und flüsterte ihr zu. „Geben Sie doch eine Antwort, Sie reizen ihn ja nur unnötig!“

Doch kein Ton wurde laut.

Da glomm in Harpers stechenden Augen ein höhnisches Flackern auf, und mit einer Stimme, aus der deutlich herauszuhören war, welche Genugtuung er empfand, die stolze Millionärin so demütigen zu können, sagte er: „Ich gedenke dann diese Frachtgüter in einer stillen Bucht der Vancouverinsel an Land zu bringen, Miß Weather. Ist diese Arbeit getan, so könnte – könnte ich Ihnen auch die ‚Ariadne‘ wieder übergeben, die ich nicht mehr brauche und die von dem Maschinenpersonal leicht in den nächsten Hafen gesteuert werden kann. Ich hoffe aber, Sie werden sich mir gegenüber für die liebenswürdige Behandlung hier an Bord meiner Jacht – denn bis jetzt bin ich noch Herr des Schiffs – erkenntlich zeigen und mir nicht nur Ihre Schmucksachen und Ihr Bargeld aushändigen, sondern auch auf folgenden Vorschlag eingehen. – Ich gebe Sie und die ,Ariadne‘ frei, behalte jedoch Miß Hopkins so lange bei mir in einem guten Versteck, bis Sie mir – Sie allein, Miß Weather – in der Bai von San Franzisko an der Nordspitze der Insel Yerba Buena, wo das Seezeichen am Strande steht, die Summe von dreihunderttausend Dollar in guten Scheinen überreicht haben. Als Termin für die Übergabe des Geldes setze ich den Tag morgen über drei Wochen fest. Sollten Sie sich an diesem Tage nicht an dem einsamen Gestade der kleinen Insel einfinden oder inzwischen irgendeinen Verrat planen, so gebe ich für die Sicherheit von Miß Hopkins keinen Pfifferling mehr. Meine Jungens verstehen wirklich keinen Spaß, und das Leben Ihrer Gesellschaftsdame wird Ihnen die für Sie so geringe Summe doch wohl wert sein! – Wie gesagt, Miß Weather, wagen Sie keinen Verrat! Ich warne Sie!“

Mit einem Schreckensschrei war Miß Hopkins ihrem Schützling in die Arme gesunken, halb ohnmächtig, nicht fähig, irgend ein weiteres Wort hervorzubringen. Und so, die zitternde Gestalt des alten Fräuleins umschlungen haltend, die jeden Augenblick zusammenzusinken drohte, stand Alice dem lächelnden Kapitän gegenüber.

Aber selbst in dieser unwürdigen, schmachvollen Lage bewies das junge Mädchen eine Beherrschung und schnelle Entschlußfähigkeit, die Harper um den größten Teil des Genusses einer erhofften Demütigung kommen ließ. Wenn auch mit bebender Stimme, so doch mit stolzer Würde in ihrer Haltung erwiderte sie ihm: „Sie sollen alles erhalten, was Sie verlangen. Morgen über drei Wochen ist auch die geforderte Summe in Ihren Händen. Aber ich setze voraus, daß Sie Miß Hopkins während dieser Zeit mit jeder Rücksicht behandeln. Und nun verlassen Sie mich!“

Während sie sprach, hatten ihre Augen an ihm vorüber ins Leere geschaut. Kein Blick traf den Schurken. Dann führte sie die leise vor sich hinweinende Miß zu dem nächsten Liegestuhl, der im Schutze des hohen Kajütenaufbaus stand, und bettete sie fürsorglich in die weichen Kissen und Decken, indem sie ihr beruhigende Worte zuflüstert.

Harper hatte sich zähneknirschend zurückgezogen und besprach nun auf dem Vorschiff mit Bill Siders den Erfolg seiner Unterredung. „Der ist nicht beizukommen, Bill – hol’s der Henker! Eine Abfuhr habe ich erhalten, daß ich alles kurz und klein schlagen möchte. Wie eine Königin stand sie vor mir, so unnahbar und stolz. – Na, die Hauptsache bleibt, auf ihr Wort kann man sich verlassen, und wir beide machen noch nebenbei ein gutes Geschäft, von dem die anderen nichts wissen,“ setzte er wie sich selber zum Troste hinzu.

Bald hatte sich auch Miß Hopkins etwas erholt. Kaum war sie aber wieder fähig, ihre Stimme zu gebrauchen, als sie sich in weinerlichen Anklagen gegen Harry Sanders erging, der nach ihrer Ansicht allein an diesem Unglück schuld war. „Hätte er sich damals auf dem Tennisplatz nachgiebiger gezeigt, so wären Sie sicherlich nicht auf die Idee verfallen, so plötzlich unsere Abreise anzuordnen,“ meinte sie empört. „Und dann hätte Harper niemals Gelegenheit gehabt, uns in dieser Weise zu verraten! Ich werde noch vor Angst sterben, wenn ich allein in den Händen dieser Verbrecher bleibe!“

Alice hörte sich dieses Gerede ihrer Gesellschaftsdame schweigend an. Schließlich unterbrach sie sie jedoch sehr energischen Tones.

„Sie tun Harry bitter unrecht, liebe Hopkins, glauben Sie mir. Wenn überhaupt das Zerwürfnis zwischen uns als Ursache des Handstreichs gegen die ,Ariadne‘ in Frage kommen kann, so bin ich allein der schuldige Teil. In den einsamen Stunde der letzten Tage, als die Angst um unser ferneres Schicksal mein ganzes Innere aufgerührt hatte, habe ich Zeit genug zum Nachdenken und Abrechnen mit mir selbst gehabt. Ich glaubte Harrys Liebe mir erzwingen zu können, und wandte dazu Mittel an, die ihn abstoßen mußten, ihn, der wahrlich genug

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Walther Kabel: Alice Weathers Bekehrung. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 2, S. 40–44 u. 46. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1910, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alice_Weathers_Bekehrung.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)