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seyn sollte. Diess Instrument hatte noch im Jahre 1813 der Hr. Graf Leop. von Kinsky zu Prag im Besitze. Ein zweytes Instrument der Art verfertigte Hr. Sauer 1804 für den Weinhändler Hrn. Graf in Prag.

Im Jahre 1803 erbaute der allgemein als redlicher und geschickter Orgelbauer anerkannte Hr. Buchholz zu Berlin die Orgel zu Neu-Ruppin, in die er die Posaune 32′ von dieser Art nach Anweisung des Hrn. Vogler construirte. Diess ist meines Wissens in den preussischen Landen die erste Orgel, worin diese Pfeifenart gebracht wurde. Späterhin erbauete er für die Kirche zu Tilsit eine neue Orgel, worin sie ebenfalls angebracht wurden. Ausser diesen genannten Kirchen ist mir im Preussischen keine andere, als die katholische Kirche zu Berlin bekannt, worin Angelica 4′ ist, in der die Rohrwerke mit durchschlagenden Zungen befindlich wären. Im Jahre 1805 verfertigte Hr. Ignaz Kober in Wien für die dortige Schottenkirche eine grosse Orgel, worin er mehrere Stimmen der Art, so wohl in das Pedal als auch Manual erbaute.

Hr. Sauer glaubt, dass, da zum Baue dieser grossen Orgel mehrere Gehülfen nöthig waren, dass diese die in Rede stehenden Pfeifen, nach Endigung des Baues, jeder in sein Vaterland gebracht habe, und ich füge noch hinzu, dass sie vorzüglich wohl durch den Abt Vogler, der viele und weite Reisen machte, am meisten bekannt wurden. Warum man sie aber bisher nur noch sehr selten antrifft, darüber künftig ein Mehreres.

Im Jahre 1819 liess ich in Auftrag für die Kirche zu Mira in Mekl. Strelitz eine neue Orgel durch den Orgelbauer Hrn. Heise in Potsdam erbauen, wo ich sie ebenfalls für die Trompete 8′ im Manuale verfertigen liess. Hr. Weber aus Darmstadt lieferte in der Wiener musikalischen Zeitschrift im Jahre 1821, No. 58. über diesen Gegenstand einen sehr polemischen doch wohlgemeinten Aufsatz.

Um diesen Gegenstand genau berichtigt dem Publikum vorlegen zu können, habe ich desshalb an mehrere achtbare Männer geschrieben, deren Kenntniss und Urtheil ich hierbey vertrauen zu können glaubte; doch habe ich hierauf theils noch keine, theils nur ungenügende Antworten erhalten. Die Antwort, welche am zuverlässigsten darüber spricht, ist vom Instrumentenmacher und Orgelbauer, Hrn. G. C. Rackwitz, in [152] Stockholm, vom 9ten July 1822. Sie enthält ihrem Hauptinhalte nach folgendes:

Hr. Rackwitz ging im Jahre 1782 zum Orgelbauer und musikalischen Instrumentenmacher, Hrn. Kirsnick zu Petersburg in Arbeit. Dieser war zuerst in Kopenhagen etablirt, von wo er nach Petersburg zog. Von ihm erfuhr Hr. Rackwitz, dass die erste Idee zu diesem Rohrwerkmundstücke von einem chinesischen Orgelwerke, das nach Kopenhagen kam, entnommen wurde. Dieses hatte runde Röhren von ganz dünnem Messing, welche die Töne angaben. In jede dieser Röhren war mit einem feinen Messer eine Zunge eingeschnitten, die einen reinen Ton angab.[1]

Nach dieser Einrichtung verfertigte der Hr. Prof. Kratzenstein in Kopenhagen eine Sprachmaschine, auf der die verschiedenen Körper standen und deren Zungen, theils von Messing, theils von Kupfer und theils von Stahl waren, mit der er es auch so weit brachte, dass sie die Worte: Papa, Mama angab[2]. Hr. Rackwitz, der im Jahre 1791 nach Kopenhagen reisete, um diese Maschine sehen zu wollen, bedauert jetzt noch, dass ihm diess nicht möglich wurde, indem man ihm sagte, dass die Maschine nicht gangbar und der Prof. Hr. Kratzenstein, schon zu der Zeit sehr bejahrt, krank sey, sich daher nicht sprechen lassen könne.

Ohngefähr um das Jahr 1780 machte Hr. Kirsnick zu Petersburg die ersten sehr mühevollen Versuche, die Pfeifen der Kratzensteinschen Sprachmaschine zu Orgelpfeifen umzuschaffen und Krücken zur Stimmung derselben anzubringen. Nachdem ihm diess gelungen war, setzte er ein solches Register in sein Orchestrion, welches der Abt Vogler im Jahre 1788, wo er nach Petersburg kam, kennen lernte. Es gefiel ihm so wohl, dass er im Jahre 1790 von Warschau aus an den Hrn. Rackwitz schrieb, der als Gehülfe des Hrn. Kirsnick mit an diesem Rohrwerke gearbeitet hatte, und bat, dass er zu ihm nach Warschau kommen möge. Hr. Rackwitz erfüllte diese Bitte, doch kam es in Warschau noch nicht bis zum Baue eines solchen


  1. Man vergleiche den Aufsatz von Hrn. Dr. Chladni im 23sten Jahrgange, No. 22. dieser Zeitung.
  2. Eine ähnliche oder vielleicht gar dieselbe befindet sich schon seit vielen Jahren in Paris in den Händen des Hrn. Robertson, bey dem man sie täglich sehen kann.
    Fr. Kfm.
Empfohlene Zitierweise:
Wilke; Frdr. Kaufmann: Ueber die Erfindung der Rohrwerke mit durchschlagenden Zungen. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1823, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Allgemeine_musikalische_Zeitung1823-90-93.pdf/2&oldid=- (Version vom 7.12.2022)